15.12.09

Ferien

Jetzt habe ich Ferien.
Weiss noch nicht, wohin.

13.12.09

Magnet


Endlich das Bild zur Geschichte gefunden.

11.12.09

Milchglas Augen

Der in den Gesichtern aller Mütter mit Säuglingen ähnliche, tranceartige Ausdruck chronischer Übermüdung. Dieser trübe, abwesende Blick aus dem Busfenster in die Leere hinaus.

09.12.09

Zurück im Alltag

Es heisst snowboarden. Ich kann nächste Woche gar nicht snowboarden lernen, weil ich noch keine Ferien habe.
Ein Türchen öffnen im Terminkalender bringt auch täglich irgend eine Überraschung.

08.12.09

Lebkuchen

Trete auf die Strasse und bin überrascht mit welcher Präzision ich auf einmal alles wahrnehme. Ein nahrhafter Spaziergang, wie ein Stück Lebkuchen.

07.12.09

Leben

Heute ist mein erster Tag ausserhalb des Bettes. Gleich werde ich mich wieder hinlegen. Es macht noch keinen Spass, etwas zu tun. Habe noch immer Mühe mit klarem Denken.
Draussen regnet es, und ich muss mich zusammenreissen, dass ich mein Leben nicht unnütz, langweilig und sinnlos finde. Es ist nicht schlimm. Es ist einfach gerade nicht lustig.

Möchte nächste Woche in die Berge fahren und Snowboard fahren lernen. Das ist dann lustig. Hoffentlich schneit es bald.

06.12.09

Schmutzli heisst der Knecht Ruprecht in der Schweiz

Meine Gedanken reissen ständig ab. Wie Kalenderblätter. Die abgerissenen Gedankenblätter schweben die ganze Zeit in meinem Gehirn herum. Das Fiese ist, dass zwar eine Menge auf diesen Kalenderblättern steht, ich aber nicht in der Lage bin es zu lesen.
Natürlich denke ich auch an nackte Männer. Aber selbst der Gedanke an nackte Männer ist zu materiell für meinen deliriösen Zustand. Zu meiner Überraschung kommen sie als gehörnte Teufelsmänner in Fellkleidern über den Schnee gestampft. Haben dicke Glocken um die Lenden gebunden. Schleppen mich in den Wald ab.
Oh, Hörner und Felle sind manchmal gut um die Phantasie zu transportieren.

Sonntagsmusik bei Minka

Ein Adventskalender, wie ich ihn mir immer gewünscht habe.

04.12.09

Linsensuppe

Meine Nachbarin kocht mir drei Mal am Tag etwas zu essen. Sie ist Iranerin und vor vier Monaten mit ihrem Mann, einem Tierarzt, in die Schweiz gekommen. Er arbeitet an einem Forschungsprojekt an der Uni und sie lernt Deutsch.
Sie klopft an die Tür, wartet zwanzig Sekunden, egal ob ich 'herein' oder 'jaja' oder schlafe und nichts rufe, dann klopft sie noch einmal und tritt vorsichtig ein. Sie legt das Silbertablett mit dem warmen Essen auf den Küchentisch und zieht ihr Kopftuch ab. Dann kommt sie ins Schlafzimmer, räumt meinen Müll weg, die Taschentücher und Orangenschalen und Dattelkerne, und stellt das Tablett ans Bett. Ich beschwere mich, sie soll nicht aufräumen, aber sie sieht mich nur mit einem Blick an, der sagt: Ich weiss. Sie fragt immer, was ich zu Essen wünsche, und ich versichere ihr, dass ich nichts brauche. Ich habe den Kühlschrank voller Suppen. Meine Freundinnen haben mir auch diesmal Suppen und Einkaufstüten voller Überlebenslebensmittel für Grippeopfer auf die Türschwelle gelegt. Sie faltet die Hände vor ihrem Schoss und lächelt.
Gestern Abend kochte sie mir eine Gemüsesuppe, weil ich Gemüsesuppe wünschte. Es war eine vorzügliche Fleischsuppe mit vielen frischen Kräutern, Koriander, Petersilie und Pfefferminze. Heute gab es eine Linsensuppe. Eine traditionell zubereitete iranische Linsensuppe. Die beste Linsensuppe meines Lebens. Es war so köstlich, dass mir die Tränen kamen.
Sie wartet immer, bis ich einen Löffel probiert habe und sieht mich dabei lächelnd an. Dann zieht sie sich rückwärts zurück, geht freundlich nickend rückwärts aus dem Zimmer und vollständig rückwärts zur Wohnungstür raus.

