Es hat den ganzen Tag geregnet. Ununterbrochen. Ich bin den ganzen Tag im Bett geblieben. Wie paralysiert. Zeitweise fühlte ich mich wie die langbeinige, fette Spinne, die seit Tagen dort oben an der Decke meines Schlafzimmers in einer Ecke bewegungslos lauert. Natürlich lauert sie nicht, das sagen wir Menschen einander um uns zu beruhigen. Es wäre einfach nicht auszuhalten, sich vorzustellen, dass so eine Spinne tagelang bewegungslos verharrt ohne irgendeinen Sinn. Da behauptet man doch lieber, sie warte auf etwas. Warten ist meine Lieblingsbeschäftigung im Moment. Ich warte darauf, dass mein Leben glücklich wird.
Mein glückliches Leben führe ich auf dem Land in einem grossen, hellen Haus mit einem krautigen Garten, einer grantigen Katze, einem verkaterten Hund, den Hühnern und einem liebeskranken Truthahn und einem Mann. Mein Leben kann ohne Mann nicht glücklich sein. Und meine Liebe ist nicht lebenswert, ohne den Truthahn, der mich daran erinnert, wie schlimm die Zeiten ohne Liebe sein können. Jedenfalls kann ich auf diese Weise jeden Abend von neuem entscheiden, wen ich unter meine Bettdecke nehme. Tja so ist das, wenn mein Leben glücklich ist.
Ich lag also den ganzen Tag gelähmt im Bett und schaute gedankenlos dem Regen zu, der nicht nachliess. Was mich beunruhigte war, dass ich keinen Drang verspürte, etwas zu lesen oder zu telefonieren. Ich wartete und fühlte mich wie die Spinne, ohne das geringste Verlangen nach irgendeiner Abwechslung. Mein Rücken fühlte sich nach sechs Stunden liegen auch schon ein klein wenig wie ein Panzer an, an dem meine trägen Arme und Beine wie an dünnen Seidenfädchen hingen. Dann fiel mir ein, dass Spinnen die Fäden, mit denen sie ihr Netz bauen. auskotzen. Interessante Perspektive. Aber ich dachte lieber nicht weiter darüber nach.
Noch viel interessanter fand ich aber den Gedanken, dass Spinnen ihre Beute zuerst lähmen und dann ein Gift in sie einspritzen, welches den Körper der Beute zersetzt. Dann saugt die Spinne das vorverdaute Opfer aus und übrig bleibt nur die Hülle. Die leere Hülle, die erschütternd geisterhaft und substanzlos an einem der kaum sichtbaren Fäden des Netzes im Wind hin und her schwankt. Die Spinne verdaut also nicht in ihrem eigenen Magen, sondern sie hat den Verdauungsprozess sozusagen ausgelagert. Das scheint mir eine äusserst elegante Angelegenheit, die bereits zersetzten Opfer durch einen Strohhalm in sich einzusaugen und zu spüren wie der eigene Bauch immer dicker wird. Ha! Prost Mahlzeit.
Ich hatte aber keinen Hunger, während ich regungslos dalag. Es war Sonntag und es regnete und es gab eh nichts zu essen in meiner Wohnung.
Das einzige, was ich mir wünschte war etwas Musik. Aber ich war nicht in der Lage aufzustehen und stellte mir stattdessen lieber vor, wie das ist, wenn ein Spinnenmännchen sich an das Netz des Spinnenweibchens wagt um sie mit seinem Sound zu verführen. Eine riskante Sache in jedem Fall, denn die stürmischen Liebhaber riskieren dabei ihr Leben. Aber wie Blixa Bargeld es formulierte als er noch jung war und ihm die grossen Würfe noch gelangen: „Keine Schönheit, ohne Gefahr.“
Haben Sie, werte Leser, schon einmal gesehen, wie schnell die Spinne sich auf eines der süssen kleinen Fluggeschöpfe stürzt, wenn es sich in ihrem Netz verfangen hat? Die Spinne hat aussergewöhnliche sensorische Fähigkeiten. Sie fühlt die kleinste Vibration der Fäden ihres Netzes und weiss anhand der Schwingungen genau, was sich da in ihrem Netz verfangen hat. Die Spinne frisst sie alle, - die Wespen, die Spinnenmännchen, ihre Spinnenschwestern und Kinder und hauptsächlich die Eintagsfliegen.
All dies weiss das Männchen natürlich und verhält sich vorsichtig. Und es ist schlau. Es zupft an den Fäden des Netzes wie an einem Saiteninstrument. Es erzeugt diesen ganz besonderen rhythmischen Klang, diese tiefgreifende erschütternde Vibration, welche das Spinnenweibchen in Trance versetzt. Dennoch enden die meisten Begegnungen dramatisch.
Schlussendlich stehe ich, anders als meine langbeinige Schwester an der Zimmerdecke, doch schnell auf und mache die Musik an. ‚20 Miles’ füllen den Raum mit ihrem Blues. Auch in Louisiana regnet es. Der Mississippi tritt über die Ufer. Judah Bauers Stimme zupft an meiner Bettdecke. Hhhmmmm.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen