23.12.12

Andacht

Meine Familie trifft sich einmal im Jahr, auf Wunsch meiner Mutter, in der Adventszeit. Als mein Vater noch lebte, waren wir zwanzig Personen. Also nur die Geschwister mit Anhang. Seit meine Mutter einen Wittwer geheiratet hat, hat sich die Grösse der Familie auf einen Schlag verdoppelt. Die zwei Sippen beäugen sich stets misstrauisch, wenn sie zusammen kommen. Alle geben sich höflich, weil man mit Eindringlingen, welche die Frechheit besitzen, so mir nichts dir nichts der eigenen Familie anzugehören, obwohl sie fremder nicht sein könnten, eben höflich bleiben muss. Nur die ganz Missgünstigen können sich die Namen der Geschwister der anderen Sippe nicht merken oder verwechseln die Kinder.
Meine Mutter, die ja sozusagen aus einer Organisten Dynastie entstammt, will mit der ganzen Familie Adventslieder singen. Vierstimmig, versteht sich. Die zusammengewürfelte Familie beäugt sich skeptisch und singt dabei: Oh Heiland reiss die Himmel auf. Aber es klingt nicht, wie es soll. Es klingt kläglich, genau genommen. Also seufzt meine Mutter und geht zur Weihnachtsgeschichte über. Eine Weihnachtsgeschichte ist traditionell eine Geschichte, die rührend ist, und worin gute Menschen anderen Menschen, die Pech haben, helfen oder etwas Gutes tun. Dieses Jahr handelt es sich um eine Aussenseiterin, eine einsame und verwahrloste alte Frau, die am Ende, Gott sei Dank, ein wenig Glück erfährt. Meine Mutter liest vor, die Familie nutzt auch diese Gelegenheit, sich ungläubig zu beäugen, während sie zuhört. Alle machen andächtige Gesichter, weil Weihnachtsgeschichten mit Andacht gehört werden sollen. Die Geschichte zieht sich dieses Jahr sehr in die Länge. Wer schreibt solche Geschichten, denke ich, und verliere endgültig den Faden. Und dann: „... die Fenster waren geputzt, der Boden gebohnert und gewichst, ...“ Das Wort schwebt im Raume, wie ein Ufo, das im nächsten Moment all jene in den aufgerissenen Himmel entführen wird, die es wagen jetzt ans Wichsen zu denken. Zu spät. Das unterdrückte pubertäre Kichern des ersten Sprösslings ist nicht mehr zu überhören. Gleich darauf kichern alle Pubertierenden. Dann lachen auch einige Erwachsene. Nun können sich die Halbwüchsigen kaum mehr einkriegen vor Lachen. „Warum lacht ihr?“ fragt meine Mutter, die unbeirrt weiterliest.

Ich mag diese seltenen und verbindenden Momente, wenn die eigentlichen, verborgenen Interessen jedes Einzelnen lachend ans Licht kommen.

12.12.12

Noch ein kleiner Espresso am Abend

und ich konnte das Einschlafen nach drei Stunden getrost aufgeben. Ich las die ganze Nacht und wurde nicht schläfrig. Gegen fünf Uhr morgens schlief ich dann ein.
Im Tiefschlaf stand ich wieder auf und ging arbeiten. Alle sahen mich besorgt an und fragten: "Gehts?"
Manchmal muss ich einfach ausprobieren, ob sich die folgeschweren, ausreichend erprobten Gesetzmässigkeiten (Kaffe am Abend - kein Schlaf, rohe Zwiebeln - Blähung, Cocktails - Kater am Morgen) nicht einfach austricksen lassen.
Dummerweise verlieren sie der Lust und Laune wegen nicht ihre Gültigkeit.

10.12.12

Tage im Adventskalender

Ich arbeite nun bis Weihnachten fast das doppelte Pensum. Weil viele Kolleginnen vor Erschöpfung krankgeschrieben sind, mache ich Vertretungen. Auch sonst ist gerade viel los, Einladungen da und dort, Termine, Gäste, Fondue essen... und ich komme dadurch nicht so recht zu mir. Das gibt mir dieses Gefühl, dass ich neben mir stehe. Und das ist kein super Gefühl.  Mit den vielen Ablenkungen und dem geschäftigen Tun verschliesse ich mir auch den Gedanken, dass es bald Weihnachten ist, und ich noch überhaupt keinen Plan habe, und alleine bin und vergeblich hoffe, dass sich in letzter Minute noch etwas Grossartiges auftun wird....

09.12.12

Schlaflos mit einer kleinen Prinzessin

Meine Patentochter ist drei. Sie war noch nie bei mir und darf, wenn sie will, bei mir übernachten. Vorgesehen ist, dass sie will. Also gehen wir am Nachmittag schlitteln, dann zu mir. Ich verkleide sie in eine Prinzessin mit meinen handbestickten Seidensaris. Sie tanzt vor dem Spiegel und ich koche das Abendessen. Reis und Gemüse. Wir essen, aber sie mag keinen Reis und kein Gemüse. Wir spielen Verstecken, dann gibts Nachtisch, Pyjama, Zähneputzen, das übliche Programm. Dann gibt es noch eine Gutenachtgeschichte im Bett. Sie bekommt eine Matratze neben meinem Bett. Sie schliesst die Augen und ich singe: "Heyo spann den Wagen an" und gebe ihr einen Gutenachtkuss auf die Stirn. Sie setzt sich auf: "Ich habe Hunger". Wir gehen in die Küche und sie isst einen Löffel vom Reis, den sie beim Abendessen nicht angerührt hat. "Jetzt gehe ich schlafen", verkündet sie und legt sich wieder in ihr Bett. Ich singe: "Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder" und hoffe, dass sie von Blumen und Trauben träumt. "Ich muss kacken", fällt ihr ein. Was kein Trick war. Dann hat sie noch Durst und später kann sie nicht einschlafen. "Soll ich mich zu dir legen?", frage ich sie. "Ja".
Ich singe: "Müde bin ich geh zur Ruh, schliesse meine Augen zu" und schlafe dabei fast ein. "Kannst du mir die Hand geben?" fragt sie. Ich nehme ihre Hand und sie schläft sofort ein. Ich stehe auf und mache den Abwasch. Räume auf. Dann lege ich mich ins Bett und lese bis ich einschlafe.
Um zwei Uhr wacht sie auf und weint: "Mama!". Sie schluchzt und ist ganz verzweifelt: "Mama, Mama, Mama!" Ich nehme sie in die Arme und wiege sie. "Es ist mitten in der Nacht", sage ich , "jetzt schlafen wir noch ein bisschen und dann kommt Mama". Ich nehme sie zu mir ins Bett und halte ihre Hand. Sofort schläft sie wieder ein. Ich halte die ganze Nacht ihre Hand und mache kein Auge mehr zu.

08.12.12

Woche für Woche vergeht

Ich habe lange nichts mehr geschrieben. Ich könnte ganze Wände mit Sexabenteuern, Romanzen und Eskapaden tapezieren, die ich mir ersehne. Aber da ist nicht einmal ein Mann in Sicht. Ausser einem. Der mich entzückt und verwirrt. Aber der nicht für mich bestimmt ist. Ich weiss es. Und doch sehe ich in allen Silhouetten, die durch meine Phantasien flattern, nur ihn.
Ich ersehne immer nur ihn.

03.11.12

Mache einen gemütlichen, romantischen Kuschelabend mit meinem Sofa und mir. Und einer Schachtel Pralinen.

11.09.12

Hard Wax

Nun ist das Hähnchen im Ofen. Ich habe es sorgfältig gefüllt, mit Zitrone, Rosmarin und frischen Feigen. Draussen wird es jetzt schon wieder früh dunkel. Also schnell eine Kerze angezündet, weil man dann die Dunkelheit vor dem Fenster besser spürt. Es ist schön der Kerze zuzuschauen, nachzudenken, den Wachstropfen zu folgen.
Wachs ist etwas Hübsches, generell hart, zuweilen aber auch weich und anschmiegsam. Deshalb auch für romantische Momente die richtige Substanz. Nämlich dann, wenn überall kleine Lichter den Weg ins Unbekannte erleichtern sollen und auch der letzte Zweifel dahinschmelzen soll.

Apropos Wachs: gestern war ich im Wax Studio. Früher musste eine geplagte, umtriebige Frau wie ich dafür immer in kosmopolitische, sich auf dem letzten Stand befindende Städte wie Berlin oder Zürich fahren, weil es in Bern so was nicht gab. Inzwischen gibt es das Angebot auch hier zwischen den Laubengängen und Aareschlaufen.
Und ich habe alle Waxerinnen, die dort arbeiten, schon gehabt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich meine es nicht so, wie Männer es schulterklopfend zueinander nach dem fünften Bier sagen. Was ich sagen will ist eigentlich: Seit ich alle Waxerinnen mal hatte, verstehe ich, warum Männer die ganze Zeit an anderen Frauen rumstudieren. Warum sie sich vorstellen, wie Sex mit ihnen sein könnte. Ganz einfach - weil es mit jeder Frau komplett anders ist. Weil jede Frau so unglaublich anders rangeht und sich wieder völlig anders anfühlt. Jede hat ihren ganz eigenen Stil. Das ist echt ein Erlebnis.

Nun, bei den Männern ist mir das nie so aufgefallen. Ehrlich. Natürlich sind die Männer auch total verschieden, aber bei den Männern ist nicht das der Grund, warum ich als Frau zuweilen an einen anderen denken würde.
Bei den Frauen ist es das Wesen, das Temperament, die Art und Weise, wie sie etwas anpacken, das Scheue, Liebliche, oder das Praktische, Handfeste. Die Art und Weise, wie sie reagieren, sich einlassen, wie zart und durchlässig sie sind, oder wie körperlich, überfüllend.
Alle machen die gleiche Arbeit. Aber bei jeder ist es insgesamt komplett anders:

Die eine geht völlig hysterisch ran, es ist ihre Natur, sie wirft die Hände in die Luft bei der kleinsten Schmerzäusserung der Kundin. Sie will auf gar keinen Fall weh tun, aber es tut nun mal weh. Sie zögert beim Wachsabziehen und jammert, dass sie mir nicht weh tun will, aber das zögerliche Gezupfe tut noch viel mehr weh. Sie ruft ständig aiaiai und uiuiui und kann sich gar nicht mehr beruhigen, während ich immer heftiger auf der Liege rumzapple, und selber schon untröstlich bin, über das Drama, das sie verursacht.
Die andere ist eine Matrone. Sie pudert und tätschelt bei jeder Gelegenheit, massiert und streicht die Haut glatt, arbeitet grosszügig und legt ihre flache Hand fest und umfassend auf die Haut, wenn sie mit der anderen das Wachs abzieht. Ich bin eigentlich nur erstaunt, dass kein Eunuche aus dem Hintergrund auftaucht, der uns beiden, schwelgenden Frauen in unserem Boudoir Tee in zarten tulpenförmigen Gläsern bringt.
Und dann gab es da auch noch die Dresdnerin, die mit unglaublicher Schnelligkeit und Beiläufigkeit arbeitet. Sie streicht das Wachs wie Schmalz aufs Brot, und zack, wird  das Wachs abgezogen, ritsch, ratsch, ohne jede Regung, mit spitzen Fingern an deren Enden überlange, hochtoupierte Fingernägel klarstellen, um was es hier eigentlich wirklich geht.
Eine ist eine ganz Gründliche, sie geht mit professioneller Routine an die Sache, bei der jeder Handgriff sitzt, die genau hinschaut, immer wieder mit den Fingern über die Haut fährt um nachzuprüfen, ob auch wirklich kein Härchen vergessen wurde, und dabei mit den Augen so nah rangeht, als würde sie ein Uhrwerk reparieren.

Es ist beeindruckend, geheimnisvoll und unverständlich. Mit jeder der Frauen ist es ein völlig anderes körperliches Erlebnis, obwohl jede die gleiche Arbeit macht.
Eigentlich ist es nicht weiter erstaunlich, dass dies den Männern nicht verborgen blieb. Frauen sind ein unergründliches Wunder.
Ich freue mich immer, wenn eine Neue da ist.

Ach wie die Zeit vergeht. Nun ist das Huhn schon beinahe fertig.
Und gleich kommt dieser unglaublich leckere Mann mit dem ich die nächsten Stunden an den Knöchlein nagen werde, bis ihn nichts in der Welt mehr davon zurückhalten kann, mein tickendes, glänzendes Uhrwerk zu ergründen.

02.09.12

Spätsommer

Die Spuren der durchfeierten Nacht am ganzen Körper spürbar. Wie die ersten gelben Blätter am Kirschbaum vor dem Fenster.

30.08.12

25.08.12

Gott ist ein Humorist

Dass Mückenstiche jucken, ist auch so ein fieser Scherz des Schöpfers. Aber dass Kratzen keine Erleichterung verschafft und alles noch schlimmer macht, finde ich gerade nicht lustig.

20.08.12

Beruhigen

Abends setze ich mich in den Garten und schaue der Sprenkelanlage zu, wie sie das Wasser über die durstigen Blumen fächert. Ich liebe diesen Wasserfächer. Kann stundenlang zusehen, wie er sich neigt und wieder erhebt, und wieder neigt, und wieder erhebt.

19.08.12

Schmackhafte Küche für traurige Frauen

Da ich den Braten nicht heiss essen kann, denkt da die kleine Hexe, behalte ich ihn auf kleiner Hitze im Ofen warm. So kann er in der Sauce ziehen und wird noch saftiger. 

15.08.12

Ich stürzte mich in die Arbeit.