02.12.09

Grippe

Die Kopfschmerzen hängen mir irgendwie zum Halse raus.
Wie ein welker Strauss.

30.11.09

Liebesblick

Zwanzig Jahre habe ich gewartet um Ghedalia Tazartes live sehen zu können.

Ich stand im Foyer zwischen zwei Konzerten, als eine ältere Dame sich zu mir gesellte. Sie trug nur Schwarz, Weiss und Knallrot, sehr adrett. Sie sah inmitten all dieser Experimentalmusikliebhaber eigenartig gutbürgerlich aus. Ich fragte sie, für welches Konzert sie gekommen sei. Ihr Mann habe sie mitgeschleppt, antwortete sie, er höre nur solche schräge Musik. Ich suchte in der Menge einen Mann, der den Ihren hätte sein können. Sie merkte es, und deutete auf einen ziemlich jüngeren Mann, der genau so skurril aussah, wie die Musik, die er gerne hörte. Seine Haltung war etwas schief, die Strickjacke sah aus wie falsch zugeknöpft. Auch sein Hut sass schief. (Ich muss bei Menschen mit Hüten immer an diese Geschichte denken, die mein frommer Grossvater mir einst vorlas, in der Kinder 'behütet' waren, und ich mir stattdessen Kinder mit Hüten vorstellte.) Er stand inmitten der Wartenden ohne sich mit etwas beschäftigen zu müssen, ohne Drink, Gesprächspartner oder Hosentaschen für die Hände. Seine Frau betrachtete ihn liebevoll und ich spürte, dass sie sich spätestens nach dem zweiten Campari Orange zusammenreissen musste, dass sie ihn nicht für einen Helden hielt, wenn sie vom anderen Ende des Foyers zuschaute, wie seine Augen unter dem Hut hervorleuchteten und die ganze vor sich hin brabbelnde Menge zwischen ihnen in ein erträgliches Licht stellten.
Sie erzählte mir, wie er ihr zu Beginn ihrer Bekanntschaft diese Musik vorspielte, und sie skeptisch wurde, einen Moment lang abwog, ob sie ihn wirklich lieben könnte, mit all seinen Absonderlichkeiten. Aber sie mochte all das an ihm und verliebte sich.
Seit fünfzehn Jahren sind sie ein Paar.

27.11.09

Heute: Yo La Tengo.
Morgen: Cobra Killer, Little Annie, Ghédalia Tazartes
und keine Zeit zum Schreiben.

23.11.09

Arztroman 5

Nic hat eine neue Idee.
Neulich waren wir zusammen etwas trinken. Sie ist die einzige Frau, die ich kenne, dich sich gerne an die Bar setzt.
"Warum" sagte sie, während sie mir das Bier reichte, "schreibst du nicht dem anderen Arzt, dem Honigmundmann, die ganze Geschichte, wie du sein Foto im Internet fandest, und dass du dich auf Anhieb in ihn verliebt hast. So könntest du ihn kennen lernen."
"Ein Mann wie der ist garantiert verheiratet," sagte ich.
"Dann wird es ihm schmeicheln und du hast dein Glück versucht," zwinkerte sie mir zu.
Nic ist manchmal erfrischend unkompliziert in diesen Dingen. Und sie hat scheinbar eine Schwäche für Verkuppelungen entwickelt. Nach zwei Stunden und zwei weiteren Bieren fragte sie mich:
- "Welcher Mann gefällt dir hier am besten?"
- "Keiner."
- "Und der da?"
- "Hmnja."
Sie ging auf ihn zu und wechselte ein paar Worte mit ihm. Kurz darauf stellte sie ihn mir vor. Aber mir fielen nur komische Fragen ein und der Hmnjamann verzog sich wieder.
Nic gab, wie immer, nicht so schnell auf:
- "Mit welchem Mann könntest du dir vorstellen Sex zu haben?"
Ich schaute mich noch einmal um.
- "Mit der Dunkelhaarigen da drüben zusammen mit dem mit der Brille dort," sagte ich.
- "Die Dunkelhaarige kann ich ja verstehen, aber warum der mit der Brille?"
- "Er erinnert mich an einen Mann, den ich begehrte, aber mit dem ich nie Sex hatte."
- "Verstehe. Und die Dunkelhaarige wäre gewissermassen ein Trost Supplement?"
- "Nur eine gute Kombination."
- "Das wird zu kompliziert," winkte sie ab.
Später spendierte sie heimlich einem wildfremden Mann einen Zwetschgenschnaps von mir. Ich merkte es erst, als der Barmann auf mich deutete, und der Wildfremdemann verwundert schaute. Dann lächelte der Wildfremdemann, prostete mir mit dem Zwetschgengeist zu und so nahm der Abend an der Bar seinen Lauf, mit komischen Fragen und Nics Augen, die sich verdrehten.
Schliesslich kehrten wir heim in unsere Betten. Ganz ohne Kombinationen und Supplements.

