29.12.06

Perspektivieren Sie bitte!

Ich war in Neuchâtel. Ich wollte schon lange die Wege meine Kindheit noch einmal gehen, mit allen Erinnerungen und Bildern, die auf solchen nostalgischen Spaziergängen in die Vergangenheit entstehen. Als Erwachsener sieht man die Wege der Kindheit aus einer ganz anderen Perspektive. Die hohen Steinmauern auf denen ich todesmutig balancierte, weil der Boden eine Todeszone war, genau genommen ein Meer mit Ungeheuern, sind nur noch hüfthohe Mäuerchen am Rande eines harmlosen Weges.
Ich komme nicht dazu Erinnerungen nachzuhangen, weil meine Mutter mich begleitet und die ganze Zeit redet. Sie kam mit, weil sie mich schon lange einmal irgendwohin begleiten wollte, und ich nicht nein sagen konnte. – Ich habe, wie du, zehn Jahre in Neuchâtel gelebt. Es ist auch meine Stadt, sagt sie, und besteht darauf, zuerst das Schloss zu besichtigen. Sie erzählt mir andauernd, was sie sieht. Schau hier der Reformator Farel, schau da der Hafen, wo du beim Schwäne Füttern in den See gefallen und beinahe ertrunken bist. Dein Papa hat dich gerettet und dabei einen Schuh im See verloren. Und dort ist die Place Pury. - Wer war denn Monsieur Pury? – Irgendein reicher Sack, sagt sie.
Ich lerne die Perspektive meiner Mutter kennen:
„Ich zeige dir,“ sagt sie, „noch das neue Einkaufzentrum bei der Roten Kirche. Oben drauf haben sie sogar ein Fussballfeld gemacht.“
Ein Fussballfeld auf dem Dach für die Angestellten, vermute ich im Stillen. Doch dann tauchen von weitem die Scheinwerfer des Spielfeldes auf. In Gedanken sehe ich die Angestellten des Supermarktes, wie sie nach Feierabend im Scheinwerferlicht Fussball spielen. Coop gegen Migros. Irgendetwas stimmt da nicht.
Und dann stehen wir vor dem Einkaufszentrum, das, genau genommen ein Stadion ist. Und wie alle modernen Einrichtungen protzt auch das neue Stadion mit Multifunktionalität. Mit anderen Worten: Unten drin sind ein paar Geschäfte.
Ein Einkaufszentrum mit wunderbaren Toiletten und einem Fussballfeld auf dem Dach ist es aus der Perspektive meiner Mutter.

17.12.06

Tram’n’Bus

Meine Mitbewohnerin und ich haben den gleichen Arbeitsweg. Wir fahren mit dem Tram bis zum Bahnhof und unterhalten uns über beliebte Frauenmorgenthemen wie - die Liebe. Die Liebe ist unerschöpflich und die Fahrt lang, darum eignet sich das Thema vorzüglich zum Tram fahren. Am Bahnhof steigen wir in den Bus um und lassen die Liebe als Souvenir den Leuten im Tram zurück.
Wir rennen auf den Bus und drängeln uns nach hinten, auf die zwei Sitze über den Hinterrädern. Es sind unsere geheimen Massagesitze. Wir schmiegen uns in die Sitze und halten die Luft an, bis der Chauffeur startet. Dann schüttelt es uns einmal kräftig durch. So beginnt unsere Vibrationsfahrt. Wir lassen uns bis zur Arbeit durchvibrieren. Alles vibriert, der Blick aus dem Fenster, das Herz, die Gedanken. Die Stimme auch. Die Vibration gibt der Stimme ein verzweifelt dramatisches Timbre. Wir probieren unsere timbrierten Stimmen aus, und hören uns reden und sagen: Wa’a’a’a’as ha’a’ast du gesa’a’agt? Eine Unterhaltung ist aussichtslos: Bei jeder Bodenwelle werden wir in die Luft gespickt und die Worte purzeln durcheinander.

09.12.06

Mein Leben, mein Blog und die Musik dazu

Judah Bauer bei Youtube eingetippt und überraschend einen alten Freund angetroffen.
Wie für mich gezaubert.

Make It Rain

Sehen Sie?

01.12.06

Dekonstruieren Sie sich bitte! Teil 3

Der asiatische Dobermannhalter auf seiner morgendlichen Spazierrunde mit seinem dunkelblauen Trainingsanzug und den Hanteln in den Händen. Alles im Griff.

Dekonstruieren Sie sich bitte! Teil 2

Der alte Mann vor mir im Tram, der ein paar wenige dünne Haarsträhnen quer über die Glatze gelegt hat. Wie er jeden Morgen in den Spiegel schaut und die langen Haare von der linken Seite rüberkämmt. Birkenwasser darüberträufelt. Noch einmal glatt streicht. Die zurecht gelegte Gewissheit, dass noch Haare auf dem Kopf sind. Auch er hält einen Mythos aufrecht. Vielleicht sieht er jeden Morgen einen jungen Casanova im Spiegel. Ich mag ihn irgendwie. Möchte ihn so gerne sehen, wenn seine Haare einseitig runterhangen.
Es erinnert mich an den befreundeten Postangestellten, der seine blonden Haare hinten zusammenband, aber seinen grauen Wollpullover, seine Bügelfaltenhosen und das Beamtenjackett einfach übersah, als er den Pirat, für den er sich hielt, im Spiegel sah. Ich dachte zuerst, er wolle den Kreativen darstellen, mit seinem Haarschwänzchen, oder den Esoteriker. Aber nein. Pirat.
Mythen sind wie ein Lebens-Make up. Sie verhindern, dass man sich ungeschminkt betrachtet und den grauen Merinopullover sieht.

Advent

Im Quartiertreff einen Vormittag zum Kerzenziehen für fünfzehn Personen reserviert:
- Und keine Kinder? - Nein. – Wie... keine Kinder? - Nein keine Kinder. - Also ohne Kinder? - Ja.

Meine Mitbewohnerin schenkt mir einen Adventskalender mit Hundertwasser’schen Goldfensterchen und goldenen Sternchen. Nur noch Wörter mit –chen Endungen brauchen in der Adventszeit.

27.11.06

Die Suche der vier Schwestern nach der Zeit, ohne die sie verloren wären

Den gestrigen Tag verbrachte ich in Gesellschaft meiner drei Schwestern. Wir kamen von Zürich, Thun und Genf nach Bern um den vierzigsten Geburtstag der Jüngsten zu feiern. Wir zelebrierten dieses Ereignis mit einem Wohlfühl-Tag. Dampfbad, Massage, Kosmetik, Spazieren, Feinessen. Auf solche Ideen kommt man erst mit dem Alter. Mit dreissig hatten wir uns noch ein Cabrio gemietet und kreuzten mit wehenden, weissgetupften Kopftüchern, Sonnenbrillen und lachenden Lippenstiftmündern durch die Stadt. Mit zwanzig legten wir unser Geld zusammen und gingen wie richtige Damen eine gewagte Eis-Kreation namens Coupe "Frauentraum” im Saal eines Hotels essen. Als Kinder feierten wir Geburtstag indem wir Erwachsene spielten, die sich gegenseitig in den Wohnungen besuchten, mit Kühlschränken voller Jogurt und Pudding. Mit einem wohligen Gefühl des Überflusses luden wir einander zu Broten mit unverschämt viel Butter und Zucker darauf ein. Wir übten alle die wichtigsten Berufe der Welt aus, wie Lebensretterin, Dompteuse oder Interviewerin, aber hauptsächlich waren wir allein erziehende Mütter. Wir hatten insgesamt mindestens zwanzig Puppenkinder und unser grosser Bruder durfte nur dann mitspielen, wenn wir ein Kind taufen mussten. Denn dann brauchten wir einen Pfarrer. Schon klar, dass er das doof fand.
Doch kehren wir zurück zu den vier Schwestern in der Wellness-Oase.
Wie ist das mit vierzig? Fragt die Jüngste uns. Erzählt mir, wie das bei euch mit vierzig war! Wir liegen auf den Liegestühlen, irgendwann ist bei dem Wellness-Verwöhn-Postenlauf zwischen Heilerdepackungen, Sauna und Massage auch mal das Verwöhnruhen auf Liegestühlen dran. Man gönnt sich einen Schluck von dem mit Sauerstoff angereicherten Wasser, Früchteteller werden angeboten. Also schnell und geschickt einen Mandarinenschnitz geniessen und dann eine Dattel oder vielleicht umgekehrt besser. Jedenfalls geht es schon darum, die perfekte Reihenfolge der Schnitze herauszufinden, ist ja schlieslich kein Müsli. Für mich selbst würde ich nach einigem hin und her der Variante Orangen- Feigen- Kaki- Kiwi- Mangoschnitz den Vorzug geben. An den Wänden dieses Vorzugsfrüchte- Schnitze-Ruhesessel-Wartesaals hängen ironischerweise schicke Schokoladenfotos. Makroaufnahmen von aufgebrochener, samtsattener Schokolade, Stücke gross wie Steinbrüche. Nur das Hinsehen allein macht schon glücklich. Bilder funktionieren immer. Funktioniert ja auch bei Nacktemänner-Bildern. Ich schliesse die Augen und stelle ich mir diese überdimensionalen schicken Männerfotos an den Wänden vor. Nackte Männer in Steinbrüchen. Samtene Haut auf den warmen Felsen. Saftig feuchte Schnitze, die wie von selbst den Lippen entlang gleiten. Glück.
Doch dann fällt mir ein, dass meine jüngste Schwester ja immer noch darauf wartet zu erfahren, welche Grauen sie erwarten, jetzt nachdem sie diese schwer belastete Grenze des vierzigsten Lebensjahres überschritten hat.
Mit vierzig, sagt meine älteste Schwester und unterstreicht ihre Worte, indem sie ihren schweren Hängebusen in den Händen wiegt, geht alles nur noch abwärts.
Genau das wollte ich nicht hören, sagt die Jüngste und wendet sich mit um Hilfe flehenden Blick an mich.
Also lege ich mich für sie ins Zeug, wie das Pferdchen vor einer Hochzeitskutsche. Vierzig, sage ich, ist das beste Alter überhaupt, Schwesterchen! Mit vierzig hat eine Frau diese optimale Mischung aus Erfahrung, Raffinesse und Schönheit erreicht, die Jüngere in staunend-nachahmende Bewunderung versetzt und Ältere in neidisch-wohlwollende Solidarität. Mit vierzig hatte ich meinen Stil gefunden und konnte mich auf mein Gefühl verlassen. Ich begann mir die Dinge zu gönnen, und nicht mehr zu leisten. Ich täuschte keine Orgasmen mehr vor, sondern multiplizierte sie geschickt.
Die jungen Liebhaber, welche mich umgarnten, entschuldigten sich scheu und höflich bei mir für ihre Unerfahrenheit. Mit den älteren Männern hingegen teilte ich all die vertrauensvolle Gewissheit und Ruhe, welche die heftigen Erfahrungen der Jugend einem bescheren, so sie gelebt wurden. Mit vierzig wusste ich, was ich will und alle Menschen verwöhnten mich voller Geduld und Dankbarkeit.

Da wurde es plötzlich ganz still in der nachmittäglichen Wellness-Relax-Lounge. Selten habe ich meine eher vorlauten Schwestern so in Gedanken versunken erlebt. Hatte ich etwas Falsches gesagt, oder gar etwas überaus Wahres? Etwas verwirrt öffnete ich die Augen ein ganz klein wenig, zu einem kleinen Schlitz und schaute mich um. Der Zimmerspringbrunnen plätscherte weiter vor sich hin, der sanft beleuchtete, steinerne Buddha zwinkerte mir zu, die Schockokanten an den Wänden kräuselten sich ganz aufgeregt, die Jungs aus dem Steinbruch scherzten mit meinen lachenden Schwestern. Da lehnte ich mich entspannt zurück und zog schmunzelnd den weichen Frottemantel etwas enger um mich. Es war gut die Anwesenheit meiner mit mir älter werdenden Schwestern zu spüren. Bald wird die erste fünfzig. Wir werden ihren Geburtstag entsprechend feiern.

26.11.06

Nach Mitternacht bin ich immer so müde und möchte nur noch schlafen

...und als ich mich von ihnen verabschiedete, schauten sie mich mit diesem oh du gehst schon Blick an, diesem traurigen. Der Italiener mit seinen roten Glühweinbacken nahm seine Gitarre in die Hand und zwar so, dass ich ahnen musste, wie wundervoll er gleich spielen würde. Der Lungenchirurg aus Aserbaidschan schaute beinahe vorwurfsvoll enttäuscht, weil wir eine Konversation begonnen hatten, die noch längstens nicht beendet war. So viele Augen auf einmal beim Abschied. Der Gastgeber, der mich nicht nur vom Aussehen her an ein frisch geschlüpftes Vögelchen erinnert, federlos und unkoordiniert in den Bewegungen. Der Architekt, der zwei Apfelstrudel und einen Hefegugelhopf gebacken hatte schaute mir mit den allertraurigsten Konstruktionsaugen nach. Wenn er wüsste, dass er der Zuckerbäcker ist, der gleich meine Träume versüssen wird.

15.11.06

Renovation

Geduld. Es wird schon. Ich kümmere mich drum. Bald.