13.08.12

Sehnsucht ist, wenn es im Herzen zieht

Fiona klopft an die Wohnungstür.
"Komm rein," rufe ich aus der Küche.
"Wollte mal sehn, wie es dir geht."
"Wie du siehst, geht es mir nicht so gut." Die Wohnung und ich sehen unaufgeräumt und schmutzig aus.
"Was ist los?", fragt sie.
"Ich hänge durch. Bin traurig. Habe zu nichts Lust. Lasse mich gehen. Will niemand sehen," sage ich.
"Warum bist du traurig?"
"Weil er nicht kommt. Warten ist ungemütlich. Es ist wie die Tür des Herzens einen Spalt offen lassen. Es zieht. Heute habe ich zu."
"Ich sage dir mal, wie das Programm heute Nachmittag aussieht: Du duschst, machst dich hübsch, dann gehen wir raus und du öffnest dich wieder." Sie streckt ihre Brust raus und macht das Herz mit den Händen auf. Sie lacht.
"Erst saugen, dann duschen" sagt sie, während sie zur Tür raus geht und einen Blick in die Wohnung zurückwirft.


Jetzt sitzen wir auf der Terrasse des Grand Casinos und trinken Kaffee.
Ich atme ein und mache auf.



11.08.12

Auf dem Panoramaweg


Heidelbeeren, Eierschwämme und Habichtpilze.

Besessen vom Duft des Bergtannenwaldes.

Der Erikateppich.

2061m: Männliche Pose (Hand auf dem Oberschenkel) und weibliche Pose (Hand an der Taille) fürs Gipfelfoto.

Die feine Bergluft.

Neue Wanderschuhe kommen auf meine Wunschliste dazu.

Das kühle Rugenbräu bei der Postautohaltestelle.

Lang und heiss duschen.

Beinwell.




06.08.12

Dessousschublade

Mal schauen, mit welcher Sauce ich ihn anrichte, wenn ich ihn koche, denkt da die kleine Hexe.

05.08.12

Divenaspekt

Ich könnte in den Swimmingpool der Gesellschaft eintauchen und die Zeit mit Dingen vertreiben, die man im Gesellschaftswasser macht, nach diesen schwimmenden bunten Gummiringen fischen, sie mit dem Arm auffädeln. Sicher würde ich sieben Ringe auf einmal schaffen, meine gesellige Natur.
Oder ich kann weiterhin am Poolrand stehen und zusehen, wie sieben Leute für mich in den Pool springen, die Luft anhalten, und nach den Ringen fischen und sie mir stolz aus dem Wasser entgegenstrecken.

01.08.12

ksskss

Als junge Frau wollte ich nicht von Bauarbeitern angepfiffen werden, weil ich stolz und verlegen war. In meinem Alter kann ich die Anmache der Bauarbeiter mit einem koketten Arschwackeln lachend zurückspielen, was für einige Sekunden allen den Tag versüsst. Doch leider pfeifen die Bauarbeiter meinem Alter nicht nach.

30.07.12

Auf der Pechvogel Flugbahn fliegen

Fuss verstaucht.
Dabei wollte ich am 1. August eine grosse Wanderung auf den Säntis machen.
Ausgerechnet heute morgen hatten wir das Thema Glück und Pech im Unterricht. Wir haben über Schutzengel geredet. Und uns gefragt, ob sie manchmal schlafen, oder uns auf eher unsanfte Art nur davor bewahren, in ein noch grösseres Unglück zu geraten. Aber ich kann nun leider nicht mehr nachprüfen, ob ich auf dem Säntis abstürzen würde.

29.07.12

Wundern

Aline, eine alte Schulfreundin, besucht mich. Sie lebt in einer anderen Stadt, wir sehen uns nicht so oft. Sie hat einen Mann, der Professor an der Uni ist und vier halbwüchsige Kinder. Ich führe sie durch den Garten, dann zeige ich ihr das Treibhaus. Es ist ein sehr schönes, altes Glashaus etwas versteckt im hinteren Teil des Gartens. Wir entdecken zwischen den Giesskannen und leeren Töpfen ein, zwei leere Kondompackungen am Boden. 
"Ah, da hat jemand gevögelt", sage ich, und ziehe die Gartenhandschuhe an, um die Packungen weg zu schmeissen. 
"Was, hier?", wundert sich Aline. 
"Offensichtlich", sage ich etwas mürrisch, kann mich aber nicht wirklich ärgern, weil die Lust noch wie ein Lächeln im Raume schwebt.
"Wie haben die das gemacht?", wundert sich Aline noch immer, "hier ist ja gar kein Platz. Im Stehen? Ich habe noch nie im Stehen ...", sie zögert, "... es im Stehen gemacht".  
Wir schweigen, nun beide etwas verwundert.
"Ich wusste bis vor Kurzem auch nicht, was vögeln bedeutet", fährt sie fort. "Meine Kinder haben neulich einen Witz davon erzählt". 
Sie erzählt mir den Witz:
Ein junger Mann klingelt an der Tür und sagt freundlich:

"Guten Tag Frau Fischer. Ich komme Ihre Tochter abholen. Wir wollen gemeinsam fischen gehen."

"Aber junger Mann", sagt die Mutter, "ich heisse doch Vogel!"

Der junge Mann antwortet: 
"Ich weiss, aber ich wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen".
 "Sie mussten mir den Witz erklären", gesteht sie lächelnd.
Ich lächle auch.
Wir leben in unseren eigenen Welten voller Verwunderung über die wirkliche Welt.

15.07.12

11.07.12

Üben

Rahel ist geschieden und trifft sich mit Männern, die sie im Internet kennen lernt, zu einem Glas Wein, um sie richtig kennen zu lernen. Dann stellt sich heraus, dass das mit den Männern nichts wird, weil sie nur von sich reden, oder weil sie doch rauchen, oder nur eine Affäre suchen, oder nicht wissen, was sie suchen, oder weil sie nicht wissen, dass man eine Frau mit Komplimenten, Aufmerksamkeiten, gierigen Augen und steifen Schwänzen überhäufen sollte.
Aber sie gibt nicht auf. So bleibt sie, wie sie sagt, in Übung.

05.07.12

Obsie

Heute habe ich im Unterricht ein Lied vorgesungen. Es passte so gut zum Thema: Indirekte Fragesätze mit ob. Hatte keine Tonaufnahme gefunden, also musste ich es wohl oder übel selber singen. Ich hatte es von meiner Mutter gelernt. Es ist ein altes Lied. Sie sang es am Klavier und ihre Hände hüpften, ganz Varieté mässig, weit ausholend auf der Tastatur auf und ab.
Es geht so:
Ob sie -obsie -obsie -obsie ob sie mich noch liebt
Ob sie -obsie -obsie -obsie ob sie mir vergibt
Ob sie -obsie -obsie -obsie ob sie an mich denkt
oder in der zwischenzeit zwischenzeit zwischenzeit
oder in der zwischenzeit -hat ihr Herz verschenkt.
Ich sang munter und drauflos, und am Ende wurde mir erst klar, dass ich tatsächlich ein Lied vorgesungen hatte und errötete. Die Klasse applaudierte und ich begann zu glühen. Ich sah den wohlwollenden Bilcken der Gruppe an, dass ich nicht aufhörte zu glühen.
Pause, sagte ich verlegen lächelnd, und flüchtete ins Lehrerzimmer.
Nach der Pause wollten alle das Lied lernen.

01.07.12

So schön, die faulen Sonntage

Es regnet pausenlos und ich bringe aus eifrigem Nichtstun eine nachmirdiesintflutartige Unordnung in meiner Wohnung zustande.

27.06.12

Von hoffnungsvollen Millimetern und unerhofften Belohnungen

Ich besuche neuerdings einen Bauchtanzkurs. Um beweglich zu bleiben.
Die Bauchtanzlehrerin zeigt genauso reizend wie ernüchternd vor, was beweglich ist. Wobei das Reizende überwiegt, wenn ich mich direkt hinter sie stelle, um nicht mich im Spiegel zu sehen sondern ihre schlangenhaften Bewegungen. Ich sehe staunend, wie sie ihren Brustkorb seitlich hin und her bewegt. Ich mache es ihr nach aber bei mir bewegt sich kein Millimeter.  Übung, tröstet sie mich. Dran bleiben.
Ich bleibe dran. Nach Wochen ist meine Haltung perfekt, die Arme seitlich leicht gebogen, zu einem aufgehenden Mond, in dessen Schein sich mein Brustkorb aber wie eine Liftfasssäule noch immer keinen Millimeter bewegt.
Noch nie hat es mich so viel Überwindung gekostet, einen Kurs zu besuchen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass es sich lohnt, etwas zu tun, was einem gut tut, was aber Überwindung kostet. Ich meine nicht die momentane Trägheit überwinden, etwas zu tun, was man im Grunde gerne macht, weil es einem liegt. Sondern dran bleiben, wenn man darin nicht gut ist, wenn man niemals Meisterin sein wird, wenn man sich komisch dabei vorkommt, weil man sich als tanzende Liftfasssäule komisch vorkommt. Warum es sich lohnt? Weil manchmal genau das einem gut tun, was am meisten Überwindung kostet.
Zur Belohnung tanzt jede Woche eine wunderschöne Frau bauchfrei und hüftwippend direkt vor meinen Augen.

21.06.12

Und dann ist noch die Lust

Wenn Verstand, Gefühl und Seele sich nicht einig sind.

20.06.12

Namen vergessen, Wörter verwechseln, Sachen verlieren.

Vergesslichkeit kann Unachtsamkeit sein. Es kann aber auch der Wunsch sein, der Realität zu entfliehen. Weil sie überfordert.
Es ist der unbewusste Wunsch, sich aus der Wirklichkeit auszuklinken.
Vielleicht auch, weil die eigene, innere Welt  zu wenig Ausdruck findet.

19.06.12

Darum fühle ich mich nicht

Die Kursteilnehmenden melden sich per SMS vom Unterricht ab. Absenzen-SMS heute:
Guten Morgen Frau Jonka. Ich bin D. Heute ich kann nicht in der Schule kommen, weil ich gewartet ganze Nacht auf mein Mann habe. Eigentlich ich habe Problem mit meinem Mann, darum fühle ich mich nicht. Ich will Deutsch lernen, aber tut mir leid, mein Leben sehr sehr schwierig. Ich warte auf meinen Mann bis 6:00 Uhr. Ich schlafe jetzt. Mein Mann noch nicht ankommen nach Hause. :-(

03.06.12

Das Gefühl von Heimat 2

Besuche eine Lesung in einer Galerie, die gar keine Lesung ist, sondern eine Diskussion. Bei Diskussionen reden immer die am meisten, die um den Brei herum reden. Dann platzt irgendwann irgendeinem den Kragen, und ruft, dass das alles Schwachsinn ist, und sagt, worum es im Brei in Wirklichkeit geht. Und alle könnten nach Hause gehen. Stattdessen sind alle unangenehm betroffen und reden weiter um den Brei herum.
Ich verlasse die Diskussion, was auch ein viel sagender Beitrag um den Brei herum ist. Aber ein stiller.

Einer der Musiker steht auch schon draussen. Es ist der Harmonikaspieler. Ich sage ihm, dass sein Spielen mir gut gefallen hat. Er bedankt sich und lächelt. Dann stehen wir eine Weile so rum und sagen nichts. Ich möchte mich weiter mit ihm unterhalten, weiss aber nicht, was sagen.
Ich frage ihn, mit wem er sonst noch zusammen spielt. "Mit ganz vielen", sagt er, und zählt ganz viele Namen auf, die ich natürlich nicht kenne.  Ich merke, dass ich mich mit meiner Fragerei aufs Glatteis begebe. "Welches Ensemble ist denn das bekannteste?", rutscht es in mir aus. Aber ich gebe nicht auf: "Welche Musik spielst du am liebsten?". "Hm", sagt er, "Schrammelmusik". Schrammel, denke ich. Das Eis wird immer dünner. "Ich weiss nicht, was Schrammel ist", sage ich. Er rettet mich: "Komm mit", sagt er, "ich zeige es dir". Wir gehen in die Galerie zurück, die nach der Diskussion im Nullkommanichts menschenleer geworden ist. Er nimmt seine Harmonika und spielt mir den Rest des Abends Schrammelmusik  vor.


 Ich sitze da, weggetragen und verwöhnt von der Musik und frage mich, was für ein Gefühl diese Musik ist. Als hätte ich etwas zurückgefunden, was ich mein Leben lang vermisst habe. Wie eine Heimat.

Glückliche Tage

voller Bewegung, Ruhe,


Wind,


und vorzüglichem Wein.


Heurige hier, Kellergassen dort, Wein überall.
Juhfark.
So heisst ein ungarischer Weisswein von Meinklang.
Juhfark, zu deutsch Lämmerschweif, verdankt seinen Namen seiner länglichen, phallisch gebogenen Traubenform. Sattes Goldgelb, maskulin, feurig, extravagant.
Der beste Weisswein meines Lebens. 19 Euro die Flasche.


Unterwegs Kunst aus dem Autofenster.

Später Mittagessen. Rehbock mit Knödeln.  

(Die Zitterpappel erkennt man gut an ihrem Stamm, der unten grau und oben weiss ist.)

Im Aspenwald (Aspen, Espen, Ziterpappeln) suche ich nach dem tatarischen Steppenahorn, der hier vorkommen soll. Im Nu habe ich mich verlaufen.


Finde stattdessen Flatterulmen, die wie Mangroven Brettwurzeln in die Luft schlagen.



Das Gefühl von Heimat




Ich setze mich neben einen alten Mann auf eine Bank am See. Wir sehen schweigend auf den See und ich frage mich, was für ein Gefühl das ist. Am See ist ein Gefühl. Viele Menschen lieben dieses Gefühl. Sie wünschen sich ein Haus am See oder machen Segelferien am See. Man kann im See baden oder auf Seepromenaden flanieren und hat immer dieses Gefühl.
Ich frage den Mann: "Was für ein Gefühl haben Sie am See?" Er denkt lange nach und sagt: Das Gefühl von Heimat. Dann schweigt er. 



Der See schweigt auch. Er glitzert in der Sonne und behält seine Geheimnisse für sich.

21.05.12

Frauenherz Teil 2

Gestern war unser erstes Date. Sozusagen ein Blinddate, weil wir nur diesen einen Blick in Erinnerung hatten, aber nicht wie wir aussahen.  Ich war verlegen, und nervös, und versuchte das Weinglas nicht umzukippen und die Hände auf dem Tisch zu behalten. Er sass ruhig da und sah mich unverwandt an, hörte mir zu, unterbrach mich nicht, manchmal schwieg er, weil ich Unsinn erzählte. Er redete offen, wie zu einer Vertrauten, verschwieg mir nichts.
Wir könnten immerhin gute Freunde werden, dachte ich, während er von seiner Familie erzählte. Aber abgesehen von den Gelegenheiten, bei denen ich ihm kumpelhaft zuprostete, wollte ich ihn immerzu nur küssen.
Es könnte eine Affäre werden, dachte ich. Aber Affären enden immer mit Liebeskummer. Eine der drei beteiligten Personen ist am Ende immer verletzt. Auch wenn alle Beteiligten einverstanden sind und mit der Situation umzugehen wissen. Weil sich Gefühle nicht an Vereinbarungen halten.
Als wir uns verabschiedeten, küsste er mich links und rechts auf die Wangen, vielleicht eine Spur zu innig. Dicke, weiche Wangenküsse, die er wie Bettkissen auf ein Louis Philippe Sofa platzierte. Wie gut er riecht, dachte ich, und mir fiel ein, wie sehr mein Verlangen nach diesem Geruch hungerte.  In dem Moment überkam mich Angst, oder Traurigkeit, denn mir wurde klar, dass unsere Geschichte die Nahrung dieses hungrigen Tieres sein würde. Und das wollte ich nicht.

20.05.12

Ruhe. Distanz. Genuss.

Wien und Burgenland. Zwei Wochen.

15.05.12

... und immer wieder die Verblüffung darüber, was ein einzelnes Papiertaschentuch in der Wäsche anrichten kann.
Wobei das Immerwieder mir schon auch zu denken gibt.

06.05.12

Frauenherz

Mein erster Gedanke beim Aufwachen ist: Samstag, wie schön. Ich kann liegen bleiben. Unter der Bettdecke duftet es warm. Draussen lockt die Frühlingssonne. Ich entscheide mich fürs Liegenbleiben. Denke an diesen Mann. Ich sass mit meiner Freundin in ihrer Küche und sah ihn nur kurz im Türrahmen stehen. Kein besonders schöner Mann. Aber er hatte besondere Augen und ich spürte, wie ich mich auf der Stelle verliebte. Ich fragte meine Freundin, wer er war. Sie sah mich an und wusste sofort Bescheid. Sie sagte mir, dass sie meinen Geschmack immer weniger verstand. "Er hat was", sagte ich, aber ich wusste nicht was. Am nächsten Tag berichtete sie mir, dass er nach meiner Telefonnummer gefragt hatte. Das sind so Augenblicke im Leben, in denen eine ersehnte Chance unerwartet wie ein Wirbelsturm durch den Körper saust, ein riesen Durcheinander im Herzen anrichtet und Gänsehaut hinterlässt. Wie schön, dachte ich. 
"Und was sagst du", meinte meine Freundin, "darf ich ihm deine Nummer geben?"
"Wie schön", sagte ich benommen, und etwas anderes fiel mich nicht ein. 
"Du kannst es dir ja überlegen", sagte sie rücksichtsvoll. Ich kann nicht überlegen. Auch in meinem Kopf ist nichts mehr an seinem Platz. Jetzt liege ich im Bett und denke an diesen Mann. Hilfe schreit es in mir.
Stehe auf und hänge die Bettdecke zum Lüften über den Fenstersims. Dann gehe ich auf den Markt und kaufe vier Tomaten Pflänzchen und ein Tränendes Frauenherz. Zu Hause pflanze ich das Frauenherz in den Garten. Die Nachbarin kommt dazu und erzählt, dass sie von ihrer Mutter ein Tränendes Herz zur Hochzeit bekommen hatte. Nach ihrer Scheidung sei die Pflanze eingegangen. Das ist Zufall, sage ich. Aber das Tränende Frauenherz sah das sicher anders.
Oben im Schlafzimmer ist das Fenster noch immer offen. Die Bettdecke riecht jetzt nach Frühlingssonne. Ich breite sie über das Bett aus und freue mich schon jetzt auf sie.

23.04.12

Das liebe Buch

Die Frau im Tram liest die letzte Seite in ihrem Buch. Sie blickt, noch ganz im Ende versunken, aus dem Fenster und lächelt flüchtig. Dann streicht sie mit flacher Hand über den Buchdeckel, über den Titel und das Bild, wie ein Lob, das man mit der Hand über den Kopf eines braven Kindes streicht.

18.04.12

So schön, die Offenheit der Kinder

Die drei Mädchen, die auf einer Bergwiese Löwenzahn pflücken. Sie bemerken, dass ich sie beobachte. Es befremdet sie. "Na, pflückt ihr Blumen?" rufe ich ihnen vom Weg aus zu. Sie strahlen mich an, rennen auf mich zu und zeigen mir die Sträusse.

17.04.12

Hauptsache wir verstehen uns

Die Angewohnheit einiger Leute, im Gespräch dauernd den Konsens zu finden. Vielleicht ist man auch mehr oder weniger begabt dafür. Es hält zumindest die Illusion aufrecht, verstanden zu werden. Diese Zustimmungen, mit platten, übernommenen Ansichten: "Ja, ich finde Krieg auch schlimm", oder "ja ja, man nimmt sich überall selber mit." Mir nimmt es die Lust zu reden.

15.04.12

Anschauungsvermögen

Bei der neuen Nachbarin oben quietscht das Sofa verdächtig rhythmisch. Sicher ein Louis Philippe Sofa mit beigem Überzug. Zuerst quietscht es in kleinen Abständen, dann in sehr kleinen.
Doch das ist gelogen. Ihnen brauche ich ja nichts zu erzählen. Ich stelle mir nicht das Sofa vor.

14.04.12

Verlorene Visionen

Männer, die sich für Fussball interessieren, haben den Glauben an Utopien verloren. Aus Mangel an tatsächlichen Visionen versuchen sie das beste aus dem Mist zu machen, den sie vorfinden.
Dasselbe trifft auf Frauen zu, die nur noch Krimis lesen.

01.04.12

Frühlingsputz, Entrümpeln und Entsorgen

Beginne mit der Handtasche:
Nagelfeile, ein Pflaster, Kugelschreiber, Agenda, Schlüsselbund ohne Anhänger, Münzen (Rappen und Cents), ein Taschenhalter, eine Gartenschere, ein Meterband, Handcreme (Marke Neutrogena), ein Portemonnaie aus Aalleder, ein mon cheri, Ricola Zitronenmelissebonbons, ein Lipgloss (Marke unleserlich), Visitenkarten, eine Tafel Schokolade (Lindt), ein Victorinox, vollgekritzelte Notizzettel, ein Kondom (Marke Okeido, vermutlich abgelaufen), ein Kreuzschraubenzieher, eine Glock (natürlich nicht, kleiner Scherz), eine Zahnbürste, Taschentücher, eine Halskette aus Flussperlen, eine kleine Schere, vier USB Sticks, ein Tampon, ein ausgerissener Artikel über Noroviren.