22.11.09

Ich war jung und brauchte das Geld 2

Habe die hälfte meiner Kurzgeschichte fertig. Und nur noch eine Woche Zeit. Ich werde vermutlich nicht fertig. Dabei habe ich schon begonnen das Geld auszugeben, das ich gar nicht mehr gewinnen werde.
Wenn es nach mir ginge, würde ich am liebsten den ganzen Tag nichts anderes tun, als Kurzgeschichten schreiben, über Menschen, die Ingo heissen oder meinetwegen Bernd, und sich verlieben, eine Weile sehr glücklich sind und dann verlassen werden. Und immer Sehnsucht haben. Dann tun sie verrückte Dinge, um ihre Sehnsucht zu stillen und es wird richtig spannend. Irgendwo würde eine Stelle mit heissem Sex vorkommen, die man immer wieder aufschlagen und nachlesen würde, weil sie so gelungen ist.

21.11.09

Terminschwäche

Es war früh morgens. Ich war spät dran und rannte auf den Zug. Ich rannte und rannte und erwischte ihn in allerletzter Sekunde. Setzte mich ausser Atem in den Speisewagen. Mir war schwindlig. Ich hatte nicht genug geschlafen und noch nichts im Magen. Ich bestellte ein Wellness-Frühstück. Wellness bedeutet zusätzlich ein Glas Orangensaft und ein Müesli. Der Kondukteur kam und ich hatte kein Billett. Es kostete mich zehn Franken Zuschlag. Mir war noch immer heiss und meine Bluse war nassgeschwitzt. Auf der Toilette zog ich sie aus und ein Strickjäckchen an. Ich betrachtete mein vibrierendes Spiegelbild. Man konnte den BH durch den hellen Strick sehen. Ich sah aus wie eine Emmentaler Serviertochter. Lächelte mich an. Es half nicht. Schminkte schliesslich die Wimpern mit brauner Tusche. Setzte mich zurück an mein Wellnessfrühstück. Bestellte einen weiteren Tee. War noch so müde. Als ich ausstieg, sah ich auf die Uhr.
Ich war eine Stunde zu früh.

20.11.09

Es herrscht



Schild am Gewerkschaftsgebäude

18.11.09

Jeux d' esprit

17.11.09

Holundersaft und Heidelbeereis

16.11.09

Arztroman 4

Ich war gestern nicht am Konzert.
Stattdessen bin ich krank geworden. Nic kam vorbei, ich hatte ihr das Ticket vor die Wohnungstür gelegt, damit ich sie nicht anstecke. Sie hinterliess ihrerseits Obst, Sanddornsaft, Kürbissuppe und einen Umschlag auf der Türschwelle. Im Umschlag war ein USB Stick. Darauf war ein kleiner Videofilm.
Das Filmchen ist ein Interview mit dem Arzt, den Nick mit mir verkuppeln will, in seiner Neuköllner Wohnung. Er hat in Berlin, Frankfurt und Zürich eine Wohnung. Nics Freundin, die ursprünglich aus Berlin kommt, hatte vor einiger Zeit spontan das Interview mit ihm gefilmt. Man sieht eine schöne Wohnung, Parkettböden, viele Bücher, viele CDs, eine Tuschzeichnung an der Wand, Dinge, die auf einen kultivierten Mann deuten. Süssigkeiten, Pralinen und Prosecco auf dem Sofatisch lassen einen Mann vermuten, der gerne verwöhnt. Er steht diesmal zum Glück ohne Schnauzbart aber immer noch wie zurechtgestutzt im Wohnzimmer und bügelt gerade ein Hemd (echt jetzt). Er ist ein bisschen nervös, weil er gefilmt wird. Nics Freundin fragt ihn unter anderem über seinen Frauengeschmack aus, was er gut findet und was ihn ärgert an Frauen, und was denn so seine eigenen Vorzüge sind. Ein sehr amüsantes Video. Wenn man ihn so reden sieht, wirkt er ganz sympathisch. Was er sagt ist interessant. Das Video rührt mich irgendwie. Wenn ich krank bin, werde ich immer rührselig und anhänglich. Ich finde auch rührend, dass Nic sich so ins Zeug legt für mich und dafür sorgt, dass ich nicht verhungere und Unterhaltung habe und endlich einsehe, dass der Mann zu mir passt.