07.11.06

Mein durcheinandergewürfeltes Leben

Ich habe keinen Internetanschluss bis Freitag und auch noch kein Licht in der Wohnung. Ich finde selbst bei Tageslicht nichts mehr. Ich suche immer alles. Ich habe keine Zeit zum Auspacken und Regale Aufstellen und Lampen Montieren. Ich nehme einfach aus den Schachteln raus, was ich unbedingt brauche und überall stehen durchwühlte Kisten und Papiertüten rum... Ich lebe in einem Schachtel Dschungel und bahne jeden Tag einen neuen schmalen Weg, vom Bett zum Tisch zur Ausgangstür. Die Küche ist noch zu.
Ehh ja, so ist das nun mal und ich habe keine Zeit! Am Wochenende kümmere ich mich um alles. Dann wird alles gut. Alles wird sowieso immer besser, weil meine neue Wohnung heller ist und frischer und weil ich eine Mitbewohnerin bekomme. Sie ist bildhübsch, kokett, erfrischend und unternehmungslustig, sie lacht viel und erinnert mich an mich mit 30. Vielleicht ist sie aber eine Geheimagentin vom Lieben Gott und die Ähnlichkeit mit mir mit 30 ist nur Tarnung. Ich freu mich.

26.10.06

Angewand(tafel)te Kunst


Ich bin gerade am umziehen, und weil Umzüge sowieso immer nur dann passieren, wenn man keine Zeit hat, arbeite ich momentan auch noch das doppelte Pensum. Mein Portemonnaie hat ein Zweimonateloch. Der unbezahlte Sommer macht sich bemerkbar. Ich arbeite und bin müde, packe und bin müde, arbeite und packe und schlafe, und alles andere schiebe ich auf. Alles.
Heute hat mein Patensohn Geburtstag. Er wünscht sich einen Tag mit seiner Patentante, Torwarthandschuhe und ein Fahrradschloss. Aber ein solides, sagt er. Auch das muss ich aufschieben. Ich werde seine Wünsche am Samstag erfüllen. Morgen habe ich selber Geburtstag. Ich wünsche mir auch etwas Solides. Ein solider Mann wäre zum Beispiel nicht schlecht. Aber ich schiebe meinen Geburtstag auch auf. Das hätte mir gerade noch gefehlt, dass ich morgen auf einen Schlag älter werde.

23.10.06

Der Brunfthirsch

Der Hirsch schreit, röhrt, orgelt, trenzt und knört.
Hören Sie selbst.

(Wobei ich das Wort Brunft am seltsamsten finde. Es kommt mir so vor, als sei es mit vollem Mund gesprochen.)

22.10.06

Herbst ist so klasse!

Ich werde heute Hirsch kochen mit Spätzle (habe ich schon einmal erwähnt, dass meine Mutter Schwäbin war: Schätzle, sagte sie, du kommsch mir ersch aus’m Haus, wenn du Spätzle und Maultaschä machen kannsch.) (Ich sehe sie vor mir in der dampfenden Küche, wie sie am Herd steht und mit dem monstruösen Küchenmesser energisch und flink den Teig über den Holzbrettrand ins kochende Wasser schabt, zakzakzakzak, diese kraftvoll schnelle Bewegung, und wie sie jedes Mal beinahe die Hand verbrüht, wenn sie das Killermesser ins kochende Wasser tunkt damit der Teig besser rutscht. Und wie ein Wunder tauchen plötzlich aus den strudelnden Tiefen des Wassers feine Teigstreifen an die Oberfläche auf.)
(Überhaupt, die Kindheit: Manchmal haben wir Kinder Verstecken gespielt, wenn meine Mutter am Kochen war. Ich war etwa drei und mein Lieblingsversteck war unter dem Rock meiner Mutter. Sie trug fast immer bodenlange Röcke, die Hippie-Zeit eben, lange bunte Röcke und ein breites, buntes Haarband. Ich kroch unter ihren Rock und hielt mich an ihren Beinen fest. Es war das beste Versteck der Welt.
Meine Mutter schob mich unter ihrem Rock durch die Küche, sie konnte sich nur schleifend bewegen, aber das störte sie nicht. Meistens trug sie noch die Jüngste in einem Tuch auf dem Rücken oder auf dem Arm und kochte mit der freien Hand.
Sie sang die ganze Zeit. Sie kannte alle Liebeslieder und Operetten auswendig: Ja sehr komisch ha ha ha, ist die Sache ha ha ha. war meine Lieblingsoperette. Ich klammerte mich an ihre Beine und war selig. Ab und zu schob sie mir rasch etwas in den Mund, eine gefrorene Brombeere zum lutschen oder das Herzstück eines Kohls zum knabbern. Meine Schwestern kamen nie drauf, wo ich war.)
Ich werde also Hirsch kochen und Spätzle, dazu Rotkraut und karamellisierte Marronis und das ganze mit halben Birnen mit Preiselbeerkonfitüre und Trauben garnieren. hmm.

21.10.06

Briefe, in denen sich alles im Ungeschriebenen bewegt

... und wie ich jedesmal, wenn ich an den Brief denke, berührt und unbestimmt selig seufze, weil er mit 'Liebstes Fräulein Minka' beginnt.

16.10.06

Wie furchtbar, wie wunderbar scheu. Und zaghaft. Wir doch sind.

Eigentlich wären kleine Liebeleien die besten Geschichten um einen Herbst rund zu kriegen.
Ich würde vor Verzückung zu den Sternen fliegen.
Von dort oben würde sich mein Stolpern nach Glück vielleicht etwas übersichtlicher zeigen.


Titel via

14.10.06

Verwechslung

Langeweile kann auch mit Desinteresse verwechselt werden.
Aber es klingt viel aufregender, wenn sie sagt: „Hach, die Dinge langweilen mich immer so schnell.“ Dabei interessiert sie einfach nichts.

13.10.06

Dekonstruieren Sie sich bitte!

Es erinnert mich auch an all die Mythen, die wir konstruieren.
Und es gehört wohl zu den schwierigsten Aufgaben im Leben, diese Mythen zu dekonstruieren.

10.10.06

Warum ich trotzdem verstehe, dass Lesben gerne Hitlerjugendfrisuren tragen.

Es erinnert mich an kurze Hosen tragende Burschen, die scherzend zusammen Fahrrad fahren, mit einer wagemutigen Sorglosigkeit, wie sie in Zeiten grosser Repression in schwarz-weiss Filmen dargestellt wird...

Wahrscheinlich tragen sie diesen Haarschnitt, weil sie sich nie wie andere Jungs auf lange Fahrradtouren begeben konnten, auf denen man sich lachend neben der Strasse in die Weizenfelder fallen lassen kann, wobei man sich bei den spielerischen Raufereien zwischen den goldgelben Ähren wie zufällig durch den faltigen Stoff der Knickebockers an den Schwanz fasst.

09.10.06

Verzauberte Welt




Moosteppich im Bergtannenwald

03.10.06

Die Spinne weiss es schon lange, ich erst seit letztem Sonntag

Es hat den ganzen Tag geregnet. Ununterbrochen. Ich bin den ganzen Tag im Bett geblieben. Wie paralysiert. Zeitweise fühlte ich mich wie die langbeinige, fette Spinne, die seit Tagen dort oben an der Decke meines Schlafzimmers in einer Ecke bewegungslos lauert. Natürlich lauert sie nicht, das sagen wir Menschen einander um uns zu beruhigen. Es wäre einfach nicht auszuhalten, sich vorzustellen, dass so eine Spinne tagelang bewegungslos verharrt ohne irgendeinen Sinn. Da behauptet man doch lieber, sie warte auf etwas. Warten ist meine Lieblingsbeschäftigung im Moment. Ich warte darauf, dass mein Leben glücklich wird.

Mein glückliches Leben führe ich auf dem Land in einem grossen, hellen Haus mit einem krautigen Garten, einer grantigen Katze, einem verkaterten Hund, den Hühnern und einem liebeskranken Truthahn und einem Mann. Mein Leben kann ohne Mann nicht glücklich sein. Und meine Liebe ist nicht lebenswert, ohne den Truthahn, der mich daran erinnert, wie schlimm die Zeiten ohne Liebe sein können. Jedenfalls kann ich auf diese Weise jeden Abend von neuem entscheiden, wen ich unter meine Bettdecke nehme. Tja so ist das, wenn mein Leben glücklich ist.

Ich lag also den ganzen Tag gelähmt im Bett und schaute gedankenlos dem Regen zu, der nicht nachliess. Was mich beunruhigte war, dass ich keinen Drang verspürte, etwas zu lesen oder zu telefonieren. Ich wartete und fühlte mich wie die Spinne, ohne das geringste Verlangen nach irgendeiner Abwechslung. Mein Rücken fühlte sich nach sechs Stunden liegen auch schon ein klein wenig wie ein Panzer an, an dem meine trägen Arme und Beine wie an dünnen Seidenfädchen hingen. Dann fiel mir ein, dass Spinnen die Fäden, mit denen sie ihr Netz bauen. auskotzen. Interessante Perspektive. Aber ich dachte lieber nicht weiter darüber nach.

Noch viel interessanter fand ich aber den Gedanken, dass Spinnen ihre Beute zuerst lähmen und dann ein Gift in sie einspritzen, welches den Körper der Beute zersetzt. Dann saugt die Spinne das vorverdaute Opfer aus und übrig bleibt nur die Hülle. Die leere Hülle, die erschütternd geisterhaft und substanzlos an einem der kaum sichtbaren Fäden des Netzes im Wind hin und her schwankt. Die Spinne verdaut also nicht in ihrem eigenen Magen, sondern sie hat den Verdauungsprozess sozusagen ausgelagert. Das scheint mir eine äusserst elegante Angelegenheit, die bereits zersetzten Opfer durch einen Strohhalm in sich einzusaugen und zu spüren wie der eigene Bauch immer dicker wird. Ha! Prost Mahlzeit.

Ich hatte aber keinen Hunger, während ich regungslos dalag. Es war Sonntag und es regnete und es gab eh nichts zu essen in meiner Wohnung.
Das einzige, was ich mir wünschte war etwas Musik. Aber ich war nicht in der Lage aufzustehen und stellte mir stattdessen lieber vor, wie das ist, wenn ein Spinnenmännchen sich an das Netz des Spinnenweibchens wagt um sie mit seinem Sound zu verführen. Eine riskante Sache in jedem Fall, denn die stürmischen Liebhaber riskieren dabei ihr Leben. Aber wie Blixa Bargeld es formulierte als er noch jung war und ihm die grossen Würfe noch gelangen: „Keine Schönheit, ohne Gefahr.“

Haben Sie, werte Leser, schon einmal gesehen, wie schnell die Spinne sich auf eines der süssen kleinen Fluggeschöpfe stürzt, wenn es sich in ihrem Netz verfangen hat? Die Spinne hat aussergewöhnliche sensorische Fähigkeiten. Sie fühlt die kleinste Vibration der Fäden ihres Netzes und weiss anhand der Schwingungen genau, was sich da in ihrem Netz verfangen hat. Die Spinne frisst sie alle, - die Wespen, die Spinnenmännchen, ihre Spinnenschwestern und Kinder und hauptsächlich die Eintagsfliegen.
All dies weiss das Männchen natürlich und verhält sich vorsichtig. Und es ist schlau. Es zupft an den Fäden des Netzes wie an einem Saiteninstrument. Es erzeugt diesen ganz besonderen rhythmischen Klang, diese tiefgreifende erschütternde Vibration, welche das Spinnenweibchen in Trance versetzt. Dennoch enden die meisten Begegnungen dramatisch.

Schlussendlich stehe ich, anders als meine langbeinige Schwester an der Zimmerdecke, doch schnell auf und mache die Musik an. ‚20 Miles’ füllen den Raum mit ihrem Blues. Auch in Louisiana regnet es. Der Mississippi tritt über die Ufer. Judah Bauers Stimme zupft an meiner Bettdecke. Hhhmmmm.

29.09.06

Der bunte Reigen

Es war neulich auf der Münsterplattform, als ich dem eigens aus Berlin angereisten Herzspezialisten das Geheimnis meiner geschwollenen Zunge zu erklären versuchte.
Vielleicht begann es auch damit, dass einer dieser extrem lockeren, langgliedrigen Frührentner auf dem Bänkchen neben uns eine Zigarette anzündete, deren Rauch überhaupt nicht nach Marlboro roch. Kurz gesagt, plötzlich überkam mich das Gefühl, mich in einer Altersresidenz für afrikanische Diplomatensöhne zu befinden. Allerdings von solchen, die es wider Erwaten nicht auf den Rücksitz einer Mercedes Limousine geschafft hatten.
Das einzige was ihnen bis jetzt gelungen war: dass sie ihre ursprüngliche Hirse stampfende Mutti gegen eine europäische, im sozialen Bereich tätige Mutti ausgetauscht hatten.
Natürlich sah ich auch dieses dutzend bleicher Gymnasium Schüler, die vor lauter Angst vor dem, was sie noch alles erwartete im Leben eng zusammen gequetscht auf einer Bank sassen, und eifrig an den Zigaretten mit dem seltsamen Rauch zogen, bevor sie auf ihren X-large Bikes rechtzeitig zum abendlichen Gurkensalat nach Gurten-Gartenstadt düsten.

Kurz darauf wurde mir etwas schwer im Herzen, als der Spezialist mir erklärte, dass die wirkliche Liebe, also diese grosse, schwärmerische Liebe, auf deren Rückkehr man sehnsüchtig einen ganzen goldenen Herbst lang in einem Pariser Hotelzimmer wartet, nie in Erfüllung geht.

