27.11.06

Die Suche der vier Schwestern nach der Zeit, ohne die sie verloren wären

Den gestrigen Tag verbrachte ich in Gesellschaft meiner drei Schwestern. Wir kamen von Zürich, Thun und Genf nach Bern um den vierzigsten Geburtstag der Jüngsten zu feiern. Wir zelebrierten dieses Ereignis mit einem Wohlfühl-Tag. Dampfbad, Massage, Kosmetik, Spazieren, Feinessen. Auf solche Ideen kommt man erst mit dem Alter. Mit dreissig hatten wir uns noch ein Cabrio gemietet und kreuzten mit wehenden, weissgetupften Kopftüchern, Sonnenbrillen und lachenden Lippenstiftmündern durch die Stadt. Mit zwanzig legten wir unser Geld zusammen und gingen wie richtige Damen eine gewagte Eis-Kreation namens Coupe "Frauentraum” im Saal eines Hotels essen. Als Kinder feierten wir Geburtstag indem wir Erwachsene spielten, die sich gegenseitig in den Wohnungen besuchten, mit Kühlschränken voller Jogurt und Pudding. Mit einem wohligen Gefühl des Überflusses luden wir einander zu Broten mit unverschämt viel Butter und Zucker darauf ein. Wir übten alle die wichtigsten Berufe der Welt aus, wie Lebensretterin, Dompteuse oder Interviewerin, aber hauptsächlich waren wir allein erziehende Mütter. Wir hatten insgesamt mindestens zwanzig Puppenkinder und unser grosser Bruder durfte nur dann mitspielen, wenn wir ein Kind taufen mussten. Denn dann brauchten wir einen Pfarrer. Schon klar, dass er das doof fand.
Doch kehren wir zurück zu den vier Schwestern in der Wellness-Oase.
Wie ist das mit vierzig? Fragt die Jüngste uns. Erzählt mir, wie das bei euch mit vierzig war! Wir liegen auf den Liegestühlen, irgendwann ist bei dem Wellness-Verwöhn-Postenlauf zwischen Heilerdepackungen, Sauna und Massage auch mal das Verwöhnruhen auf Liegestühlen dran. Man gönnt sich einen Schluck von dem mit Sauerstoff angereicherten Wasser, Früchteteller werden angeboten. Also schnell und geschickt einen Mandarinenschnitz geniessen und dann eine Dattel oder vielleicht umgekehrt besser. Jedenfalls geht es schon darum, die perfekte Reihenfolge der Schnitze herauszufinden, ist ja schlieslich kein Müsli. Für mich selbst würde ich nach einigem hin und her der Variante Orangen- Feigen- Kaki- Kiwi- Mangoschnitz den Vorzug geben. An den Wänden dieses Vorzugsfrüchte- Schnitze-Ruhesessel-Wartesaals hängen ironischerweise schicke Schokoladenfotos. Makroaufnahmen von aufgebrochener, samtsattener Schokolade, Stücke gross wie Steinbrüche. Nur das Hinsehen allein macht schon glücklich. Bilder funktionieren immer. Funktioniert ja auch bei Nacktemänner-Bildern. Ich schliesse die Augen und stelle ich mir diese überdimensionalen schicken Männerfotos an den Wänden vor. Nackte Männer in Steinbrüchen. Samtene Haut auf den warmen Felsen. Saftig feuchte Schnitze, die wie von selbst den Lippen entlang gleiten. Glück.
Doch dann fällt mir ein, dass meine jüngste Schwester ja immer noch darauf wartet zu erfahren, welche Grauen sie erwarten, jetzt nachdem sie diese schwer belastete Grenze des vierzigsten Lebensjahres überschritten hat.
Mit vierzig, sagt meine älteste Schwester und unterstreicht ihre Worte, indem sie ihren schweren Hängebusen in den Händen wiegt, geht alles nur noch abwärts.
Genau das wollte ich nicht hören, sagt die Jüngste und wendet sich mit um Hilfe flehenden Blick an mich.
Also lege ich mich für sie ins Zeug, wie das Pferdchen vor einer Hochzeitskutsche. Vierzig, sage ich, ist das beste Alter überhaupt, Schwesterchen! Mit vierzig hat eine Frau diese optimale Mischung aus Erfahrung, Raffinesse und Schönheit erreicht, die Jüngere in staunend-nachahmende Bewunderung versetzt und Ältere in neidisch-wohlwollende Solidarität. Mit vierzig hatte ich meinen Stil gefunden und konnte mich auf mein Gefühl verlassen. Ich begann mir die Dinge zu gönnen, und nicht mehr zu leisten. Ich täuschte keine Orgasmen mehr vor, sondern multiplizierte sie geschickt.
Die jungen Liebhaber, welche mich umgarnten, entschuldigten sich scheu und höflich bei mir für ihre Unerfahrenheit. Mit den älteren Männern hingegen teilte ich all die vertrauensvolle Gewissheit und Ruhe, welche die heftigen Erfahrungen der Jugend einem bescheren, so sie gelebt wurden. Mit vierzig wusste ich, was ich will und alle Menschen verwöhnten mich voller Geduld und Dankbarkeit.

