Ich habe keine Zeit für die Fussball WM. Ich frage mich jeden Tag, woher die Leute all die Zeit zum Schauen nehmen. Ich habe nicht einmal für mein alltägliches Leben genug Zeit. Nicht genug für meinen Liebhaber, nicht genug für meine Freunde.
Es ist eine Frage der Prioritäten. Tragen mich meine eigenen Beine durch das Leben, oder lebe ich dafür, den tribbelnden kleinen Männchen auf dem Rasen zuzuschauen?
Das Angebot an abendfüllender Unterhaltung ist überpräsent und günstig wie selten.
Ich lasse mich auch gerne unterhalten. Es sieht aber ganz danach aus, als müsste ich mir meine Prioritäten teuer erkaufen.
Zum Beispiel mit Season of the Horse im Kellerkino.
Das Unterhaltsame beim Kino beginnt schon beim Billetkauf, wenn der rothaarige Student sich verrechnet und man ihm den richtigen Preis vorschlägt. Satte 51 Franken für drei Billete immerhin. Und während er laut nachrechnet und Zahlen wie Würfelaugen zu blinzeln beginnen, Summen sich überschlagen, schlägt man ihm vor, dass man eigentlich genauso gut um den Preis würfeln könnte. Dann lacht er zustimmend, und man merkt, dass er jeden Leichtsinn in Erwägung ziehen würde, der ihn aus diesem Kinobilletverkaufsschalterhäuschen spicken würde.
Das spannende am Kellerkino ist, dass der Student in der Pause die riesigen Filmrollen wechselt und danach die Zuschauer mit einer kleinen Glocke an ihre Plätze zurückmahnt.
Es erinnert mich an unsere Jeune-filles. So hiessen die Kindermädchen, die aus der Deutschen Schweiz ins Welschland kamen, um Französisch zu lernen. Jeune-filles klingt mit Deutschem Accent so: Schön-fies.
Sie klingelten jedenfalls auch mit einer Handglocke. Immer mittags und abends läuteten sie uns Kinder und die Pensionäre, die in den oberen Stockwerken im Haus wohnten aus den Zimmern an den Esstisch.
Zurück ins Kellerkino. Der Film war ergreifend.
Es geht um den Zerfall des Nomadentums. Der Regisseur Nin Cai hat das Drehbuch geschrieben und spielt selber die Hauptrolle. Er rechnet nebenbei mit den Künstlern, den Beamten, den Städtern, den Händlern und den Werbefritzen ab.
Ich habe vom Anfang bis zum Ende des Filmes geheult. Es ist meine eigene Geschichte, die vor meinen Augen ablief, und es rührte mich zu Tränen, das zu sehen.
Werde ich mich jemals an die Sesshaftigkeit gewöhnen?
Mais c’est une solution foutue d’être nomade aujourd’hui.
In der Mongolei haben die Nomaden die Dürre am Hals.
Hast du nicht die Dürre, hast du die Grünen an der Backe. Das sage ich jetzt lachend. Und wenn ich wüsste, wie man hier die Wörter streicht, würde ich die Grünen streichen und die Tierschützer schreiben. Streichen. Die EU. Streichen. Das Hochwasser. Die Seuchen. Auf jeden Fall hast du nichts zu lachen.
Es ist ein Film, der im ersten Moment harmlos scheint, aber er zeigt weit mehr als man verstehen oder sehen kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen