26.02.10

Zwiegespräche

"Wer ist Minka?", fragt eine neue Kollegin im Lehrerzimmer.
"Die, die gerade mit dem Kopierer redet", sagt die Praktikantin und kichert.
Meine Arbeitskolleginnen finden das lustig. Ich bin so. Es ist eine alte Gewohnheit. Ich spreche mit Dingen. Der neue Kopierer ist mein bester Freund am Arbeitsplatz. Er kann enorm viel und ist zuverlässig. Nur die Schneidemaschine hat mich neulich so geärgert, dass ich sie nie mehr anfasse. Wir haben richtig gestritten. Ich habe geflucht und sie hat immer krummer zurückgeschnitten.
"Du hast nichts dagegen, wenn ich deine Ex brauche", fragt mich eine Kollegin, und legt Papier in die Schneidemaschine.
Ich mag meine Arbeitskolleginnen. Langsam verstehen sie mich.

25.02.10

Frühlingsgesang

Der kreolische Junge im Tram singt zehn Minuten lang pausenlos: Isch liebe disch, ischliebe disch ischliebe dischisch liebe dischischliebe dischischliebedisch, während seine Mutter telefoniert. Als sie das Handy zusammenklappt singt er: Isch lieb’ den Frühling, isch lieb’ den Sonnenschein, aber weiter weiss er nicht. Darum verfällt er übergangslos und weitere zehn Minuten in seinen repetitiven, hochgradig tranceartigen ich-liebe-dich Schamanengesang.

24.02.10

Domino

Habe ich Ihnen schon meinen Osteopathen vorgestellt? Keine Sorge, es wird keinen Osteopathenroman mit Folgen geben. Mein Osteopath ist ein schöner, stattlicher junger Mann italienischer Herkunft, mit blonden, langen Haaren und blauen Augen. In seinem Namen sind vier Cs. Das finde ich das beste. Ich gehe einmal im Monat zu ihm wegen meiner Problemzone: Mein rechtes Knie. Er behandelt meinen Nacken, meine Hüften, mein Zwerchfell und meinen Körper insgesamt, meine Haltung und meine Schultern, alles, ausser mein Knie. Er sagt, das Knie ist schon lange wieder gesund. Nur mein Körper hat das noch nicht begriffen. Jetzt muss er alles wieder justieren. Feinstimmen. Ab und zu drückt er mich komplett durch, nimmt mich wie ein Ganzkörperpaket zu sich, dicht an seine Brunst, legt sein Gewicht auf mich, rollt mich auf der Liege mit seinem Ganzkörpergriff einmal durch und alle Knochen knacken, jeder einzelne Rückenwirbel, wie eine Kette von umkippenden Dominosteinen. Er ist mein Held!

21.02.10

Blut: Arztroman letzte Folge

Lassen wir es dabei bewenden, schreibe ich dem Arzt. Nur dies, und mit freundlichen Grüssen. Auf kurz und bündige Art, weil Bedenken und Begründungen auch nicht weiterhelfen.
Am nächsten Morgen wache ich in einer Blutlache auf. Und ich bin froh, dass ich keine langen Erklärungen geschrieben hatte. Es gibt nämlich nur eine Plausible: PMS. Aber das konnte ich ja nicht ahnen. Meine Tage kommen diesmal unerwartet früh. Und immer ausgerechnet dann auch viel zu stark. Eine Regel meiner Regel. Der Überraschungseffekt und die Sauerei sind alte Blutsgeschwister. Ich ziehe das Leintuch ab und weiche es in kaltes Wasser ein. Wasche mich. Ziehe das Bett frisch an und lege mich wieder hin. Denke an den Arzt und insgesamt an Blut. Ein Lied fällt mir ein, ich war damals 14 und durfte mit meinem grossen Bruder in den Übungskeller gehen, seine Band spielte Punkrock, er war 18 und ich bewunderte ihn wie einen Halbgott. Er spielte Gitarre und sang, ich erinnere mich nur noch an den Refrain: Blut fliesst - bei der Geburt, Blut fliesst - beim ersten  Beischlaf, Blut fliesst - beim Verrecken. Es musste verrecken heissen, weil es 1980 war, Zürich, autonomes Jugendzentrum, Opernhauskrawalle, und junge Wut spuckt grosse Wörter aus. Mein Bruder hatte ein schweres Schicksal mit vier kleinen Schwestern. Wir liessen ihn nie mitspielen aber machten ihm jeden Unfug nach. Er war unser grosses Vorbild. Ich wusste nicht, was Beischlaf genau bedeutete. Es hatte sicher etwas mit Sex zu tun. Alle Wörter, die ich verdächtig fand, hatten mit Sex zu tun. Er sang von Blut und ich traute mich noch nicht einmal an schlimme Wörter zu denken. Blut war schlimm. Blut, Blut, Blut, dachte ich mutig. Seit ein paar Monaten bekam ich meine Blutungen und schämte mich dafür. Ich war verwirrt und bemüht, es mir nicht anmerken zu lassen. Warum fällt mir das alles ein? Ach ja, mein grosser Bruder vergass das Menstruationsblut in seinem Lied, welches bei unbegründet bewendeten Beziehungen fliesst.
Ich habe Durst. Gehe in die Küche und setze Teewasser auf. Presse eine Zitronen aus und lege zwei Teebeutel Hagebutten in den Teekrug. Nehme die Flasche Holundersirup aus dem Kühlschrank zum Süssen, da rutscht sie mir aus der Hand. Fällt auf den Küchenboden, der, passend zu diesem Komplott, ein Steinboden ist.  Die Flasche zersplittert und der rote Saft breitet sich aus, rinnt in die alten Steinfugen und läuft unter den Kühlschrank. Eine weitere Blutlache, aus Sirup. Alles ist voller Scherben. Ich wische vorsichtig auf und lege mich wieder ins Bett. Heute wollte er mit mir einen Spaziergang unternehmen. Zum Glück habe ich es dabei bewenden lassen.

17.02.10

Schinkenpalatschinken

12.02.10

Ach!

Damals, als er beim letzten Glas an sie dachte – ihren aufrechten Gang, den Schwung ihrer Hüften, den süssen, geilen Arsch, den sie hatte, und wie weich sich ihre Lippen anfühlten - und er dann draussen auf der Strasse an ihre kleine, nasse Zunge dachte und auf der Stelle anhalten musste, bei dem Geschmack, der in seinem Mund zusammenlief - diese herbe Beere, voller Saft - und er ganz verloren auf der leeren Strasse da stand, halb ertrunken in ihren Reizen, und er nicht mehr an sie denken wollte, und es doch wollte, und dieses reissende Gefühl in der Brust nicht loswerden konnte, das ihn gleichzeitig aushöhlte und ausfüllte.

10.02.10

Titel

Oberrheinisches Kochbuch zum Nutzen und Vergnügen für junge Hausmütter und Töchter, die in der Kunst zu kochen und einzumachen einige Geschiklichkeit erlangen wollen : Nebst einem Anhang von Speisen für Kranke
Müllhausen : Rissler, 1815


Neu-Vermehrtes Bernisches Koch-Buch, darinnen Anweisung gegeben wird, mehr als Vierhundert Speisen nach jetzigem Gebrauch wohl zu appretieren, zu kochen, beizen, braten und zu backen; wie auch Pasteten, Tartes, Dessert, Cremes, Früchte en Confitures und Glaces zu verfertigen
[Bern] : Hallersche Buchdruckerei, 1796

07.02.10

Verbergen

  
Schneewanderung im Nebel. Alles ist weiss,

 

weiss, weiss, weiss.

  

Mittagessen im Panoramarestaurant. Leider ohne Panorama. Eine währschafte Walliser Rösti, mit Käse überbacken und Spiegelei. Danach Kaffee und ein Aprikosenschnaps. Hach ein Genuss. 




Kurzer Lichtblick am späten Nachmittag. Und den ganzen Tag keine Menschenseele. Wunderbar.

06.02.10

Arztroman 7

Er findet eine reine Fotokorrespondenz nur bedingt hilfreich um sich kennen zu lernen. Er schlägt einen kleinen Spaziergang vor, demnächst.

Im Keller meines Herzens spielen Panik und Freude Ping Pong.

03.02.10

Mein Kochbuch

Nicht alle Zufälle sind Zeichen.

Die alte Frau neben mir im Tram, die sich lebhaft für das Kochbuch interessierte, das ich am Durchblättern war.
"Ein schönes Album haben Sie da gemacht", sagte sie, "das war bestimmt viel Arbeit. Eine gute Schriftwahl. Das haben Sie wirklich sehr gut gemacht. Schöne Farben, guter Druck", lobte sie. "Haben Sie es in Bern drucken lassen? Ich verstehe etwas davon, wissen Sie."
"Ich habe es nicht gemacht", erwiderte ich. "Ich habe es vorhin in der Bibliothek ausgeliehen. Es ist leider vergriffen."
"Das schönste Buch, das ich seit Langem gesehen habe", sagte sie und deutete auf die Bilder: "Wunderbare Farben. Sie können ruhig stolz auf sich sein. Eine gute Arbeit haben Sie da geleistet".
Ich sprach lauter, vielleicht war sie schwerhörig: "Es ist nicht von mir."
"Aber Sie haben doch die Gerichte selber zubereitet, nicht wahr? Das sieht ja so köstlich aus. Sie sind wirklich sehr talentiert."
Ich sah sie an und lächelte.
Alle Fahrgäste um uns herum lächelten verständnisvoll.
Sie tätschelte meinen Arm und wiederholte: "Sie können ruhig ein wenig stolz auf sich sein."

Es war ein Zeichen: Ich muss endlich mein Kochbuch schreiben.

02.02.10

Reinlichkeit und Güte

Zwei Dinge, sagt meine Mutter, sind im Alter essenziell: Reinlichkeit und Güte.

01.02.10

Arztroman 6

Der Arzt schreibt schöne Briefe. Unsere Korrespondenz ähnelt bis jetzt einem höflichen Vorstellungsgespräch für eine Stelle, die zwar vielversprechend aber illusionär ist.

"Ich mag nicht hin und her schreiben", sage ich zu Nic, die sich nach dem neusten Stand ihrer Einfädelung erkundigt. Wir sitzen im Kornhauskeller, der schönsten Bar Berns, und trinken Rotwein. "Warum nicht? Das ist doch sicher spannend", sagt sie.
"Schreiben ist so verfänglich", sage ich nachdenklich. "Dann verliebe ich mich vielleicht in seine Worte und nicht in ihn. Ich habe bereits vergessen, wie er aussieht".
Nic überlegt: "Sag ihm, er soll dir ein Foto schicken".
"Wir können uns so nicht kennen lernen", sage ich. "Er hat schon jetzt ein ganz falsches Bild von mir. Er schreibt, dass er meine wilde Art ungewöhnlich aber reizvoll findet".
"Deine wilde Art?"
"Ich habe den Eindruck, dass er mich für eine Sportskanone und Naturfanatikerin hält".
"Eine Sportskanone?"
"Auf dem Foto, das ich ihm geschickt habe, sieht man meine muskulösen Arme."
"Aber das passt doch. Er ist auch sehr sportlich", sagt sie.
"Ich habe noch nie Sport getrieben, Nic. Ich weiss nicht, wie man Sport treibt. Ich habe Muskeln, weil ich mein halbes Leben lang zentnerschwere Lämmer herumgewuchtet habe. Und ich mag keine sportlichen Männer."
"Aber er schreibt schön", sagt sie, den Stil ihres Glases zwischen Daumen und Zeigefinger drehend, als würde sie ihr Argument festschrauben wollen.
"Ich sehe zwei Möglichkeiten", sage ich: "Entweder wir schreiben uns nur, aber dann will ich ihn lieber nie treffen. Oder wir sehen uns sofort und lassen die Schreiberei".
"Ich habe eine bessere Idee", strahlt Nic: "Ihr schickt euch nur Fotos ohne zu schreiben. Ihr schickt euch Bilder hin und her ohne Worte. Zum Beispiel jetzt könntest du ein Foto machen, wie du in der schönsten Bar der Welt sitzt. So müsst ihr euch nicht schreiben, aber ihr lernt euch trotzdem kennen".
"Das würde er sicher nur wieder ungewöhnlich aber reizvoll finden", sage ich.