26.03.12

Frühlingsgartengedanken

Nach der Gartenarbeit noch sitzen bleiben. Ruhig. Zufrieden.
Die Gedanken schweifen über die Beete, was wann und wo blühen wird im Sommer.
Ob die herrische Gewürztagestes, die letztes Jahr die Kapuzinerkresse so eingeschüchtert hat, mit der leichtfüssigen Kornblume auskommen wird?
Oder besser Mohn zu der Kornblume setzen, um sie zu beruhigen.?
Und ob die gesellige, heimische  Ringelblume auch mit der mexikanischen Agastache Freundschaft schliessen wird?
Und warum verbreitet das Veilchen gerade so unverschämt ihren lieblichen Duft?

20.03.12

Ich erhitzte Öl in der Pfanne, nahm zwei fingerdicke Lendenstücke eines Lamms, rieb sie mit Salz ein und legte ins hoch erhitze Öl, ohne sie zu bewegen, ohne sie auch nur zu berühren, und briet sie auf hoher Flamme eine Minute von jeder Seite. Nach genau zwei Minuten nahm ich die Pfanne vom Herd, legte die Lendenstücke auf einen Teller und verteilte frisch gemahlene Pfefferkörner und Rosmarin darauf. Dann goss ich, weil ich keinen Brandy hatte, ein randvolles Gläschen Madeira in die Pfanne und legte die Stücke zurück in die Pfanne. Ich liess sie weitere zwei Minuten in der Sauce ziehen, ohne dass die Sauce kocht.
Dazu reichte ich Kartoffelpüree, Salat und vierjährigen Rotwein.

18.03.12

Gesetzesfürchtige Menschen ohne Güte

Die gesetzesfürchtige, rechtschaffene Sozialarbeiterin, die denkt, sie helfe. Dabei zwingt sie den Menschen ihre Vorstellungen von einem geregelten, konformen Leben auf. Einem Leben, das Böse bestraft und Gute belohnt. Einem Leben, das man mit Regeln und Zielen in den Griff bekommt.

15.03.12

Den Bauch einziehen, oder wie wird man die Wintergefühle los

Ich sehe schlecht aus, sagen derzeit meine Freunde, aber sie meinen es nicht so. Sie meinen etwas bleich und müde. So fühle ich mich auch. Es wird Zeit, dass ich aus den Wintergefühlen rauskomme. Die behagliche Trägheit sitzt noch tief in den Knochen. Und auf einmal soll mein Körper wieder mit dem Velo zur Arbeit fahren, stundenlang im Garten die Erde lockern, hübsche Beine zeigen, und das kuschelige Pölsterchen am Bauch darf er auch nicht behalten. Er reklamiert und ist müde.
Was für die Frühlingsgefühle hilfreich ist, ist ein hübsches, kurzes Kleid. Dazu Stiefel. Das gibt den nötigen Schwung, dachte ich mir. Also schwang ich mich aufs Velo und hörte eine Naht reissen. Der Ärmel, vermutete ich. Ich kehrte um und sah den Schaden im Spiegel an: Es war nicht die Naht, das halbe Kleid war zerrissen. Ich zog mich um. Diesmal ein hübsches, teures Kleid. Nahm, um kein Risiko mehr einzugehen, die Strassenbahn zur Arbeit. Dann trank ich einen Kaffee und kleckerte das teure Kleid voll. So stand ich also mit meinem eng anliegenden Kleid den ganzen Tag vor dreissig Leuten und alle starrten auf den Kaffeefleck auf meinem Winterbauch. Ich sah nicht schlecht aus, aber etwas bleich und müde.

04.03.12

Der Duft der Erinnerung

Wie kann ich sagen, dass es vorbei ist, 
wenn Erinnerungen, wie eine Wolke aus Blüten, 
meine Gedanken benebeln.  

03.03.12

Bettgeschichten

Ich ertrage mein Bett noch immer. Obwohl wir uns seit letzter Woche ganz schön auf der Pelle liegen.

02.03.12

Leseschlafkur

Schau gut zu dir, schreiben derzeit meine Freunde im letzten Satz, bevor sie herzlich grüssen. Das tu ich: Ich liege die ganze Zeit im Bett und schaue gut zu mir. Ich lese und schlafe. Habe eine Mittelohrenentzündung.
Ich stand gestern Morgen schon um halb acht mit Ohrenschmerzen vor der Praxis meines Hausarztes. Hatte eine schlimme Nacht hinter mir.
Der Arzt setzte sich nah an mich ran, was ich nicht unangenehm fand. Aber dann nahm er ein Gerät in die Hand und ich zuckte zurück: "Tut das weh?"
"Das ist ein Otoskop", klärte er mich auf. "Damit schaue ich in Ihr Ohr, das tut nicht weh. Damit sehe ich alles, was in Ihrem Kopf vorgeht." Er schaute ins Ohr und sagte: "Das ist sehr interessant. Ich kann Ihre Gedanken lesen."
"Und was denke ich?", fragte ich.
"Sie befürchten, dass ich Ihnen Antibiotika verschreiben werde. Das tu ich aber nicht, weil Sie es nicht wollen. Das ist ein Risiko für mich", sagte er.  Er lächelte: "Ihr Zustand könnte sich noch verschlechtern, und dann stehen Sie wieder jammernd vor meiner Tür. Na ja, spätestens dann werden Sie eine Antibiotika Kur wollen."
Ich lachte.
Also hat er mir eine Im-Bett-Bleibkur verschrieben.
Ich mag meinen Hausarzt sehr. Er ist kompetent und durchschaut mich. Und er riecht immer gut.

26.02.12

Schwitzen

Ich wunderte mich, warum mir alles so schwer fiel, und ich verkatert war, obwohl ich nichts getrunken hatte. Der kratzige Hals war ein Hinweis. Und mein Frösteln. Ich spürte, dass ich krank wurde. Ich trank zwei Liter Tee mit viel Zitronensaft, legte mich ins Bett und schlief sofort ein. Ich wachte frühmorgens nassgeschwitzt auf, bezog das Bett frisch, legte mich wieder hin, schwitzte weiter und schlief durch bis zum Mittag.
Heute fühle ich mich schon besser.
Krank sein und Schwitzen ist insgesamt enorm gesund. Schwitzen im Bett ist ein tolles Gefühl. Schwitzen und Ficken ist geiler, keine Frage. Wenn ich im Bett schwitze und nicht einschlafe, habe ich immer Lust zu ficken. Ich denke nicht ans Küssen. Und nicht ans Vögeln. Nur Ficken.
Zum Ficken in der Phantasie eignen sich nicht alle Männer. Die Phantasie hat dafür eine ganz eigenwillige und unergründliche Favoritenliste. Mein Elektromonteur steht zu meinem Erstaunen unter der Sparte Ficken ganz weit oben in der Liste. Unter Küssen steht im Moment an erster Stelle der mir völlig unbekannte Mann aus dem Traum. Mein Elektromonteur ist ein etwas gedrungener, drahtiger Mann mit einem breiten Gesicht und flachen Hinterkopf. Sein Mund ist auf eine vulgäre Art weich. Er sieht aus wie ein Mann, dessen Gedanken sich nur darum drehen, seine Kundinnen, die alleine zu Hause auf seine Reparatur warten, zu ficken. Ich merke das an der Art, wie er innerlich giert und sich äusserlich beherrscht. Das ist der Faden, aus dem Phantasie gewoben wird: Als er den Schraubenzieher in seine Werkzeugkiste zurücklegt, und zu mir rüber schaut, knöpfe ich langsam meine Bluse auf. Sein Blick fickt mich bereits, als ich seitlich den Reissverschluss meines Rocks aufmache und zusammen mit der Unterhose runterziehe.
Wo war ich stehen geblieben? Heute fühle ich mich besser. Ein wenig Ohrensausen habe ich noch. Werde das Gleiche nochmals tun. Also Tee trinken und mich ins Bett legen. Und mich bis morgen schwitzend gesund schlafen.