Aber wie auch immer, die etwas unsicher und neugierig hinter ihren Erstgeborenen hertapsenden Alleinerziehenden, welchen man schon von weitem ansah, dass sie sich mit dem Gedanken beschäftigten, ob als Zweites nicht ein Mulattchen ganz hübsch wäre, liessen mich weiter an den Fortbestand der Liebe und solch multi-funktionaler Freizeitparks wie der Münsterplattform glauben.
Möglicherweise sieht der Marlboro-Cowboy das alles etwas anders, aber da Rauchen tödlich ist und nicht mehr glücklich macht, wie wir früher glaubten, sind die Zeiten mit dem Rauchen eh vorbei. Ganz egal, wonach der Rauch riecht.

26.09.06

Und wie fühlen Sie sich?

Es regnet. Die nassen Strassen spiegeln die Bäume der Allee und die Häuser und mich, wie ich laufe, farblos wieder.
Die ganze Welt legt sich mit tiefen, dunklen Schatten auf den glänzenden Asphalt nieder. Wenn ich lange genug nur auf den Boden schaue, tauche ich in diesen schwarz-weiss Film ein. Es ist dramatisch und spannend. Und einsam. Und die Sehnsucht nach Farben und Licht ist gross.
Dann die Ernüchterung, wenn ich hochschaue, und die Welt wieder unerträglich bunt und hell ist.

23.09.06

Die Einsamkeit eines sich drehenden Planeten oder damals, als Jungs mich umschweiften wie Kometen.

Apropos rudern fällt mir ein, dass ich eigentlich im Sommer einen Text über das Gummibootfahren auf der Aare schreiben wollte. Die rund 30 Kilometer von Thun nach Bern. Ja, wie klasse das ist, wollte ich schreiben.
Über das Gummiboot, das vor sich hin treibt und wie ein einsamer Planet langsam um sich selber kreist.
Und wie die Welt sich in Zeitlupe um mich dreht, und ich vor mich hin schaue ans Ufer, in den Himmel, ans andere Ufer.
Und dass ich ab und zu ins Wasser springe und eine Weile neben dem Boot schwimme, bis mir zu kalt wird. Dann ganz behutsam ins Boot zurücksteige um möglichst wenig Wasser mit ins Boot zu nehmen.
Und wie ich mich ganz dem Fliessen und Schaukeln und Drehen hingebe, und dass die Hingabe und das Gefühl von Schweben mich erregen.
Und ich mir vorstelle, wie entzückend es wäre im Gummiboot geküsst zu werden.
Und wie der Himmel sich plötzlich bewölkt, und die durchsichtig glitzernden Wellen auf einmal dicht und petrolfarben werden. Unheimlich. Ja genau, diese gefährliche Schönheit des tiefdunklen Wassers unter dem Petrolhimmel wollte ich beschreiben.
Und wie ich dann pinkeln muss, aber nicht mehr ins Wasser springen will, weil es zu kalt geworden ist. Und ich dann mit dem Hintern so weit wie möglich über den Rand hinaus rutsche und ihn leicht anhebe, mich seitlich am Bootsrand festhaltend. Und das Ufer dort Gott sei Dank menschenleer ist, und ich unerwartet beeindruckt von meiner erstklassigen Pinkelshow und gleichsam erleichtert bin, dass mich niemand beobachtet.
Zum Schluss wollte ich schreiben, wie ich mich langsam der Stadt nähere, und der Himmel wieder auf hellt. Und wie am Ufer nun vereinzelt Leute sitzen, die ein Feuer oder Yoga machen.
Und ich das Boot in die Mitte des Flusses rudere, weil eine Brücke auftaucht und ich nicht auf die Pfeiler zutreiben will. Und einige Jungs auf dem Brückengeländer bereit zum Springen stehen und mir zuwinken.
Und dann, als ich zurückschaue, sie wie Kometen von der Brücke mir hinterher springen.

Aber nun ist der Sommer vorbei. Und gute Geschichten brauchen manchmal viel Zeit.

22.09.06

Protokoll

Heute Morgen bin ich mit einem Witz aufgewacht.
Ein Witz, der bitte sehr mit freundlich bernerischer Langsamkeit gelesen werden soll:
Zwei Berner sitzen im Ruderboot und rudern.
Sagt der eine: „Wiehnacht (Weihnachten) isch schön!“
Sie rudern weiter, nicken stumm, rudern, und rudern.
Sagt der andere: „Gschlechtsverkehr isch ou (auch) schön!“
Wieder nicken sie stumm, und rudern und rudern.
Nach einer Weile sagt der erste: „Ja, aber Wiehnacht isch öfter!“

21.09.06

Glück

Aufgewacht mit einer berauschenden Euphorie. Diesen tranceartigen, flüchtigen Zustand so lange wie möglich hinauszuzögern versucht.
Es ging aber nicht. Das Glück verdunstete einfach.

17.09.06

Noch eine Verschwendung

Heute Morgen ist mir beim Aufwachen eingefallen, warum das eine so delikate Sache ist, mit den Kommentaren bei mir.
Was ich in meinem Blog schreibe ist sehr persönlich und damit mache ich mich auch verletzlich. Mein Blog ist wie eine Wohnung mit offenen Türen. Die Leute können direkt ins Schlafzimmer treten und sich zu mir ans Bett setzen. Bei mir gibt es immer Kaffe und Kuchen mit Sahne, alle machen es sich gemütlich, das ist schön. Manche bringen selber feine Torten mit, oder Blumen, die sie mir auf das Nachttischchen stellen, das schätze ich sehr. Und andere erzählen eine Geschichte, das liebe ich. Aber wenn alle weg sind, dann ist mein Bett voller Kuchenkrümel und Bierdosen stehen rum, und die Wände sind versprayt, und meine Bettwäsche ist schmutzig, weil sich einige mit den Schuhen ins Bett gesetzt haben.
Und das ist ärgerlich.

Die Sache ist die, dass ich die Sprayereien ja einfach wegwischen könnte, wenn sie mir nicht passen.
Aber einfacher war es für mich, die Türe zu schliessen, und die Leute müssen nun die Blumen beim Portier abgeben und die Pralinen auch. Der Vorteil ist: Ich kann die ganz alleine essen.
Mit anderen Worten:
Ich habe ganz viele nette Mails bekommen und weiss nun auch wie man Impressen und Kategorien macht, und ich danke allen sehr.

Heute Morgen hat eine Bloggerin eine de luxe Torte beim Portier abgegeben für alle.
Der Nachteil ist: Nun muss ich diese Torte alleine essen. Das schaffe ich gar nicht. Das ist auch Verschwendung!
Ich überlege mir, ob ich das mit den Kommentaren wieder rückgängig machen soll.

16.09.06

Reklamation

Aufgewacht mit dem Gedanken, dass eine so begehrenswerte Frau wie ich alleine im Bett schlafen zu lassen eine Verschwendung ist.

15.09.06

Der tröstliche Gedanke beim Aufwachen heute

Protokoll:
Wenn ich ein Mann wäre, hätte ich vermutlich eine Morgenlatte.
Ich hätte gerne eine Morgenlatte. Wenn ich mir das so überlege.
Es hätte beruhigende Wirkung auf mich.



Der Gedanke erinnert mich irgendwie an einen Comics, aber ich weiss nicht welchen. Meine Neugierde treibt mich aus dem Bett. Schön eigentlich, wenn man sich von Bildern im Kopf leiten lassen kann. Der Luxus, Zeit zu haben.
Ich gehe meine Comics durch und bleibe kurz bei meinem Helden Corto Maltese stehen. Hach, wie gerne würde ich mich nun mit ihm auf eine kleine Abenteuerreise begeben. Aber nein, ich bin meinen Bildern auf der Spur und gehe weiter, lasse mich jetzt auch nicht auf eine Agentenjagd mit Max Friedmann ein (Giardino) und nicht auf eine heimliche Affäre mit dem Vicomte (Ferrandez), was sehr verlockend wäre.
Das schöne an Comics ist, dass sie wie eigene Erlebnisse in Erinnerung bleiben. Anders als Bücher oder Filme eben.
Da! Die "Dirty Plotte" Bände (1991 - 1998) der Kanadierin Julie Doucet. Das war es, was ich suchte.
Sehen Sie?

14.09.06

Es reicht

Ich habe keine Lust mehr, mir den Quatsch in den Kommentaren anzuhören*.
Ich freue mich natürlich nach wie vor, wenn Sie Anmerkungen oder Hinweise zu meinen Texten haben. Oder wenn Korrekturen angebracht werden müssten. Dafür bin ich immer sehr dankbar. Schreiben Sie mir einfach eine Mail.
Sie können mir auch schreiben, wie ich in meinem Blog ein Impressum einrichten kann oder - was ich ja schon lange möchte, sind Rubriken – also wie man Rubriken aufstellt.
Sie können mich auch zum Essen einladen.
Schreiben Sie was Sie wollen**, aber bemühen Sie sich nicht mehr um schlaue Kommentare oder gute Ratschläge.


* schlauer Kommentar 1
"anhören"?



**schlauer Kommentar 2
"wollen"? wie jetzt.

13.09.06

Vive la pensée polyphone

Mein erster Gedanke beim Aufwachen ist immer eine kleine Erleuchtung. Das ist weil der Verstand noch schläfrig ist. Wenn der Verstand schon wach wäre, würde er den Gedanken aufhalten und prüfen und vermutlich für komplett banal befinden.
Aber der erste Gedanke schafft es, sich unbemerkt von der Traumwelt in das Bewusstsein zu schleichen. Er ist voller Gefühle und Erinnerungen und Farben und Klänge.
Er ist gleichzeitig Erinnerung und Wunsch. Er ist hinreissend, verblüffend. Er lässt alle Ausdehnungsrichtungen zu. Der genialste und der vollkommenste Einfall überhaupt, wie mir jeweils scheint, weil er stimmig ist. Er klingt auch mehrstimmig.
Aber sobald ich den Gedanken aufschreiben will, verstummt er augenblicklich. Der Verstand wacht auf, stellt diesen scheinbar undurchdachten hochstaplerischen Gedanken und verhaftet ihn. Führt ihn ab. So ungefähr.
Was ich dann aufschreibe ist nur noch die Protokollversion des Verstandes. Das Denken des Verstandes ist leider einstimmig und eindimensional.

12.09.06

Die Suche nach der grossen Liebe

Die Lösung ist nie das Nahe liegende.
Das Unangenehme, das, was undenkbar oder schwierig ist, das ist meistens die Lösung.
Das Nahe liegende ist meistens das Attraktivste. Das, was man sich wünscht und denkt, dass es gut für einen sei. Das scheinbar Passende.
Der Mensch ist aber zutiefst vernarrt in das Destruktive. Das, was ihn eigentlich zerstört.
Und das Zweitattraktivste wäre das Gesündere für ihn.

Aufgewacht um fünf

Jemand leckte mich wach. Ein mir völlig unbekannter Mann. Aber es war nur ein Traum.
Das blöde war, dass ich nun wach war und der fremde Mann nicht weitermachte.

10.09.06

Immer noch Berlin

Minka Winterberg wäre auch ein hübscher Name für mich, denke ich, während ich über den (richtig:) Winterfeldtmarkt schlendere.

Udo Jürgens auf dem Monitor in der U-Bahn. Er schüttelt seinen Fans von der Bühne herab die Hände. Hinter ihm steht ein weisser Sarg mit einem Blumengesteck. Ach nein. Es ist sein Flügel.

Ein junger Russe lächelt mich im Bus an. Ich kann ihn nicht anders beschreiben als - athletisch.

Er schlenkert mit dem Schwanz und glänzt mit geistiger Brillanz.

Kastanienallee. "Es ist Liebe" steht auf einem T-Shirt einer Frau. Es ist eigentlich die beste Antwort auf alle ungefragten Fragen.
Überhaupt, die weltweit originellsten Namen für Geschäfte und Cafés hier.

Postkarten. Eine Frau lacht laut und nimmt eine Postkarte aus dem Ständer. Sie geht damit in das Geschäft rein. Ich drehe den Ständer herum, um die lustige Karte zu sehen. "Du musst freundlich sein, wenn du ficken willst", steht auf der Karte. Während ich überlege, warum die Frau das wohl so gut fand, fällt mir ein, dass es ein paar ganz freundliche Menschen in Berlin gibt.
Im grossen Ganzen haben die Menschen aber eine eher unfreundliche Art hier. Als sei es Ausdruck von Dummheit, freundlich zu sein.


Horst oder Heinz Minki in der Schlesischen Strasse, zu dem ich wegen dem Minki reingehe. Ein Ort, der sich vorzüglich zum einsamen Verweilen an einem traurigen, verregneten Sonntag eignet, weil man zum Trost Brian Eno zu hören bekommt.

Das Anhalt mit dem exzellenten! Koch erinnert mich an ein Modellbauspiel in meiner Kindheit. Tankstelle spielen mit allem Drum und Dran.



Der wundervolle Augenblick, als er mir ins Ohr flüstert was er sieht und mein Blick seinen Worten folgend auf einmal begreift.

06.09.06

Berlin

Lied der Kanalpenner

Der Kanal hat Dampfer und Ladekähne.
Der Kanal hat Fischkähne auf seinem Rücken.
Der Kanal hat eine Wasserleiche im Herzen.
Das Herz ist das Schauhaus.
Der Kanal hat seinen Schuster geschluckt.
Der Schuster macht Schuhe für einen großen Fisch.
von Günter Bruno Fuchs.