15.11.09

14.11.09

Winterruhe

Heute mache ich den Garten zu.

12.11.09

Wie schwer an der Behauptung festzuhalten, dass man etwas sieht

Ich habe die zivilisierte Kaputtheit der Leute erblickt.
Wie tausende von fallenden Blättern.

Mit guter Laune den Untergang abwenden

Ich kaufte den Regenschirm, weil er sich per Knopfdruck von alleine öffnet. Die Wucht und der Überraschungseffekt waren so gross, dass er mir dabei aus der Hand flog und einen spektakulären Bogen in der Luft zurücklegte. Das überzeugte mich. Ich habe noch nie einen Regenschirm besessen. Regenschirme gehören in die Kategorie Rollkoffer, Kühlschrankmagnete und Duschhauben. Dinge, die sich wie Trojanische Pferde ins Leben einschmuggeln und den Untergang des Lebensstils herbeiführen.
Ich habe viel Spass mit meinem neuen Schirm. Ich erschrecke noch immer jedes Mal, wenn er aufspringt. Das hält mich bei Laune.

10.11.09

Abwechslung im Arztroman

Der Mann neben mir im Adrianos redet wie ein Besessener auf mich ein. Viel zu laut, ich kann gar nicht zuhören. Er trägt eine teure schwarze Hose und ein feines, anthrazitfarbenes Hemd. Einen aparten Ring. Imponierend. Er referiert noch immer. Vermutlich ist er in der Werbung tätig. Kreiert Bedürfnisse. Liefert Lösungen. Im Moment produziert er vor allem Lärm. Sein Badge klemmt noch am Hosenbund. Inselspital. Ein Arzt. Ich trinke rasch aus, zahle und gehe.

09.11.09

Erinnerung

Als die Mauer fiel, hütete ich Schafe im Süden der Schweiz, im Tessin. Es war November, der Nordwind blies eiskalt über die Alpen und brachte schlechtes Wetter. Ich hütete gerade in den Kastanienwäldern um die Dörfer herum. Schafe sind ganz wild auf Maronen. Sie fressen gierig und so viele, bis sie fast platzen. Sie stampfen mit den Klauen auf die stacheligen Hüllen ein, bis die kostbaren Waldmurmeln heraus kullern.



Die Herde klebte den ganzen Nachmittag im Wald an Ort und Stelle fest, bis keine einzige Marone mehr auf dem Waldboden lag. Ich konnte inzwischen in aller Ruhe Steinpilze sammeln und ein paar Äpfel im Garten eines Ferienhauses stehlen. Als es dunkel wurde zogen wir zum Fluss runter zum Nachtlager. Ich lief vor der Herde her und lockte sie, wie ich es von den norditalienischen Bergamaskerhirten gelernt hatte: Rrrrrr, Rrrrrrrsch. Der Wind wurde stärker und die Blätter vom Boden wirbelten durch die Luft. Auf einmal flog ein Fetzen Zeitung in mein Gesicht. Ich schaute auf das Papier und sah ein Foto. Menschen standen auf einer Mauer. Es war die Berliner Mauer. Ich traute meinen Augen nicht und steckte das Zeitungsblatt für später ein. Abends kramte ich das Bild wieder aus der Jackentasche, beleuchtete es mit der Taschenlampe und schaute noch einmal genau. Tatsächlich: Da standen Menschen auf der Mauer und sie jubelten. Ich sah auf das Datum. Die Zeitung war eine Woche alt. Warum hatte mir das niemand erzählt? Immer, wenn ich Menschen traf, fragte ich sie nach Neuigkeiten aus der Welt. Sie wollten zwar über die Schafe reden, aber ich nicht.
- Wie viele Schafe sind das, fragten sie immer.
- 800
- Oh so viele!
- Ja. Und wer bist du? Was machst du so im Leben? Was passiert auf der Welt?