24.02.12

Die ersten warmen Februar Tage

Der Drang die jungen Obstbäume und Himbeeren im Garten zu schneiden. Mit hochgekrempelter Ärmel Laune.

21.02.12

Die Profiteure, die abends ohne Appetit am reich gedeckten Tisch sitzen, und sich nachts schlaflos im Bett hin und her wälzen, weil draussen, dicht vor ihren Fenstern, die Geister der Verdammten hereinschauen, die keine Ruhe mehr finden, weder auf dieser Welt, noch in der jenseitigen Welt und auch in keiner anderen Welt.

20.02.12

Das Paar, das sich in den alltäglichen Momenten der Vertrautheit und Zuneigung anstatt zu küssen nur noch seltsame Blicke zuwirft.

16.02.12

Drunter und drüber

Ein mir völlig unbekannter Mann küsste mich wach.
Leider war es nur ein Traum.
Ich konnte den fremden, hübschen Mann nicht so alleine im Traum zurück lassen und nahm ihn noch bettwarm, wie er war,  hinüber in meine Phantasie. Dort küsste er mich weiter und staunte nicht schlecht, welchen Spielraum meine Phantasie ihm bot.

14.02.12

Valentinstag

Die chinesische Studentin, die jedes Mal zum Sprechen aufsteht. Die Kolumbianerin, die einfach drauflos redet, wie sie lustig ist und die Lehrerin duzt. Die Senegalesin, die sich lauthals empört und etwas Respekt für die Lehrerin von ihr verlangt. Die Chinesin, die es nicht übers Herz bringt ihre Lehrerin ohne Titel anzusprechen, und mich inzwischen nicht mehr Lehrerin Jonka, sondern standhaft Frau Lehrerin Jonka nennt. Die Eritreerin, die beim Abschied mit ihren Fingerspitzen meine Handfläche streift und ihre Hand ans Herz legt. Die Vietnamesin, die mir bei der Begrüssung die Hand mit aller Kraft zusammen presst, weil sie gelernt hat, dass ein fester Händedruck ein Zeichen der Sympathie ist. Der tibetische Mönch, der jedes Arbeitsblatt mit beiden Händen entgegen nimmt und sich dabei drei Mal verneigt. Der Indonesier, der mich manchmal nachahmt und wie ich „oh Mmmann“ sagt, oder „ge-nau“. Der schlaue Kubaner, der beim Galgenspiel bei  _ a _ _ _ t _ _ _ t a _  sofort das Wort Valentinstag erriet.

11.02.12

Wunschhütte

 
Eine Seite zum Verlieben und sich Verlieren. Eignet sich auch für ein geselliges, abendliches Ratespiel: Bei jedem Bild zuerst raten, wo die Hütte steht. Dann erst die Bildlegende lesen.

10.02.12

Ich bin nicht toleranter geworden. Aber geduldiger.

07.02.12

Winterabend

Zum ersten Mal bei Ebay etwas ersteigert. Indische Saris. Unglaublich schöne, alte, handbestickte Seidensaris. Sie kamen in weniger als einer Woche aus Indien bei mir an. In einem zugenähten Paket. Pakete aus Berlin brauchen länger.
Nun verbringe ich meine Sonntage nähend. Und Tee trinkend. Bin ganz auf Wintergemütlichkeit eingestellt, Ofenwärme, Kerzenlicht, Suppe, Tee, Nähen, Lesen. Duftöl. Wobei ich meine Vorurteile gegenüber Duftölen nie ablegen konnte. Eigentlich gegenüber Menschen, in deren Wohnung es nach Duftöl riecht. Die Vorstellung von Duftöl in Verbindung mit Menschen, die gerne sinnlich, lustvoll und kuschelig sagen. Oder das Wort erotisch. Und nun riecht es bei mir auch nach Winterabend oder Herbststurm. Aber so ist das: Ehe man sich versieht, ist es Winter und man wird selber kuschelig. Kuscheln ist ja auch geniessen. Zeit zum Geniessen haben. Ich hatte Zeit und lungerte auf dem Weihnachtsmarkt herum. Und da stand ich auf einmal an diesem Duftölstand, schnupperte an den Fläschchen und mochte die Fichte sehr und den Herbststurm. Ich frage den Verkäufer, was sein Lieblingsduft sei. Drachentanz, sagte er. Mir fiel auf der Stelle wieder ein, warum ich ein Vorurteil hatte. Ich sah mir die anderen Fläschchennamen an: Wintertraum, Wintermärchen, Elfenzauber, weiter wollte ich nicht lesen. Also roch ich wieder an den Fläschchen ohne auf die Namen zu sehen. Zwei Duftmischungen waren überraschend gut. Ich guckte: Tantra und Seitensprüngchen hiessen sie. Seitensprüngchen.  Mein Vorurteil wuchs ins Unermessliche. Das sind bescheuerte Namen, sagte ich dem Verkäufer. Warum? Ich kaufe doch kein Duftöl, das Tantra heisst. Weisst du überhaupt, was Tantra ist, fragte er. Er wusste es, das sah ich ihm an. Ich fand es gerade nicht so kuschelig über Tantra zu diskutieren. Ich drehte den Deckel des Seitensprüngchens zu und dachte, dass sich alles immer um Sex dreht. Das Fläschchen hatte einfach den falschen Namen.

04.02.12

Samstagabendträumen

Die vielen unerfüllten Wünsche. Trage sie mit mir herum durch diesen bitterkalten Winter. Sie geben mir das Gefühl nicht vorwärts zu kommen. Wirkungslos zu sein.  Aber sie flattern wie wild in meinem Herzen. Wie gackernde Herz-Hühnchen. 