Da wurde es plötzlich ganz still in der nachmittäglichen Wellness-Relax-Lounge. Selten habe ich meine eher vorlauten Schwestern so in Gedanken versunken erlebt. Hatte ich etwas Falsches gesagt, oder gar etwas überaus Wahres? Etwas verwirrt öffnete ich die Augen ein ganz klein wenig, zu einem kleinen Schlitz und schaute mich um. Der Zimmerspringbrunnen plätscherte weiter vor sich hin, der sanft beleuchtete, steinerne Buddha zwinkerte mir zu, die Schockokanten an den Wänden kräuselten sich ganz aufgeregt, die Jungs aus dem Steinbruch scherzten mit meinen lachenden Schwestern. Da lehnte ich mich entspannt zurück und zog schmunzelnd den weichen Frottemantel etwas enger um mich. Es war gut die Anwesenheit meiner mit mir älter werdenden Schwestern zu spüren. Bald wird die erste fünfzig. Wir werden ihren Geburtstag entsprechend feiern.

26.11.06

Nach Mitternacht bin ich immer so müde und möchte nur noch schlafen

...und als ich mich von ihnen verabschiedete, schauten sie mich mit diesem oh du gehst schon Blick an, diesem traurigen. Der Italiener mit seinen roten Glühweinbacken nahm seine Gitarre in die Hand und zwar so, dass ich ahnen musste, wie wundervoll er gleich spielen würde. Der Lungenchirurg aus Aserbaidschan schaute beinahe vorwurfsvoll enttäuscht, weil wir eine Konversation begonnen hatten, die noch längstens nicht beendet war. So viele Augen auf einmal beim Abschied. Der Gastgeber, der mich nicht nur vom Aussehen her an ein frisch geschlüpftes Vögelchen erinnert, federlos und unkoordiniert in den Bewegungen. Der Architekt, der zwei Apfelstrudel und einen Hefegugelhopf gebacken hatte schaute mir mit den allertraurigsten Konstruktionsaugen nach. Wenn er wüsste, dass er der Zuckerbäcker ist, der gleich meine Träume versüssen wird.

15.11.06

Renovation

Geduld. Es wird schon. Ich kümmere mich drum. Bald.

07.11.06

Mein durcheinandergewürfeltes Leben

Ich habe keinen Internetanschluss bis Freitag und auch noch kein Licht in der Wohnung. Ich finde selbst bei Tageslicht nichts mehr. Ich suche immer alles. Ich habe keine Zeit zum Auspacken und Regale Aufstellen und Lampen Montieren. Ich nehme einfach aus den Schachteln raus, was ich unbedingt brauche und überall stehen durchwühlte Kisten und Papiertüten rum... Ich lebe in einem Schachtel Dschungel und bahne jeden Tag einen neuen schmalen Weg, vom Bett zum Tisch zur Ausgangstür. Die Küche ist noch zu.
Ehh ja, so ist das nun mal und ich habe keine Zeit! Am Wochenende kümmere ich mich um alles. Dann wird alles gut. Alles wird sowieso immer besser, weil meine neue Wohnung heller ist und frischer und weil ich eine Mitbewohnerin bekomme. Sie ist bildhübsch, kokett, erfrischend und unternehmungslustig, sie lacht viel und erinnert mich an mich mit 30. Vielleicht ist sie aber eine Geheimagentin vom Lieben Gott und die Ähnlichkeit mit mir mit 30 ist nur Tarnung. Ich freu mich.