Ich band die Hunde an den Wohnwagen und lief ins Dorf. Habt ihr gesehen, fragte ich die Leute in der Dorfkneipe, in der Zeitung ist ein Bild, da stehen Menschen auf der Berliner Mauer! Die Mauer ist gefallen! Leute! Ist das nicht ein Wunder? Eh, sagten sie, was kümmert uns das, komm, trink einen Grappa und beruhige dich.

06.11.09

Nicht ganz unten

Wenn einem an einem gewöhnlichen, regnerischen Vormittag unerwartet viele Leute nachschauen, dann liegt das nicht unbedingt an den neuen Schuhen oder dem raffinierten Kleid, wie man beschwingten Herzens vermutet.
Die Frau, die mich darauf hinwies, dass das Kleid hinten nicht ganz unten ist, soll in den Himmel kommen. Und bis dahin mit Glück und Gesundheit und vielen Kindern, Schmuck und Blumen, Männern, Sex, Mix-CDs und Diamanten beschenkt werden.
Nicht ganz unten, soviel müssen Sie wissen, ist Ausdruck höflich schweizerischer Zurückhaltung und Verniedlichungsmanie. Es bedeutet nämlich komplett oben.
Alle anderen Frauen, die es sahen und nichts sagten, sollen Autopannen und hysterische Anfälle und Sonnenbrände kriegen.

05.11.09

Arztroman 3

Natürlich schaue ich dann doch. Das war jetzt allen klar. Natürlich bin ich neugierig.

Es gibt genau zwei Doktoren mit diesem Namen. Bei Facebook finde ich die Bilder. Der eine ist ein schöner Mann ganz nach meinem Geschmack. Es ist ein fülliger, entspannt zurücklehnender Mittvierziger mit schwarzem Hemd, Fünftagebart, glänzenden, genussfreudigen Augen und einem klugen Mund. Wenn er spricht, so stelle ich mir vor, dann mit Worten, die man immerzu wie Honig von den Lippen lecken möchte.
Der andere trägt einen blonden, perfekt gestutzten Schnauzbart. Seine Züge sind klar und wohlgeordnet. Sein Mund ist ein dünner Strich, der sich verlegen kräuselt. Ich frage mich, ob in diesem Gesicht jemals eine unkontrollierte Regung zu sehen ist. Natürlich frage ich mich auch, was man tun müsste, um diesem Mann unbeherrschte Laute zu entlocken. Er sieht nett aus. Aber insgesamt unglücklich und etwas geniert.

Ich habe Pech. Es ist der andere.

04.11.09

Arztroman 2

Nic gibt nicht auf: "Im Internet gibt es ein Foto von deinem Traumarzt, du kannst einfach seinen Namen googeln."
Ich google nicht.

02.11.09

Arztroman

Meine lesbische Freundin Nic kennt einen Arzt, mit dem sie mich verkuppeln will.
"Es ist genau so wie bei dir", sagt sie, "unbegreiflich, warum er noch immer alleine ist."
Sie denkt, dass wir gut zusammen passen. Er sei wirklich ein toller Mann, der was im Kopf hat.
"Er ist ein richtiger Mann", fügt sie etwas unbeholfen hinzu, weil sie meinen Geschmack treffen will.
"Du meinst also ein grosser, gelassener, geniesserischer, stattlicher, ekstatischer Mann?", frage ich nach, um sicher zu gehen, was ein Richtiger ist.
"Ich weiss nicht, was für einen Schwanz er hat", antwortet sie meine Befürchtungen ahnend, "aber es ist auch spannend sich mit ihm zu unterhalten."
Nic mag mich. Sie möchte, dass ich glücklich bin. Sie weiss, dass ich ohne Mann nicht glücklich sein kann. Und sie kann nicht glücklich sein, wenn ich es nicht bin. Sie denkt an mich, wenn sie einen tollen Mann trifft. Das ist Freundschaft.
Aber ich traue ihrem Männergefühl nicht.
Lesben (Nic mag das Wort Lesben nicht. Sie nennt sich selber eine Lese. Ich bin eine Hete, was, wenn sie es ausspricht, auch nicht besonders schmeichelnd klingt), also Lesen finden manchmal heterosexuelle Männer toll, die hauptsächlich beste Kumpel sind. Beste Kumpel sind unterdrückt übersexualisiert oder gehemmt. Es sind Männer, die viele beste Freundinnen haben, sich regelmässig mit ihnen zum Teetrinken verabreden, natürlich bei sich zu Hause, und während sie sorgfältig ihre Hemden bügeln, von ihren Reisen in die Sumpfgebiete Südirans berichten, über die Konflikte der Touareg Nomaden in Algerien oder first und second flushs indischer Teesorten reden. Männer, die nie ficken sagen und hohe Plateauschuhe unbegreiflich und hässlich finden. Ich mag solche Männer auch. Das meine ich nicht. Mein Mitbewohner war ein bester Kumpel. Aber ich fand ihn nicht sexy.

