Ich war in Neuchâtel. Ich wollte schon lange die Wege meine Kindheit noch einmal gehen, mit allen Erinnerungen und Bildern, die auf solchen nostalgischen Spaziergängen in die Vergangenheit entstehen. Als Erwachsener sieht man die Wege der Kindheit aus einer ganz anderen Perspektive. Die hohen Steinmauern auf denen ich todesmutig balancierte, weil der Boden eine Todeszone war, genau genommen ein Meer mit Ungeheuern, sind nur noch hüfthohe Mäuerchen am Rande eines harmlosen Weges.
Ich komme nicht dazu Erinnerungen nachzuhangen, weil meine Mutter mich begleitet und die ganze Zeit redet. Sie kam mit, weil sie mich schon lange einmal irgendwohin begleiten wollte, und ich nicht nein sagen konnte. – Ich habe, wie du, zehn Jahre in Neuchâtel gelebt. Es ist auch meine Stadt, sagt sie, und besteht darauf, zuerst das Schloss zu besichtigen. Sie erzählt mir andauernd, was sie sieht. Schau hier der Reformator Farel, schau da der Hafen, wo du beim Schwäne Füttern in den See gefallen und beinahe ertrunken bist. Dein Papa hat dich gerettet und dabei einen Schuh im See verloren. Und dort ist die Place Pury. - Wer war denn Monsieur Pury? – Irgendein reicher Sack, sagt sie.
Ich lerne die Perspektive meiner Mutter kennen:
„Ich zeige dir,“ sagt sie, „noch das neue Einkaufzentrum bei der Roten Kirche. Oben drauf haben sie sogar ein Fussballfeld gemacht.“
Ein Fussballfeld auf dem Dach für die Angestellten, vermute ich im Stillen. Doch dann tauchen von weitem die Scheinwerfer des Spielfeldes auf. In Gedanken sehe ich die Angestellten des Supermarktes, wie sie nach Feierabend im Scheinwerferlicht Fussball spielen. Coop gegen Migros. Irgendetwas stimmt da nicht.
Und dann stehen wir vor dem Einkaufszentrum, das, genau genommen ein Stadion ist. Und wie alle modernen Einrichtungen protzt auch das neue Stadion mit Multifunktionalität. Mit anderen Worten: Unten drin sind ein paar Geschäfte.
Ein Einkaufszentrum mit wunderbaren Toiletten und einem Fussballfeld auf dem Dach ist es aus der Perspektive meiner Mutter.
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