Ich wohne bei Freunden am Landwehrkanal in Berlin. Das ist schön, weil ich vor 20 Jahren zum erstenmal vom Landwehrkanal in den wundersamen Erzählungen von G.B.Fuchs las, und mir damals überlegte, warum der Kanal Landwehr heisst. Vermutlich wegen der Feuerwehr, dachte ich.

Ich gehe am Landwehrkanal entlang, durch den Görlitzerpark, trinke im Hannibal einen Kaffee und weiter in die Oranienstrasse. Bei der Hausnummer 28 bleibe ich stehen. Hier muss doch diese Hinterhofgalerie "zinke" sein, die G.B.Fuchs mit seinem Verleger V.O. Stomps 1959 gegründet hatte. Ich hatte das diffus in Erinnerung. In der Galerie wurden Ausstellungen und Autorenlesungen veranstaltet. Aber die Tür zum Hinterhof ist abgeschlossen.
Ich gehe in das Antiquariat nebenan, aber der Buchhändler weiss auch nichts von einer Galerie im Hinterhof.
"Ich hatte einmal das Buch "zinke". Wenn Sie möchten, suche ich es." Er ist sehr freundlich. Ich bin entzückt.
"Oh ja, gerne."
Er findet das Buch in einer grossen Bücherkiste ganz unten. "Glück gehabt" sagt er, "die sind fertig für den Versand". Wir blättern gemeinsam in dem alten Ausstellungskatalog.
Ich stelle mir das Treiben zu der Zeit bohemenhaft vor. Lesungen und Diskussionen mit viel Zigarettenqualm und Kartoffelschnaps. Künstler und Autoren, die mit Taschenmachern und Textil-Praktikanten etwas für die Arbeiterbewegung tun.
Wir entdecken auf einem beigelegten und gefalteten Zeitungsartikel von 1959, dass das "zinke" tatsächlich im Hinterhof an der Oranienstrasse war, es war jedoch die Hausnummer 27.
Der Buchhändler strahlt. "Es ist immer so, dass die, welche mitten drin stehen gar nicht wissen, dass sie mitten drin sind." sagt er.
Er schliesst mir die Tür zum Hinterhof auf und ich kann das ganze in Ruhe inspizieren.
Da! An der Wand hängt eine kleine Gedenktafel.

Diese für Sie möglicherweise völlig unspektakuläre und unbedeutende Entdeckung ist für mich wie ein kleines aber bedeutsames Geschenk, das über Jahre in diffuses Wissen eingepackt war. Ich habe es nun mit Stolz ausgepackt.

Ich gehe weiter zum Hermannplatz und staune sehr. Das schöne an fremden Städten ist zuweilen das Gefühl wie auf einem fremden Planeten zu gehen, als sei die Stadt auf einer anderen Welt. Das unheimliche an fremden Städten ist aber das Wissen, dass ich in genau diesem Moment ein Teil der Stadt bin, also Teil unserer Welt.

Ich esse Süssigkeiten an jeder Ecke und fühle mich wie im Zuckerhimmel.

Am Abend gehe ich zu den Surfpoeten. Im Mudd Club wird nicht mehr geraucht. Alles wird gut.

30.07.06

Sommerpause

Ich bin im August auf Reisen.

29.07.06

Nussschnaps

Fortsetzung:Wie man sieht, haben die Baumnüsse im hochprozentigeren Grappa besser fermentiert und die Flaschen sind dunkler geworden.
Man siebt nun den Nussschnaps durch eine Windel und presst die Nüsse aus. Man gibt dem grünlich bitteren Gebräu Zucker zu, etwa 150 g pro Liter. Man filtert den Schnaps noch einmal während man ihn in Flaschen füllt.

Nun stellt man ihn in Keller und lässt ihn dort am besten ein Jahr lang stehen.
Ich habe seit 1993 jedes Jahr eine Flasche von meinem Nussschnaps aufbewahrt. Die restlichen habe ich alle verschenkt. Irgendwann im Winter werde ich mich durch alle 13 Jahrgänge durchprobieren. jeje.



27.07.06

Gewitter

Ich liege auf dem Sofa und bin unschlüssig. Gleich wird es ein Gewitter geben und es lohnt sich nicht mehr baden zu gehen. Alle sind draussen, liegen in den Freibädern auf ihren Frotteetüchern mit Delfin- oder Wellenmotiven und langweilen sich vermutlich. Sie tun etwas gegen die Langeweile indem sie zum Kiosk gehen. Dort kaufen sie ein Eis und packen es gleich aus. Wenn sie auf ihren Frotteetuchplätzchen zurück sind, ist das Eis schon halb gegessen. Dann sitzen sie da und überlegen, was sie nach dem Eisessen tun könnten. Die Frauen schauen, was die anderen Leute für Figuren haben und fühlen sich dicker oder weniger dick als sie. Dann richten sie ihr Oberteil zurecht oder fahren mit der Hand über das Schienbein und prüfen, ob schon Stoppeln zu spüren sind. Dann ist es wieder langweilig und sie gehen ins Wasser. Beim Aufstehen ziehen sie mit den Fingern die verrutschte Badehose über die Arschbacken. Wie jammerschade.
Ich liege auf dem Sofa und bin immer noch unschlüssig. Die Hitze ist lähmend und das Gewitter kommt nicht. Ich stehe auf und schaue in der Küche nach, ob ich dort vielleicht eine Idee finde. Das unabgewaschene Geschirr ist eine Idee, aber ich habe keine Lust etwas zu tun. Essen wäre was. Im Kühlschrank ist Gemüse, Salat, Pouletbrüstchen. Ich habe keine Lust zu kochen. Ich lege mich im Schlafzimmer quer aufs Bett und sehe alles von einer anderen Perspektive. Staub liegt in der Ecke. Ich könnte staubsaugen. Ich sollte wenigstens duschen. Die Zähne putzen hilft manchmal auch. Wie kann man nur so träge sein!
Ich überprüfe meine Möse, nur so. Sie ist nass. Die einzige hier, die weiss, was sie will. „Wenn du mich fragst...“ sagt sie, „...ich habe Lust!“
„Echt?“
Ich unterhalte mich gerne mit ihr.
„Und worauf hättest du jetzt Lust?“
„Auf den kleinen Durchsichtigen“ sagt sie. Es ist ihr Lieblingsdildo, weil er so wunderbar passt. Für mich ist es der unbekannte Schöngeist, der zu meiner Verblüffung all meine Vorlieben kennt und immer schon ahnte, was ich gerade will.
„Und was hältst du vom Neuen?“ frage ich um zu schauen, ob sie sich noch erinnert.
„Oh jajaja!“, sabbert sie. Mösen haben ein pawlowsches Gedächtnis.
Der Neue ist ganz anders. Er macht nämlich nichts so, wie ich es will und muss zu allem verführt werden, aber dann wird er ganz wild und ist nicht mehr zu bremsen. Ich stelle mir vor, dass er nach Urwald riecht. Dicht, schwer, einnehmend, verschlingend.
Das Gewitter bricht aus. Das ist gut, dann hören mich die Nachbarn nicht, bei offenem Fenster. Als ich komme, blitzt es. Ein beeindruckender Effekt. Bin ehrlich überrascht über diese Zeitgleichheit. Es tost und braust im Himmel als würden die Engel applaudieren.

26.07.06

Leben

Als ich heute aufwachte, fiel mir ein, dass mein Leben möglicherweise jetzt gar nicht zu Ende ist, sondern erst richtig losgeht. Mein Gefühl war bisher, dass ich ein wundervolles Leben gehabt habe, das nun aber mit dem Alter nur noch zu Ende geht. Es war aussergewöhnlich, mein Leben, intensiv. Doch die Möglichkeiten im Alter schrumpfen immer mehr auf ein Minimum. Ich fand das bitter. Vielleicht liegt in diesem Minimum aber die grösste Chance meines Lebens. Die wahre Freiheit, der wirkliche Genuss, das grosse Glück. Das ist doch auch nicht schlecht.
Es geht darum, geniessen zu lernen. Sich erlauben glücklich zu sein. Und wie schon das ganze Leben, geht es eigentlich nur darum, frei zu sein. Mit dem Minimum an Möglichkeiten.

Je vous écoute!

Ich höre Ihnen zu! ... sagen die Kellner in der Französischen Schweiz, wenn sie an den Tisch treten, um die Bestellung aufzunehmen.

25.07.06

Der Berner Sommer

Der Berner Sommer ist klasse. Obwohl ich arbeite, habe ich das Gefühl in den Ferien zu sein. Ich arbeite vormittags, dann gehe ich an die Aare. Die Aare ist ein Fluss, der sich durch Bern schlängelt. Alle Berner gehen im Sommer zum Fluss. Sie ziehen sich am Ufer aus und schlüpfen rasch in die Badehose. Sie machen das ohne Umstände. Ich frage mich, wie die das können. Ich muss das unauffällige Ausziehen noch üben: T-Shirt aus - Bikinioberteil an, das geht fix. Aber kaum habe ich die Hosen ausgezogen, werde ich nervös. Ich setze mich hin, presse die Beine zusammen, damit keiner dazwischen sehen kann. Mit zusammen gepressten Beinen rutscht der Slip aber schlecht. Ganz ruhig bleiben, rede ich mir zu, niemand schaut dir zu, es interessierst sich keine Sau für deinen Arsch. Ich ziehe sitzend meine Badehose bis zu den Knien hoch. Mist! Falschrum. Wie lange sitze ich jetzt schon nacktarschig da? Noch einmal ausziehen, andersrum anziehen. Geschafft!
Ich lege meine Sachen auf den Boden und decke sie mit einem Badetuch zu. Überall liegen Badetücher rum, die Kleiderhaufen zudecken. Die Leute laufen der Aare entlang ein Stück Stadtauswärts und schwimmen lachend und kreischend in die Stadt zurück. Einige fahren mit dem Tram aus der Stadt raus, packen ihre Kleider in Abfallsäcke, verschliessen die Säcke gut, binden sie mit einem Seil um den Bauch und schwimmen so ein grösseres Stück im Fluss in die Stadt zurück. Es gibt auch welche, die in Badehosen Tram fahren... im Sommer ist das normal hier. Man trifft alle Berner in Badehosen an.

Viele Leute springen auch von den Brücken obwohl es verboten ist. Verboten ist es, weil man dabei aus Versehen auf Schwimmende springen könnte. Aber das wissen alle und darum passen alle gut auf. Die Springer warten, bis der Fluss frei ist. Manchmal dauert das einige Minuten. An Sonntagen ziehen ununterbrochen hunderte von Köpfen auf der Wasseroberfläche vorbei. Der Fluss ist dann wie ein langer Teppich aus Köpfen. Die Leute auf der Brücke schauen alle und geben unaufgefordert ein Zeichen, wenn der Fluss frei ist. „Isch guet“ rufen sie. Sie wollen schliesslich das kleine Springspektakel sehen. Springen ist fantastisch. Ich bin auch gesprungen von etwa 10 Metern Höhe. Das Wasser ist warm: 21°.

Ich treffe an der Aare immer viele Bekannte. Wir gehen ein Stück gemeinsam Flussaufwärts und plaudern. Alle reden miteinander, auch die, die sich nicht kennen, weil alle gemeinsam auf dem Uferweg gehen und man sich dabei so gut unterhalten kann. Dann gehen die einen ins Wasser, die anderen spazieren noch ein Stück weiter. Später trifft man sich wieder und redet weiter.
Die Freibäder in Bern sind gratis. Das ist das schöne an Bern. Ich gehe immer ins Marzili direkt an der Aare. Im Marzilibad gibt es eine gut abgeschirmte Zone nur für Frauen. Dort sind alle Frauen nackt. Die Zone heisst Paradiesli. Ich gehe ins Paradiesli um mich auszuruhen, wenn ich genug vom Laufen und Schwimmen habe. Manch einer wüsste gerne, was sich im Paradiesli abspielt. Von den Frauen, die dort waren, erfährt man aber nichts. Es ist ein Geheimnis, welches erhitzte Köpfe mit Lesben- oder Haremshalluzinationen zu lüften versuchen.
Von mir werden Sie auch nichts erfahren. Halluzinationen sind ein guter Zeitvertreib in der brütenden Hitze.

24.07.06

Das Herz in Person

Ich rufe meine Mutter an wenn ich eine Garten- oder Küchenfrage habe. Sie ist die zuverlässigste Informationsquelle für diese Belange. Die anderen Belange, wie Männer oder Vorhänge haben sich eher als problematisch mit ihr erwiesen.
„Ich weiss so wenig über dich!“ beklagt sie sich. „Warum stellst du mir nicht mal deinen neuen Freund vor oder erzählst mir etwas von ihm.“
„Wenn ich dir von meinem neuen Freund erzähle, schliesst du ihn wie einen Schwiegersohn in dein Herz und dann bricht es dir das Herz, weil du ihn wieder raus lassen musst, wenn ich einen Neuen habe.“
„Das stimmt nicht, dass ich ihn rauslasse. Ich lasse ihn drin. Mein Herz ist gross genug für alle!“
„Eigentlich rufe ich an, weil ich Stachelbeergelee gemacht habe, und es aber nicht geliert hat...“
„Hast du reife Stachelbeeren genommen?“ unterbricht sie mich.
„Ja“
„Reife Stachelbeeren gelieren nie, mein Kind.“
„Und wie kann ich das Gelee nun retten?“
„Agar-Agar. Das ist ein Algenpulver. Damit kochst du das Gelee noch einmal auf und rettest es.“
Meine Mutter könnte die Welt retten mit ihrem Herzen.