03.02.12

Potzmillionen Speck mit Bohnen

(oder heideblächle, wie meine Mutter sagen würde)

02.02.12

Meine neuen Arbeitskolleginnen

Kaffeepause. Wir sitzen im Café und lesen einander die Sprüche unserer Zuckertüten vor. Und landen beim Thema Heiraten. Drei haben nie geheiratet. Die vierte sagt, dass sie einen secondhand Mann geheiratet hat. Frage mich, warum sie das so sagt. Sie hilft mir auf die Sprünge: "Ein Mann aus zweiter Hand, verstehst du, er war schon einmal verheiratet". Ich nicke, obwohl ich noch nicht ganz verstehe. Sehe die erste Frau vor mir, wie sie den Mann aus der Hand gibt. Wie ein Buch. Wie heisst es bei den antiquarischen Büchern noch: mit stärkeren Gebrauchs- und Alterungsspuren und kleinen Schäden. Ob sie das gemeint hat?
"Warum hast du nie geheiratet?", unterbricht eine Kollegin mein Nachdenken.
"Ich fand heiraten spiessig", sage ich.
"Hattest du nie den Wunsch, ein Hochzeitskleid zu tragen, Braut zu sein..."
"Nein. Ich war früher nicht so romantisch. Heute schon."
"Und wie ist es bei dir?", frage ich zurück.
Die Kollegin erzählt, dass sie zwanzig Jahre in Tschad gelebt hat, Entwicklungshilfe, keinen passenden Mann gefunden hat, ein ausreichend ausgefülltes und beschäftigtes Leben hatte und das Eheleben nicht vermisste.
Ich sehe sie an, und mir fällt ein, dass sie wie eine Frau aussieht, die nie Sex hatte. Überlege, warum man das einer Frau ansieht. Man sieht einer Frau ja auch an, wenn sie Sex hatte. Denke an diesen weichen Glanz der Lüsternheit in den Augen, an das Losgelöste in den Bewegungen, das gewisse Timbre in der Stimme, kann aber nicht zu Ende denken, weil ich die dritte Kollegin gerade sagen höre: "...und dachte immer, dass er eigentlich nicht der Richtige ist. Und so haben wir nie geheiratet. Jetzt sind wir zwanzig Jahre zusammen."

01.02.12

Vorknöpfen


Grosse Knöpfe am Kleid sind ja auch eine Art Botschaft. Es hat was Gutmütiges, Argloses. Eine Frau, die grosse Knöpfe trägt, möchte apart, stilvoll wirken. Aber sie wirkt eher wie eine anthroposophische Ergotherapeutin. Sie will auch beim Aufknöpfen bloss keine Umstände machen. Im Grunde ist sie harmoniebedürftig.

Bei Kleidern mit durchgehend kleinen Knöpfen verhält es sich noch anschaulicher:
Eine Frau mit einem durchgeknöpften Kleid empfindet es als sinnliche Geste Knöpfchen für Knöpfchen zu öffnen. Sie wünscht sich romantische Umstände. Die Anzahl offener Knöpfe verrät offensichtlich, wie sehr man sich um sie bemühen muss.

31.01.12

Heute

Im Marzilibähnli treffe ich Glenn. Wir ziehen gleichzeitig die Stöpsel aus den Ohren und lächeln uns an. Er sagt, dass ich ein hübsches Kleid trage. Er ist schwul und achtet auf so was. Ich frage, wie es ihm geht. Er hat neun Monate lang bei mir Deutsch gelernt. Wir unterhalten uns über das Leben in Bern, die Liebe und die Kunst. Der Tag beginnt fabelhaft.

Im Tram sehe ich einem Mann zu, der seine Haare zu einem Pferdeschwanz bindet. Wie er ein dutzend Mal über den Kopf streicht und dabei abwechselnd mit der rechten und linken Hand die Haare zu einem Schwanz bündelt. Stelle mir vor, wie es aussehen würde, wenn er wichst. Frage mich, ob das nun abartig ist. Ist es nicht. Er hat damit angefangen.

Im Unterricht schreiben wir einen Lebenslauf. Lebensläufe mit Leben aus Lücken. Leben aus Militärdienst, Krieg und Lücken. Leben aus Flucht und Lücken. Leben aus sechs Grundschuljahren und Lücken. Leben aus fünf Grundschuljahren und zehn Jahren Familienfrau. Scheidung. Flucht. Kinder in Syrien. Wir schreiben einwandfreie, lückenlose Lebensläufe.

Oskar. 36 Jahre alt. Kolumbianer. Schulen und Konservatorium. Saxofonspieler. Hat 14 Jahre als Musiker da und dort gearbeitet. Verliebt sich in eine Schweizerin, heiratet und zieht in die Schweiz. Leben aus Musik und Liebe und Lücken.

Nsur, 25 Jahre alt, Eritreer, hat nach der Grundschule drei Jahre Militärdienst geleistet. Mit 18 Flucht in den Sudan. Dort als Gipser und Sonstiges gearbeitet. Mit 22 Flucht nach Lybien. Dort als Fussballspieler gearbeitet. Mit 24 Flucht nach Italien. Auf seinem Aufenthaltsbewilligungsausweis ist ein Foto. Er sieht darauf aus wie 40. Du siehst alt aus auf dem Foto, sage ich. Das war nachdem ich mit dem Boot in Italien ankam, sagt er. Ich habe überlebt. Leben aus Überlebenslücken.

Sitzung am Mittag. Alle sind hungrig. Unterzuckerte Frauen reden zu schnell und zu hoch. Die geschmeidige Kollegin mit dem weichen Bauch. Der warme Busen unter dem Pullover. Mein Beinwippen.

Fünfzehn Minuten Wartezeit auf der Post. Die Digitalanzeige behauptet das. Ich vermute eine Stunde.  Gehe lieber Winterschuhe kaufen. Finde keine Schuhe. Kaufe stattdessen Lammschulter, Kartoffeln und Feldsalat ein. Und Champagner. Möchte einen Champagnerabend. Ein junger Mann an der Ecke fragt mich, ob ich Kleingeld habe. Einen Franken oder zwei. Er sieht aus wie ein Lehrer oder Sozialhelfer, nicht wie ein Bettler. Sage, dass ich gerade kein Kleingeld habe. Gehe weiter und frage mich, warum er Geld braucht. Ärgere mich, dass ich ihn nicht gefragt habe, warum er wie ein Sozialhelfer aussieht und Geld braucht. Also kehre ich um. Als ich wieder an der Ecke bin, ist er weg.

Normalerweise habe ich Kleingeld in der Tasche.  Ab und zu nehme ich abends das Kleingeld aus dem Portemonnaie und lege die Ein-, Zwei- und Fünffränkler in meine Spardose. Das restliche Kleingeld kommt in meine Jackentasche. Ein paar lustige Rappen in der Tasche sind immer gut. Für solche Fälle. Für die alte Puppenfrau zum Beispiel. Sie schiebt einen Kinderwagen voller Puppen vor sich her. Sie war mal ein Mann. Ich kannte sie noch als jungen Mann. Ist dreissig Jahre her. Sie kauert meistens in sich versunken am Bahnhof neben ihrem Puppenwagen mit einem Pappbecher vor sich. Ich gebe ihr immer das ganze Kleingeld.

Wieder auf der Post. Zwölf Minuten Wartezeit. Ziehe die Nummer 196. Ich warte. Nummer 145 Schalter K ist dran. Ich stehe und warte. Heute ist mein hübsches Kleid Tag und mein Champagner Abend, denke ich.