21.07.06

Drum’n’Bass

So lustig, die Berner Spässe 3

„... die Musikrichtung war eher so Tram und Bus.“

19.07.06

Rätselrunde

Ich hätte Ihnen wenigstens noch ein Rätsel hinterlassen können, wie es Frau Isa schlauerweise getan hat. Ich kannte ihr Rätsel nicht und überlegte lange. Ich liebe ja Rätsel über alles. Als ich dann dahinter kam, war ich überglücklich. Aber es war mir peinlich, dass ich zehn Minuten dafür brauchte.

Ich habe nun auch ein schönes Rätsel für die Sommerpause. Es ist mein Lieblingsrätsel:

In welchen Kleidern geht die Sonne unter?

03.07.06

Zu

Hier ist eine Woche zu.

Nussschnaps

Man sammelt die Baumnüsse am Johannistag, wenn sie noch grün sind. Man zerkleinert sie. Dann legt man sie in Grappa, am besten selbst gebrannten, hochprozentigen, gibt etwas Vanille, Zimt, Muskatblüten und Nelken dazu und lässt die Gläser 4 Wochen in der Sonne stehen. Fortsetzung folgt.

Ankerbild



29.06.06

Eidgenosse

Ich wunderte mich ein wenig, als ich unter diesem Gesellen hindurch zur Ausgangstür ging. Ich dachte: Sie sind schon lustig aber auch eigenartig, die Berner Spässe.
Erst im Nachinein sah ich, dass ich im Zunfthaus zu Metzgern war.

25.06.06

Wie ich schlagartig erwachte, oder warum man die Wirkung aufgehängter Bilder nicht unterschätzen sollte.

Wenn man Teewasser mit einem elektrischen Wasserkocher auf dem Gasherd heiss macht, und einem erst dann langsam dämmert, dass etwas falsch ist, wenn es nach verbranntem Plastik riecht und dunkler, schwarzer Rauch über den Stichflammen aufsteigt, dann ist man definitiv noch nicht wach.

Es gibt aber für alles immer noch eine andere Erklärung. Mindestens eine.
Als ich nämlich den brennenden Wasserkocher rasch vom Gasherd nahm und mich in der Küche umsah, wohin ich das schmelzende Teil schmeissen könnte, fiel mein Blick sofort auf das Poster an der Wand.
Sie!
Mein Besuch aus Berlin hatte mir dieses Plakat mitgebracht, eine Ausstellung von Sterling Ruby in Milano. Meine Freunde hatten an mich gedacht, als sie das Bild gesehen hatten: Eine muskulöse Frau mit einem komischen Kerzenständer. Ein seltsames Bild. Und warum an mich gedacht? Manchmal lösen sich Rätsel, wenn man die Dinge wirken lässt und nicht viel daran rumstudiert. Ich hängte das Bild in der Küche auf.
Der Wasserkocher wurde langsam heiss in der Hand und pechschwarze Tropfen fielen auf meinen Afghanischen Teppich. Während ich sie betrachtete, wie sie mit ihren breiten Armen und dem Gesicht im Dunkeln wie eine unheilvolle Türsteherin über die Geschehnisse wachte, wurde ich schlagartig wach. Ich bin ja nicht abergläubisch. Ganz und gar nicht. Aber mir wurde sofort klar, wer an diesem sonderbaren Unglück schuld war.

23.06.06

Rebellinnen begegnen sich

Eine Frau fragte mich, was mutines heisst, als ich vor der Bibliothek das Foto machte.
"Rebellinnen", sagte ich. Sie lächelte. Sie trug ein Le Tigre T-Shirt. Sie sah irre gut darin aus. Ich sagte es ihr. "Es ist auch eine irre gute Band", sagte sie. Ich kannte die Band nicht.

22.06.06

Prioritäten

Ich habe keine Zeit für die Fussball WM. Ich frage mich jeden Tag, woher die Leute all die Zeit zum Schauen nehmen. Ich habe nicht einmal für mein alltägliches Leben genug Zeit. Nicht genug für meinen Liebhaber, nicht genug für meine Freunde.
Es ist eine Frage der Prioritäten. Tragen mich meine eigenen Beine durch das Leben, oder lebe ich dafür, den tribbelnden kleinen Männchen auf dem Rasen zuzuschauen?
Das Angebot an abendfüllender Unterhaltung ist überpräsent und günstig wie selten.
Ich lasse mich auch gerne unterhalten. Es sieht aber ganz danach aus, als müsste ich mir meine Prioritäten teuer erkaufen.
Zum Beispiel mit Season of the Horse im Kellerkino.
Das Unterhaltsame beim Kino beginnt schon beim Billetkauf, wenn der rothaarige Student sich verrechnet und man ihm den richtigen Preis vorschlägt. Satte 51 Franken für drei Billete immerhin. Und während er laut nachrechnet und Zahlen wie Würfelaugen zu blinzeln beginnen, Summen sich überschlagen, schlägt man ihm vor, dass man eigentlich genauso gut um den Preis würfeln könnte. Dann lacht er zustimmend, und man merkt, dass er jeden Leichtsinn in Erwägung ziehen würde, der ihn aus diesem Kinobilletverkaufsschalterhäuschen spicken würde.

Das spannende am Kellerkino ist, dass der Student in der Pause die riesigen Filmrollen wechselt und danach die Zuschauer mit einer kleinen Glocke an ihre Plätze zurückmahnt.
Es erinnert mich an unsere Jeune-filles. So hiessen die Kindermädchen, die aus der Deutschen Schweiz ins Welschland kamen, um Französisch zu lernen. Jeune-filles klingt mit Deutschem Accent so: Schön-fies.
Sie klingelten jedenfalls auch mit einer Handglocke. Immer mittags und abends läuteten sie uns Kinder und die Pensionäre, die in den oberen Stockwerken im Haus wohnten aus den Zimmern an den Esstisch.
Zurück ins Kellerkino. Der Film war ergreifend.
Es geht um den Zerfall des Nomadentums. Der Regisseur Nin Cai hat das Drehbuch geschrieben und spielt selber die Hauptrolle. Er rechnet nebenbei mit den Künstlern, den Beamten, den Städtern, den Händlern und den Werbefritzen ab.
Ich habe vom Anfang bis zum Ende des Filmes geheult. Es ist meine eigene Geschichte, die vor meinen Augen ablief, und es rührte mich zu Tränen, das zu sehen.
Werde ich mich jemals an die Sesshaftigkeit gewöhnen?
Mais c’est une solution foutue d’être nomade aujourd’hui.
In der Mongolei haben die Nomaden die Dürre am Hals.
Hast du nicht die Dürre, hast du die Grünen an der Backe. Das sage ich jetzt lachend. Und wenn ich wüsste, wie man hier die Wörter streicht, würde ich die Grünen streichen und die Tierschützer schreiben. Streichen. Die EU. Streichen. Das Hochwasser. Die Seuchen. Auf jeden Fall hast du nichts zu lachen.
Es ist ein Film, der im ersten Moment harmlos scheint, aber er zeigt weit mehr als man verstehen oder sehen kann.

20.06.06

Holunderblütenwein

Ich habe neulich den ganzen Nachmittag die Holunderblüten sorgfältig von den Stängeln getrennt.
Ein Kilogramm Blüten.
Fünfzehn Liter Wasser. Quellwasser vom Glasbrunnen, welches scheinbar vom Jungfraugebiet stammt und tief unter der Erde die lange Strecke bis in den Bremgartenwald ausgesucht hat.
Reinhefe. Ein Löffelchen in ein Glas Apfelsaft, zwei Tage zuvor angesetzt.
Vier Kilo Zucker und hundert Gramm Zitronensäure.
Ich habe alles in einen Glasballon gefüllt und eine Handvoll Rosinen dazu gegeben für die goldene Farbe, Gärverschluss drauf. Fertig.
Täglich sanft schwenken. Sanft.
Nun blubbert der Holunderblütenwein gelassen vor sich hin.
Er gärt.
Wie mein Leben. Im Moment.
Am besten lässt man den Wein in Ruhe gären. Es braucht geduld. Er blubbert und schmeckt grauenvoll. Unausstehlich.

Aber man kann davon ausgehen, dass es ein guter Jahrgang wird.
Man sollte ihn jung trinken, zum Beispiel an einem milden Spätsommerabend.
Dummerweise heissen die Tage dann Altweibertage, fällt mir gerade ein. Aber so ist das jetzt nicht gemeint. Das mit dem alt wollte ich à tout prix vermeiden. Jedenfalls sollte man den Holunderblütenwein nicht zu lange im Keller rumstehen lassen. So.

18.06.06

Marqués De Murrieta crianza 2002

Und wenn so eine arme Frau wie ich nach Feierabend durch die Ladenregale hastet um sich vor Ladenschluss noch einen Genuss zu gönnen... was findet sie dann?


Natürlich konnte ich einer solchen Weinanpreisung nicht widerstehen!

Frage mich, in welcher Stimmung der Texter (oder war es doch eher eine Texterin) wohl gewesen sein muss um auf diese Formulierung zu kommen.

Das erstaunliche an der ganzen Sache ist: Er war vorzüglich.

17.06.06

Übername

Bonjour Tibaut. Ich hatte den Namen noch nie gehört und vergass ihn gleich wieder. Im Laufe unseres Gespräches versuchte ich mich zu erinnern und nannte ihn leichtsinnig Tijoli. Er lächelte. Ich verbesserte mich aber gleich: Toubeau.
Gegen Morgen, als ich der Verlockung nicht mehr widerstehen konnte und den Drachen an seinem Gürtel, der wie ein Hüter seinen Schatz bewachte, überwunden hatte, nannte ich ihn schwärmerisch und etwas nachdringlicher Thibeauté,
Gibt es das Wort nachdringlich überhaupt? Oder ist es eine meiner beliebten Wortmischungen aus - nachdrücklich und aufdringlich?
Au revoir Beauté, sagte ich ihm, als er ging.

...

Les histoires d'amour finissent mal,
en général
Yeah yé yé yé wâouh

13.06.06

12.06.06

Komplimentieren Sie bitte!

Komplimente sind wie Dünger. Man kann förmlich zusehen, wie die Menschen aufblühen.

08.06.06

Frühlingsdüfte

An frisch gemähten Wiesen entlang gehen
Den Geruch von wildem Salbei deutlich erkennen aber vergeblich danach suchen.

Am Rauch eines Feuers erkennen, welches Holz verbrannt wird.

Nach der Unterführung plötzlich Holunderblüten atmen, als lauerte der Holunder genau dort darauf, mich mit seinem Duft zu überfallen.



In einem Tannenwald stehen, besessen von genau diesem Duft

Rire ou pleurer

Wenn Weinen die Seele reinigt, dann habe ich jetzt wochenlang gründlichen Frühlingsputz gemacht.
Wobei Lachen die Seele vermutlich genauso hätte durchputzen können.
Eine Frage des Putzmittels also

07.06.06

Vom Schneckenhonig, oder warum Holunder wie Geisterpisse riecht

Auf meinem Abendspaziergang wurde ich vom Duft der Holunderblüten überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Holunder schon soweit ist. Ich brach ein paar Blütendolden für eine Limonade ab. Der etwas herbe Geruch des Holunders erinnert mich immer an Geisterpisse.
Und das hat einen guten Grund:
Als Kind habe ich die Holunderblüten immer von den Bäumen bei den Ställen auf den Rinderweiden gesammelt. Dort konnte ich auf das Stalldach klettern und an die prächtigsten Blütendolden gelangen, die ja beim Holunder immer zuoberst im Baum wachsen. Ein alter Bauer hatte mir einmal erklärt, dass um die Ställe herum die Kräuter am besten gedeihen, weil der Boden so gut gedüngt ist. Die Sauerampfer, der gute Heinrich und die Brunnenkresse. Und natürlich der Holunder. Der alte Mann sagte auch, dass die Geister dort wohnen, wo der Holunder wächst. Die guten Geister. Darum lässt man den Holunder immer bei Ställen stehen, obwohl er manchmal so dicht an der Stallwand wächst, dass er mit der Zeit die Bretter der Stallwand eindrückt.
Von da an wusste ich, warum der Holunder so eigenartig herb riecht. Er wird von den Geistern gedüngt. Mir war auf einmal sonnenklar: Holunder riecht nach Geisterpisse. Da es gute Geister sind, ist der Duft zwar etwas unheimlich, aber nicht unangenehm.
Wenn ich an den alten Mann denke, fällt mir auch die Geschichte mit den Schnecken ein:
Derselbe alte Bauer kam zwanzig Jahre später des Weges, inzwischen war er uralt geworden, mit einer Plastiktüte in der Hand. Es war Herbst und ich hütete die Schafe an der Bergstrasse. Er blieb neben mir stehen und wir schauten eine Weile zusammen stumm über die weidenden Schafe. Weil er nach einer weiteren Weile immer noch nichts sagte, fragte ich ihn, wohin er unterwegs sei.
„Zu dir!“, sagte er, und streckte mir die Tüte hin. „Ich habe Schnecken für dich mitgebracht.“
„Schnecken?“ rief ich erschrocken. Mir wurde bei dem Gedanken, eine riesige Schüssel voller Schnecken aufzuessen ein wenig mulmig im Magen. Oder brachte mir der Irre etwa eine Tüte voller Gartenschnecken? Ich traute ihm alles zu.
Ein alter Bergamasker Schäfer hatte mir einmal selbst gemachten Hustensirup in einem Einmachglas angeboten. Es waren in Zucker aufgelöste Schnecken. Süsser Schneckenschleim wirkt Wunder, raunte er mir zu, während er seinen knorrigen Finger tief im braunen Zuckerschleim herumdrehte und rasch in den Mund führte.
Ich nahm dem alten Schneckensammler die Tüte ab. „So viele Schnecken?“, fügte ich erstaunt hinzu, aber meine Stimme klang sehr beunruhigt.
Jetzt lachte der Alte herzhaft: „Zwetschgen!“, sagte er, „es sind Zwetschgen, nicht Schnecken. Ich habe dich jetzt schön erschreckt, nicht wahr?“, und er strahlte vergnügt bis über beide Ohren.

31.05.06

24.05.06

Fussball

Ich mochte noch nie Fussball. Und ich mag Männer nicht, die Fussball mögen. Ich ging ihnen bisher vermutlich unbewusst aus dem Weg. Natürlich machte ich Ausnahmen, weil die meisten Männer - auch wenn sie keinen Hut tragen - irgendwo doch etwas mit Fussball am Hut haben. Und ich mag schliesslich Männer. Einmal war ich sogar bereit mich mit einem Mann einzulassen, der in seiner Küche eine St.Pauli Fahne an der Wand hängen hatte. Aber es wurde doch nichts mit uns, weil er Beatles hörte. Nichts gegen die Beatles jetzt. Aber irgendwann ist die Toleranzgrenze überschritten... Ach, was ich eigentlich erzählen will, hat sowieso nichts damit zu tun.
Der Grund, warum ich keinen Fussball mag ist nicht etwa, weil ich eine Frau bin. So einfach ist das mit der Genderfrage auch hier nicht. Aber ich schweife jetzt besser nicht schon wieder ab.
Es hat mit einer Fussballverletzung zu tun.
Es war so:
Ich war acht und er hiess Didier.
Ich fand ihn nett und wollte mit ihm am See Schwäne füttern. Ich zeigte ihm meine Tüte mit getrocknetem Brot für die Schwäne, was ihn aber nicht beeindruckte. Er fand mich doof und wollte Fussball spielen. Dann wollte ich eben auch mitspielen. Die anderen Jungs nahmen mich in die Mannschaft auf. Ich rannte die ganze Zeit mit meiner erwartungsvoll knisternden Tüte voll Brot für die Schwäne in der Hand hinter dem Ball her. Didier versuchte mir den Ball wegzunehmen. Wir bückten uns beide über den Ball, als er plötzlich hochschnellte und mir mit seinem Kopf einen Kinnhaken verpasste. Versehentlich. Ich fiel in Ohnmacht. Als ich zu mir kam blutete ich aus dem Mund. Ich dachte ich würde vielleicht sterben, weil ich von irgendwoher wusste, dass man aus dem Mund blutet, wenn man stirbt.
Zum Glück war nur ein Schneidezahn gestorben. Aber je pupertierender ich wurde, desto dunkler wurde der tote Zahn. Ich hasste meinen schwarzen Schneidezahn. Wobei ich ja noch Glück hatte: Mein Nachbar Raoul hatte vorne einen Silberzahn. Ich fand, dass es bescheuert aussah. Aber Raoul war immer guter Laune und lachte die ganze Zeit. Mit seinem Silberzahn.
Ich jedenfalls beschloss nicht mehr zu lachen, bis ich zwanzig würde. So würde niemand meinen schwarzen Zahn sehen. Mit zwanzig Jahren, versprach man mir, würde ich einen neuen, ganz weissen Zahn bekommen. Dann würde ich wieder lachen können.
Aber eigentlich wollte ich etwas ganz anderes erzählen. Worauf ich nämlich hinaus will ist folgendes:

Ich spiele neuerdings Fussball.
Meine Nachbarin hat mich dazu gebracht. Es sind Leute aus ihrem Bekanntenkreis, eine gemischte Gruppe, Männer und Frauen, was mir am Anfang etwas problematisch vorkam. Ich befürchtete, die Männer würden uns Frauen keine Chancen lassen, oder aus übermässiger Rücksicht nicht richtig spielen. Aber am meisten fürchtete ich mich vor Verletzungen. Nicht blaue Flecken am Schienbein, ich spreche von zertrümmerten Knien, Bänderrissen, von meinem gestorbenen Schneidezahn, solchen Geschichten.
Oder noch schlimmer: Von inneren Verletzungen, wie Eifersucht und solchen Szenen.
Die Männer in der Gruppe spielen aber sehr fair. Gerade so brutal, dass wir Frauen sie noch für richtige Fussball Helden halten, und so zuvorkommend und verständnisvoll, dass wir sie nicht als Weicheier einstufen. Ihr Spiel ist eine Gradwanderung zwischen Egoismus und Anerkennung.
Wie im richtigen Leben.
Gefährlich sind eher die Frauen.
Die Frauen in der Mannschaft spielen den Ball grundsätzlich in die Luft hinauf und schwingen dabei den Fuss so hoch wie möglich hinterher. Dabei geraten sie schon auch mal versehentlich an ein Schienbein oder an eine Rippe. Es spielt eigentlich gar keine Rolle, wohin sie den Ball schiessen. Hauptsache weg. Ich bekam einmal den Ball mit voller Wucht in den Bauch, aber man lernt schnell, sich reflexartig geduckt abzuwenden sobald eine Frau am Ball ist, dann bleibt auch der Kopf verschont.

Es macht trotzdem Spass Fussball zu spielen. Wirklich. Einigermassen bedenklich finde ich den Spass aber seit heute, als mir meine Nachbarin ihre neu gekauften Fussballschuhe gezeigt hat, mit Noppen.
Ja. Noppen.
Sie kennen doch die Bilder von Egon Schiele. Ich fand immer, dass Schieles Frauen so grün und blau geschlagen aussehen.
Das fällt mir gerade ein, wenn ich meinen grünblau gefleckten Körper betrachte.
Ich wage es gar nicht mir auszumalen, wie meine blaugrünen Flecken mit zusätzlich dunkelrot genoppten Blutergüssen aussehen.
Schielesk.

23.05.06

Déjà-vu-Gefühl

Das kommt mir bekannt vor. Vom Gefühl her. Möchte die Ausstellung unbedingt sehen.

22.05.06

Marillenlikör

Samstag:
im Dialekt des Alkoholgeistes gesungen:

Heut sammer blau
und morgen, wer weiss das genau
wie d’Vögel so leicht
oder im Grab drunten vielleicht

du bist der Prinz von Sansibar
und ich die Mauretanierin an der Bar

Wie’n Drosselei sammer so blau
und morgen, wer weiss das genau
von’nem radioaktiven Regen ’bleicht
oder vom Intercity den Schienen an’gleicht

du bist der Prinz von Sansibar
und ich die Mauretanierin an der Bar

...


Sonntag:
leicht angegleicht
Der Kater vom Likör ist nichts dagegen. Ich hab einen ganzen Streichelzoo im Kopf.

19.05.06

Der Reiz des Aufsparens

Meine Freundin Zhu sagte noch: Minka, du musst den Braten essen, wenn er heiss ist.
Man kann sich aber auch die Zunge verbrennen, wenn man zu gierig isst, dachte ich.
Ich wollte ihn mir lieber für später aufsparen. Für nachher. Wenn es mit dem jungen Liebhaber zu Ende ist.
Doch manchmal, wenn man sich zu lange etwas aufspart, verschwindet es plötzlich. Oder man verliert es. Es kann auch bedeutungslos werden. Oder völlig aus der Mode kommen, wie das seidene Kleid, das ich vor zwanzig Jahren in Paris gekauft hatte. Ich nannte es mein Chagall-Kleid, weil es wie das Blau der Chagall-Fenster im Zürcher Fraumünster leuchtete. Ich sparte es für eine ganz besondere Gelegenheit auf, die aber nie kam. Dann, als es plötzlich besondere Gelegenheiten gab, war es démodé.
Ich sparte mir als Kind auch das Ei auf dem Teller bis zuletzt auf, und ass zuerst tapfer die Kartoffeln und den Spinat. Dann kam immer das beste am Schluss. Damit kann man erstmal weiterleben. Aufsparen hat eben schon seinen Reiz. Ich könnte sogar ganz genau sagen, was für ein herrlicher Reiz im Aufsparen liegt. Aber der Reiz hat es gerade mit mir verspielt. Es kann eben auch daneben gehen.
Und nun ist er weg, er, den ich mir für später aufsparen wollte. Verschwunden.

Garcia Marquez schreibt irgendwo - wenn ich mich recht erinnere - dass es im Leben nur eine begrenzte Anzahl an Fickmöglichkeiten gibt. Nimmt man sie nicht wahr, gehen sie unwiederbringlich verloren.
Wobei ich unwiederbringlich in diesem Zusammenhang weder bedrohlich noch traurig finde. Eher die begrenzte Anzahl beunruhigt mich ein wenig.

17.05.06

...

Der tranceartige Zustand von Schlafmangel. Seit zwei Tagen.

16.05.06

Wie alles anfing

Houellebecq, bei dem ich jedes Mal nachsehen muss, wie man ihn schreibt, hat mich quasi auf mein erstes Weblog gebracht. Ich suchte damals im Internet, wie man den Namen ausspricht. Ich behauptete nämlich (und tu es immer noch), dass man ihn französisch aussprechen muss: ’oulle-bek. Meine Arbeitskollegen meinten dagegen, es müsse englisch klingen: wel-bek. Wikipedia gibt ihnen dummerweise Recht. Aber ich googelte so lange weiter, bis ich eine Seite finden würde, die ihn französisch ausspräche. Doch unterwegs verlor ich meine anfängliche Absicht schnell und verfolgte bereits eine andere Spur - ich glaube es war die Buchmesse in Frankfurt – als ich unverhofft auf dem ... is a blog landete. Ich war völlig begeistert von dem, was ich da entdeckt hatte. Ich las Einträge und Kommentare und ältere Einträge, und die Frau, die das schrieb, wurde mir immer sympathischer. Ein paar Wochen lang besuchte ich täglich ihren Blog und ich las ihre vielfältigen, kleinen, schönen und liebevoll erzählten Geschichten des Alltags mit grossem Genuss. Bald entdeckte ich auch weitere Blogs, entwickelte meine persönlichen Vorlieben und merkte auch, dass ich mit dem ...is a blog eine der wenigen Perlen im Saufutter gefunden hatte. Das ist vermutlich ungeschickt ausgedrückt jetzt. Aber‚Nadel im Misthaufen’ ist wohl auch nicht besser.
Bleiben wir also bei den Perlen, die vor die Säue geworfen werden.
Ich stosse natürlich, wenn ich ab und zu durch das knietiefe Schweinefutter wate, immer wieder auf kostbare Perlen. Dann ziehe ich sie zu meiner Kette auf, und rolle fast täglich, wie ein Rosenkranz, Perle für Perle ab, was jedes Mal kleine Seufzer des Staunens, der Bewunderung und Dankbarkeit in mir hervorruft.

14.05.06

...


Ein Mann lebt sein Leben geistreich und voller Frauenbilder.


13.05.06

Trouvaille

Wenn du, werte Leserin, zum Wochenende einen Pornofilm ganz nach deinem Geschmack sehen willst, dann habe ich bei .txt (tausend Dank) diesen Frauenporno für dich gefunden.
Die sympathische Erika Lust hat den zwanzigminutigen Film produziert und er kann kostenlos bei ihrem Blog runtergeladen werden.
Der Kerl im Film ist wirklich lecker und seine zurückhaltende und doch aufmerksame Art ist unwiderstehlich. Du möchtest am liebsten rausfinden, wie er riecht, und sobald die Darstellerin seinen Schwanz im Mund hat, willst du nur eines: Auch wissen wie er schmeckt.
Du wirst erleichtert sein, dass die zwei Frauen keine Silikonbrüste und keine braun umrandeten Lippen haben, und du wirst dich auf anhieb in ihren süssen Akzent verlieben.
Du wirst bestimmt deine Lieblingsstellung wiederfinden und spätestens in dem Moment wird sich alles an dir daran erinnern,
und du wirst komplett in die Handlung eintauchen...

Und werte Alle: Ich möchte mich jetzt nicht über Gender- oder Genrefragen auslassen.
Vielmehr scheine ich etwas entdeckt zu haben, was mir gut gefällt und falls Jemand noch so eine Trouvaille für mich hat: Her damit!
hehehe

10.05.06

Schafskälte

Heute Morgen geisterten die Eisheiligen in ihren Nebelgewändern und Dunstschleiern durch die Gassen...

Rücken oder Arsch, oder wie Bezeichnungen für Brotformen bei meiner Lieblingsbäckereiverkäuferin ganz einfach auf der Hand liegen

Arsch oder Rücken? fragt mich jeden Morgen die Bäckerei Verkäuferin, während sie die zwei aneinander geklebten Sankt-Galler Brote mit ihren mehlbestäubten, unglaublich muskulösen Händen voneinander trennt. Sie schaut mich fragend an und präsentiert mir auf Busenhöhe die zwei ungleich runden Brote. Ich sage jedes Mal: „Den Arsch natürlich!“
Sie weiss es. Und trotzdem fragt sie mich jeden Morgen.
Mir gefällt es, wie sie die zwei Brote in den Händen wiegt, während ihre Worte noch wie ein Hauptgewinn im Raume schweben. Und ich mag es, morgens um halb sieben „Geben Sie mir ruhig den Arsch!“ zu antworten ohne rot zu werden.
Dann packt sie mir das rundere der beiden Brotteile ein und lächelt wie ein Engel.

09.05.06

Blue Hole
Selten solch berauschende Sogwirkung beim Lesen verspürt.

08.05.06

Coupe Dänemark

Warum heisst die Kombination von Vanilleglace mit heisser Schokoladensauce eigentlich Coupe Dänemark?

05.05.06

Bagger



Heute zum ersten Mal begriffen, dass Männer mit der gleichen Faszination einer Frau beim Tanzen zusehen, wie Buben einem Bagger auf der Baustelle.

04.05.06

Veränderung und Kontinuität

Täglich neue 'Zumerstenmale':

Heute: Zum ersten Mal nervös geworden bei dem Gedanken Chefin zu werden.
Es wird ernst.

Und auch: Zum ersten Mal Minigolf gespielt.

03.05.06

Sportsgeister

Ich jogge jetzt.
Zum ersten Mal im Leben.
Das stimmt wirklich. Das mit dem ersten Mal.
Ich hätte es niemals geschafft alleine joggen zu gehen.
Nach drei Minuten hätte ich aufgegeben.
Darum bin ich zum Turnverein Bern gegangen und habe gesagt:
Guten Tag, ich möchte joggen.
Der Verein war hocherfreut und hat mir eine Trainerin zugeteilt.
Eine junge, super sportliche Leichtathletikerin mit Pferdeschwanz und sportlichem Lachen und mit einem Sportsblick, der mich zum auf der Stelle Trippeln bringt.
Ich bin wie gesagt nach drei Minuten joggen fix und fertig und möchte aufgeben. Möchte lieber gar nie mit Joggen angefangen haben. Aber meine Trainerin zieht mich weiter mit ihrem Sportsgeist, der uns wie ein geisterhaftes Band verbindet, ich schaue von der Seite auf ihren wedelnden Rossschwanz und ihre kleinen, sportlichen Brüste und denke: Alles an ihr freut sich. Lacht. Wie schön. Ich gebe nicht auf.
Ich habe all meinen Freundinnen gesagt, dass sie mit uns joggen kommen können. (Ich habe meiner Trainerin bereits beim ersten Mal mein ganzes Leben und was ich über Sport denke erzählt, und wir brauchen neuen Gesprächsstoff.) Aber sie hassen joggen. Ich habe es nicht anders erwartet. Es sind ja schliesslich meine Freundinnen. „Warum joggst du, Minka,“ fragen sie mich, „das ist das doofste, was man machen kann. Bist du auf Glückshormone aus? Hast du dir mal die Jogger angesehen, wie die aussehen? Willst du so werden wie die?“ drohen sie mir.
Ich sehe hunderte von Joggern, wenn ich jogge. Tausende. Sie rennen alle an der Aare entlang zwischen sechs und acht Uhr, mit engen oder kurzen Sportshosen. Überholen mich. Sprinten mir entgegen, kreuzen mich, atmen mit offenen Mündern geräuschvoll aus und hinterlassen sportliche Gerüche. Ich traue mich nie so richtig hinzuschauen.
Ich überlege mir, ob ich mit Volleyball oder Pingpong anfangen soll.
Aber das Joggen gebe ich nicht so schnell auf.
Mein Körper lacht.

24.04.06

Alles ist Wurst, oder an manchen Tagen ist es zum aus der Haut fahren

Seit einer Weile beschäftigt mich dieser Aphorismus, den ich letztens las: “Vegetarier werden nicht älter, sie sehen nur so aus!” Irgendwie hübsch der Spruch.
Vielleicht geht mir dieser Satz auch nicht aus dem Kopf weil ich ihn beim Autofahren an der Rückseite des vor mir fahrenden Metzgereifachbedarfs-Lieferanten las. Als ich ihn überholte zwinkerte er mir mit seinen listigen kleinen Äuglein zu.
So und was kommt jetzt?
Ich kann nicht verstehen, wie man es geniessen kann, Kadaver zu essen? oder: All diä Tierlifrässer, wo diä armä Tierli tödäd wo doch nüt defür chönnd? Oder:
Wie erlebe ich Vegetarierinnen?

Nun es gibt ganz Verschiedene. Zum Beispiel solche, die ständig Früchte essen. Eigentlich würden sie am liebsten alles auffressen: Mich, Dich, Alle. So sieht es jedenfalls aus wenn sie sich ihre Früchteschalen zubereiten. Aber sie würden es niemals zugeben. Vielleicht wissen sie es nicht einmal. Vegetarierinnen sind gut im Verdrängen. Und was mich etwas beunruhigt: Früchte-Vegetarierinnen wirken blass. Und sauer. So, als müssten sie ständig in den sauren Apfel des Lebens beissen.
Sie sind saurer und blasser als Salat-Vegetarierinnen, deren Körper mit den Jahren durchsichtig und sehnig wie Blattfasern erscheinen. Salat-Vegetarierinnen wirken wie phantomhafte Gestalten die alle Lebenden durch ein ereignisloses, blutleeres Innenleben zu überzeugen versuchen. Die Gewissheit der überlegenen Bescheidenheit treibt sie an: Ein Salat der blüht hat doch sein Ziel verfehlt.

Unerträglich milde und nett, und dennoch von einem beängstigenden missionarischen Eifer getrieben sind Körner-Vegetarierinnen. Aber leider kriegen sie auch durch strengste Kontrollen nicht alles auf dieser Welt in den Griff. Immer bleibt noch was zum schrotten übrig. Doch der innere General liegt ständig auf der Lauer. Besonders wenn sie noch nicht Marathonläuferinnen geworden sind und noch keiner militärischen Eliteeinheit angehören.
Apropos General: Spätestens seit der Mann mit dem kleinen Schnäuzchen Europa im letzten Jahrhundert besucht hat, könnten wir wissen, dass Vegetarier nicht unbedingt die friedfertigeren Menschen sind.

Dann die Schokolade-Vegetarierinnen. Irgendwie brauchen sie schon noch so einen Kick, dass etwas geht im Leben. Doch die Nasenscheidewand ist bei ihnen meist schon zu sehr ruiniert. Schoggi muss reichen. Eigentlich würden sie schon Fleisch essen, aber das holt sie einfach zu sehr runter. Und mit Schoggi bleibt man echt schlank, zumindest solange man nicht wirklich was anderes dazu isst.

Gut sind auch die Soja-Vegetarierinnen. Ich meine diese ernährungsbewussten Business-Ladies bei denen in der Küche das ganze Sideboard voll Fleischimitat-Konservendosen steht. Garantiert fleischfreie Grillbratwurst aus 100% Vollwertweizen-Pilz. Ja super. Wer die Imitation kennt verzichtet gerne auf sein Leben.

Nun meine werten vollwertigen Vegetarierinnen, ist es wohl Zeit euch zu sagen, dass ihr nicht gemeint seid. Ich meine natürlich die anderen. Ich will auch niemanden persönlich beleidigen. Mir geht es mehr ums Ganze. Sozusagen die innere, spirituelle Wirklichkeit. Ähnlichkeiten mit lebenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Ehrenwort.
Und warum schreibe ich eigentlich nur immer von Frauen. Nun ja Mädels, wäre ich ein Mann ginge das nicht; - sexistisch und so, ihr wisst schon. Aber da ich nun mal eine Frau bin..... - Hey, gewisse Dinge müssen wir einfach unter uns klären. Findet ihr nicht auch?

Was ist das leibhaftige Gegenteil einer Vegetarierin?
Eine Fleischesserin? Nein so einfach ist das Leben nicht.

Tja, wenn ich mal mit solchen Überlegungen anfange, kann ich fast nicht mehr damit
aufhören. Ich könnte mich genauso über Fleischesser auslassen. Deshalb gehts jetzt noch ein bisschen weiter. Obwohl bei diesem Thema die Gefahr besteht ins Fleischliche abzugleiten. Also seid nachsichtig, denn wenn ihr mir bis hierher gefolgt seid wisst ihr, ich habe es verdient. An manchen Tagen ist mir alles Wurst. Es ist einfach zum aus der Haut fahren. Mit Senf bitte, denn ich mag es scharf!


Zum Beispiel:
Schweinefleischesser: Dumpfbacken mit einem Hang in der Sonne zu schmelzen. Frivole Spasssäue. Sie “haben” Geschlechtsverkehr, besitzen ihn sozusagen. Sie haben “Titten” und öffnen bei der Grillparty den obersten Knopf ihrer Jeans auch wenn alle hinschauen.

Lammfleischesser: Geniesserische Lustmenschen mit einem Hang zur Hysterie. Sie können blitzschnell zu toben beginnen und schmeissen im Streit das Geschirr an die Wand. Aber sie besitzen auch die Fähigkeit ihre fleischliche Aggression in feurige Liebesspiele und phantasieanregende Masturbation umzusetzen.
Was glaubst Du, werte Leserin, bist Du eine Lammfleischesserin? Eindeutig?

Und die Fischesser? Vielleicht sind die Fischesser die Oralbefriediger. Fische sind stumm obwohl sie einen grossen Mund haben. Fische wissen alles. Sie sagen nichts. Sie machen Blasen. Da haben wir's: blasen. Passt doch!
Fische rutschen am liebsten gleich zwischen die Beine, weil es da schön feucht ist.
Hilfe ich bin am abrutschen. Madonna der Pflanzenfasern steh mir bei!! Ich habe nichts gesagt.
Sojetzt ist aber Schluss!


Nachtrag:
Natürlich weiss ich, dass ich Rindsaftsteakesser und Hähnchenschenkelknabberer nicht erwähnt habe. Ich erhebe aber auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es reicht.

22.04.06

Relaxieren Sie bitte! (Teil 2)

Wenn du, werte Leserin, seit drei Monaten nicht mehr rauchst und es für dich inzwischen supersuperleicht sein sollte, du dich aber immer noch wie Laika in der Sputnik fühlst, und diese Panik, nie mehr Boden unter die Füsse zu kriegen dich beinahe wahnsinnig macht, dann weiss ich dir einen guten Rat:
Gönn dir eine Massage, das entspannt, das holt dich aus deiner Weltraumkapsel raus.
Nimm einfach das Telefonbuch und such einen Masseur. Es muss ein Masseur sein und keine Masseurin, weil... Du fragst nicht warum, das ist einfach so. Und abgesehen davon ist es spannender ein Masseur zu suchen. Schau auf die Namen. Calmaccico. Der Vorname dazu: Ivan. Ivan! Oj oj, das klingt doch sehr sehr gut. Und ein Name mit vier Cs, das ist genau das Richtige für dich! Ruf an! Sofort! Und du wirst einen Termin bekommen, auch wenn du aus dummer Angewohnheit beim Telefonieren mit dem Stuhl schaukelst, und diesmal, etwas nervöser als sonst, prompt mitsamt Stuhl nach hinten auf den Boden kippst, aus Schreck einen Todesschrei in den Hörer kreischst... Masseure wissen, dass Sputnikinsasinnen ein Leben voller Sturzflüge haben.
Du wirst also dort hingehen und hin und weg sein! Der Masseur wird zu deiner grossen Überraschung ein Prachtskerl von Mann sein. Einer dieser seltenen Italiener mit langen, sagenhaft blonden Haaren. Einer dieser starken und doch weichen Männer, na du weißt schon, genau nach deinem Geschmack.
Natürlich wirst du dich nicht verlieben und du wirst auch nichts von ihm wollen. Wer denkt so was! Nein nein nein, es ist zufällig ein schöner Mann, der dich massiert, und das ist ein de luxe Genuss, und im Vertrauen: Du wirst dich fragen, warum du nicht schon längst auf die Idee gekommen bist, mit dem Rauchen aufzuhören und dir dafür eine Massage zu gönnen.

12.04.06

11.04.06

Bin auf Reisen.
Nach Ostern wieder da.

05.04.06

Vom Glück im Abspann zum eigenen Film erwähnt zu werden...

Vielleicht gehe ich darum lieber alleine ins Kino, weil ich mir die sagenhaft dummen
Kommentare der BegleiterInnen danach nicht anhören will.
All die Menschen, die nach einem Film reden, weil sie denken, man müsse nach einem Film etwas zum Film sagen. Ich wundere mich, wie Menschen auf die Idee kommen mir zu erzählen, was sie in dem Film, den wir gerade zusammen gesehen haben, gesehen haben. Ich wundere mich sowieso, was die Leute sehen.

Ich bin immer etwas enttäuscht, wenn ein Film zu Ende ist. Enttäuscht ist das falsche Wort. Entsetzt auch und verwundert ist zu lange her. Ich möchte einfach, dass all diese lichtgefüllten Bilder immer weiter ihre Geschichten erzählen. Das Ende eines Filmes ist immer ein kleiner Schock: Irgendwann wird mir unwiederbringlich klar, dass dies nun eindeutig der Abspann ist, ganz unvermittelt gehen die Lichter an, all die schemenhaften Figuren um mich her erheben sich, sammeln ihren Kram ein, schon gehen die Vorsorglichsten noch schnell auf die Toilette vor dem Nachhauseweg. Da hilft wohl alles nichts. Das eigene Leben geht weiter.

Zum Glück gibt es den Abspann. Der Abspann macht das Zurückkehren leichter. Er gibt mir wenigstens die Möglichkeit, noch eine Weile in einer Zwischenwelt versunken zu bleiben, wie morgens im Bett, wenn ich mich noch einmal umdrehe und den Komplikationen etwas Aufschub gewähre. Ich kann mich aber nach einem bewegenden Film auch entscheiden, möglichst lange nicht in die Realität zurück zu kommen. Dies gelingt mir besser alleine. Dann versinke ich noch tiefer unter der Decke meiner Wünsche und möchte nie, nie mehr aufwachen.

Den Wiedereintritt in die eigene ereignislose Alltäglichkeit halten wohl die wenigsten Menschen aus und so beginnen sie wild drauflos zu reden. Bloss jetzt nicht die Erbärmlichkeit der eigenen Geschichte fühlen, scheinen sie mir sagen zu wollen. Am besten Gemütlichkeit vortäuschen: „Sollen wir noch etwas trinken gehen?“
Das ist als ob der leuchtende Hase in meinem Traum kurz bevor wir fliegen, sagen würde: „Oh, ich kann jetzt nicht, ich muss erst am Automaten ein Ticket lösen.“
Weiss der Schinder, weshalb so viele Menschen es vorziehen, sich der alles übertünchenden Gemütlichkeit der Automaten anzuvertrauen. Da halte ich noch lieber mein eigenes Leben aus, das einfach ganz unerwartet und beinahe unbemerkt weiter geht.

31.03.06

Sexistischieren Sie bitte!

Wenn du, werte Leserin, etwas dazu beitragen möchtest, dass die Strassenputzkolonne vor deinem Wohnhaus etwas gründlicher putzt als gewöhnlich, dann ist das ganz einfach. Einzige Bedingung dafür ist, dass du nicht höher als im zweiten Stock wohnst. Du brauchst auch weiter nichts zu tun, als dich in den Fensterrahmen zu stellen und die Fenster zu putzen. Wahrscheinlich glaubst du jetzt, du solltest dafür, wie sonst üblich dein hübsches Viva-Maria-Negligee anziehen. Aber nein, weit gefehlt, eine Turnhose mit weissen Streifen tut es auch. Vielleicht hat sie zwei Streifen und nicht drei (irgendwie muss man schon etwas auf sich halten, nicht wahr). Aber nicht dass du jetzt glaubst, du müsstest dich waghalsig auf den Sims schwingen, um dort in der Hocke das Fenster, welches zwischen deinen Schenkeln ruht auf Hochglanz zu polieren. Nein, die Helden der Stadtreinigung werden sich auch so richtig ins Zeug legen, für dich. Dein Anblick wird sie dazu verleiten, selbst in den unzugänglichsten Gebüschen vor deinem Haus nach Sugus-Papierchen zu suchen und den alten, verbeulten Robbi-Dog-Behälter an der Ecke auf Hochglanz zu bringen. Von dem ausserplanmässigen Einsatz etwas erschöpft, werden sie, wenn kein Stäubchen mehr auf der Strasse liegt, noch etwas rumlungern und sich Zigaretten anzünden. Doch wenn sie in deine Richtung schauen, dann so vorsichtig und verschämt, dass Du dich keine Sekunde lang beobachtet fühlst. Für einen Moment wird über den Männern, der glänzenden, lachenden Strasse und Dir das feierliche Gefühl liegen, etwas sehr Besonderes erlebt zu haben.

30.03.06

Was mich erregt (Teil 23)

Wenn er mich zum Lachen bringt.

Die Stadt frisst mich auf

Ich schliddere langsam in eine eigenartig geschäftige, urbane Gleichgültigkeit ab. Es wird Zeit, dass ich wieder raus komme.

28.03.06

2 Monate (Teil 5)

Es kommt in letzter Zeit öfter vor, dass ich Musik höre und gerührt weinen muss, weil
sie so überwältigend ist.

Manchmal weine ich aber auch aus Nostalgie, weil die Musik mich an eine Zeit erinnert, in der ich unglaublich glücklich war.

Aber nicht selten ist es ganz einfach so, dass ich beim Musikhören immer noch dieses zerreissende Verlangen nach Nikotin habe und ich pauschal weine. Um nicht wütend zu werden.

26.03.06

Raffinesse des Alters

Eine Studie aus Texas besagt, dass man länger jung bleibt, wenn man kein Problem mit dem Älterwerden hat. Der Grund: Zufriedenheit und positive Gefühle halten jung und gesund.
Ich wollte etwas für meine positiven Gefühle tun und habe am Samstag einen Schminkkurs besucht. Für die Reife Dame. Wehe jemand lacht jetzt. Der Kurs für die Unreifen war schon voll. Die Demoiselle am Empfang meinte, es passt schon, mit vierzig sei man reif.
Wenn ich nicht mehr mit Jugend blühen kann, dann zumindest mit makellos geschminkten Lippen und perfekt aufgetragenem Rouge, dachte ich mir. Das hinzukriegen ist eine Kunst, wie ich erfahren sollte.

Ich hatte einen Kater und kam zwei Stunden zu spät. Der Visagist schaute mir als erstes auf die Schuhe (Ausgelatschte Puma Turnschuh Kopie, die ich vor drei Jahren auf dem Chinesischen Markt in Budapest erstanden hatte) und bebte mit den Nasenflügel. Dann sah er mir ins Gesicht und fragte, wie viele Stunden ich geschlafen hatte. Ich atmete tief durch. Ich mochte ihn auch nicht. Er redete die ganze Zeit und beschwerte sich über ungepflegte Frauen und solche, die keinen Geschmack haben. Sprich: Frauen, die sich nicht schminken. Wie ich.
Ich lernte also, wie man im Alter mit ein wenig Raffinesse und einem perfekten Make-up die Schönheit der Jugend wettmachen, und das Alter ganz einfach übertuschen kann.
Ich gebe zu: ich sah beeindruckend aus, mit meinem Abend Make-up. Der Visagist war auch zufrieden. Er sagte: „Wenn du so daher kommst kannst du alle Männer um den Finger wickeln.“ Er lächelte sogar dabei.

Mitten in der Nacht

„Ich habe gesehen, dass bei dir das Licht noch brennt.“
„Ja. Komm rein.“

21.03.06

Nachmittags im Lieblingssessel...

... mit Dankbarkeit und Rührung die x mal durchgelesenen Comics, wie ferne Freunde, die man zufällig in der Stadt wieder trifft, noch einmal ansehen.

Princesse
in den ich mich unsterblich verliebt hatte

aus dem Band Rebecca von Anna Brandoli 1987



Corto Maltese,
dem ich gerne einmal im Leben begegnet wäre:

von Hugo Pratt


... und all die anderen.

20.03.06

Ein Wochenende bei meinen Neffen

„Tante Minka, mir ist schlecht. Ich musste erbrechen!“
Ich schaute erst zu meinem Neffen (9), dann auf den Wecker (3 Uhr morgens).
„Was?“ Ich sprang aus dem Gästeschlafsofa, „du hast gekotzt?“
„Man sagt ‚erbrochen’ Tante.“ (Das sagte er wirklich!)
„Echt?“
„Ich habe es leider nicht mehr ins Bad geschafft.“
Ich machte überall Licht. Es sah schlimm aus. Ungefähr so, als hätte er vom Bett aus einen neuen Weltrekord im Weitkotzen brechen wollen, und es dann stehend von der Türschwelle noch einmal versucht.

Morgens um fünf dann:
Neffe (7): (rüttelt mich wach) „Tante Minka, wach auf, ich habe Nasenbluten. Ich brauche ein Taschentuch.“
Ein Jeder kann sich jetzt das neue Bild der Verwüstung selber ausmalen.

16.03.06

Relaxieren Sie bitte!

Wenn du, werte Leserin, dich wieder einmal wie eine Diva fühlen willst, dann nimm die Einladung zum Abendessen bei deinen schwulen Freunden an.
Nach dem Essen wird es eine kleine Galavorstellung geben, und du bekommst eine Federboa und eine blonde Perücke aufgesetzt und bist eine Göttin in einer glamourösen Götterwelt.
Du wirst den ganzen Abend verwöhnt und amusiert, bis du das letzte Tram verpasst. Dann bekommst du die zwei Meter fünfzig Königinnen-Matratze, wirst mit hellblauen Lammfellen überdeckt, ein Glas frisches Wasser wird neben das Bett gestellt und auserlesene Zeitschriften mit nackten Männern. Eine neue Zahnbürste wird für dich ausgepackt, und „noch ein letzter Likör vor dem Einschlafen, meine Liebe?“
Am Morgen als erstes dann ein frisch gepresster Orangensaft im Cocktailglas, Frotteetücher in drei Grössen werden bereit gelegt und während du duschst wird ein Milkshake mit frischen Erdbeeren zubereitet.

14.03.06

Der Zahn der Zeit oder ein nicht folgenloses Wochenende

Ich habe mich am Wochenende erkältet.
Ich war eine nicht enden wollende Nacht lang unterwegs, in meinem Alter ist das nicht mehr folgenlos.
Zuerst war ich mit Tanja ein Bier trinken, dann trafen wir ihren lieben Kurt und zwei seiner Trinkkumpane. Wir zogen weiter und weiter, von einer Bar zur nächsten.
Ich war an Orten, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Die 'Bronco Loge’ zum Beispiel. Dort sind alle über 40, lauter Rocker und Rockerbräute. Auffallend viele lachten mit schiefen Mündern. Ich muss noch dahinter kommen warum. Hatten sie sich tatsächlich angewöhnt, nur noch schräg zu grinsen, wie man das in Gangsterfilmen so oft sieht? Oder mussten sie alle eine Zahnlücke beim Lachen verbergen?
Es wurde insgesamt recht familiär auf die Schultern geklopft und ungeniert derb gesprochen. Trotzdem überfiel mich eine leise Wehmut: Die Tatoos der Rockerbräute waren verblasst und zerschmelzten unaufhaltsam auf der faltig gebräunten Haut. Die Zeit grinst nicht schief, sie zeigt alle Zähne, wenn sie lacht. Oder wie heisst diese Redewendung?
Eine Band spielte grossartigen Blues oder Rock. Ich stieg die Holztreppe nach oben, dort standen Billard- und Fussballtische. Ich spielte Billard mit einem alten Rockabilly, der mir knapp bis zur Brust reichte. Ich mochte ihn auf Anhieb, mit seinem runden Bauch und seinen buschigen Koteletten. Er sah aus wie ein Horn und Perlmutter Händler, dessen Intelligenz unterschätzt wird. Ich habe manchmal eine Schwäche für intelligente Männer, die wie Barbaren aussehen. Er schien überglücklich und flirtete ganz eifrig mit mir. Alle 10 Minuten mussten wir 2 Franken einwerfen, damit das Licht wieder brannte. Das ist fies, im Dunkeln trifft man die Kugeln tatsächlich kaum noch. Mein Billiardbilly flirtete immer dreister. Ich schaute ihn ruhig an und fragte, worauf er eigentlich hinaus wollte. "Ich weiss es selber nicht so genau“ sagte er, „ich bin einfach hin und weg von dir und will dich rumkriegen. Dabei hoffe ich insgeheim, dass mein Unterfangen chancenlos bleibt. Die Folgen würden ansonsten den Weltfrieden gefährden.“ Ich lachte.
Ich konnte ihn so gut verstehen. Das Licht ging aus. Ich hatte keine Lust mehr, das angefangene Spiel zu beenden. Viel lieber wollte ich darauf noch einen heben. Wir gingen runter an die Bar. Dort traf ich Tanja. Sie war den Tränen nahe. Kurt hatte sich festgesoffen und war nicht mehr zu bewegen. Ich verabschiedete mich von meinem Billywilli mit einem Kuss auf die Stirn und begleitete Tanja mit dem Taxi nach Hause.
Dann ging ich ins Dead End. Dort spielte auch eine Band. Metal Jungs, es klang ziemlich lokal. Es war: Laut.
Ich nahm einen Drink und stieg die Kellertreppe hinab. Unten waren Sofas, ein Fussballtisch und welch Überraschung: Mein junger Liebhaber. Wir hatten seit zwei Wochen Funkstille, weil ich ihn "Idiot" genannt hatte, worauf er sich auf der Stelle umdrehte und weglief. Ich hatte auch nicht mehr zurückgeschaut.
Jetzt kam er strahlend auf mich zu und sagte: So schön bist du da. Ich habe dich so vermisst.
Um sechs Uhr wollte er mir unbedingt und auf der Stelle im Übungsraum ein Stück auf der Gitarre vorspielen. Was er nur für mich komponiert hatte.
Um acht Uhr mussten wir unbedingt bei ihm ein Bad nehmen.
Um zehn brauchten wir dringend weich gekochte Eier und Zopf zum Frühstück. So ging das weiter bis drei Uhr nachmittags. Dazwischen wollten wir die neuen Stellungen unbedingt auch mal so rum ausprobieren.
Heute bin ich erkältet. Das ist wegen den nassen Haaren nach dem Bad. Er hatte natürlich keinen Fön.