01.11.09

30.10.09

Mit jedem erloschenen Stern wird das Weltall etwas dunkler

Sehnsucht erlischt manchmal einfach, wie ein leuchtender Himmelskörper, der unwillkürlich verglüht, wenn der Brennstoff ausgegangen ist.

29.10.09

Gelungen!

Glutenfreie Kindergeburtstagstorte, ohne Eier, ohne Butter, ohne Zucker, ohne Sahne, ohne Nüsse, ohne Schokolade. Mit Apfelmus-Schafmilchquark-Füllung.

27.10.09

Der geheime Wunsch beim Kerzenausblasen.

26.10.09

Özlem

Özlems Lieblingswort ist Frühstück. Wenn sie in Fahrt kommt, sagt sie sogar Fürühstück. Es gibt einige auserwählte Wörter, bei denen sie die Reihenfolge der Silben nie hinkriegt. Verhareitet oder kontrensieren zum Beispiel. Sie kann sich nicht konzentrieren, weil Ali neben ihr sitzt und immer leise vor sich hinmurmelt. Einmal patschte sie mit der flachen Hand auf Alis Hinterkopf, damit er Ruhe gibt. Das hätte sie besser unterlassen. Ali schwieg zuerst tatsächlich ein paar Sekunden und schaute nur konsterniert. Dann sprang er auf wie ein Schachtelteufel und schimpfte los, schlug sich vor Wut ein paar Mal mit weit ausholender Hand auf die Brust, zeigte auf Özlem und haute sich, uns das Unrecht demonstrierend, gleich noch ein Mal selbst auf den Hinterkopf.
Ich habe Teweldebaran zwischen sie gesetzt. Er lässt sich nicht so leicht von Gemurmel beirren.

25.10.09

Schwesterntag


Zeitumstellung, Sonntagsbrunch, Kindheitserinnerungen, Wasserrutschbahnen, Grünteeseife, Masseurhände, Sprudelbad, Wohlfühltag, Orgasmusgeschichten, Lammbraten, Rotweingläser, Schwesternglück.

23.10.09

Apfelstrudel mit warmer Vanillesauce

Es gibt keinen anderen Teig, der sich so schön geschmeidig und seidig glatt anfühlt.

Und immer wieder seine Ruhe verlangt, entspannen will, innere Elastizität gewinnen muss, um seine delikate Mission zu erfüllen.



Das Schönste aber ist, wie er sich, wenn er flach über meinen beiden Handrücken liegt, mit gleichmässig behutsamen Bewegungen zu einer hauchdünnen Membran ausziehen lässt.

22.10.09

Heloiza

Heloiza bekommt eigentlich alles, was sie will. Sie ist jung, hübsch und hat ihre Kindheit in Porto Alegre verbracht. Ihr Körper übernimmt das Sprechen. Ihre Rede, also alles an ihr, ist weich, anschmiegend und abrundend. Die deutschen Wörter sind kompliziert wie Millionenbeträge, darum rundet sie sie pauschal und grosszügig ab. Immer, wenn sie sechs sagt, kichert sie. Ihre Lieblingszahl ist sexundsexyg.

21.10.09

Harutyun

Harutyun liest Sätze nur andeutungsweise. Er liest ein, zwei Worte und denkt sich den Rest aus. Ich vermutete zuerst, dass er eine Leseschwäche hat. Aber das ist es nicht. Er sieht nicht gut. Um die Buchstaben zu erkennen, muss er sie zwei Zentimeter vor die Augen halten. Darum kneift er wie ein geblendeter Maulwurf die Augen zusammen und senkt, aber auch nur wenn es unbedingt sein muss, die Stirn bis auf den Tisch und legt die Nase ins Buch. Er bekommt bald eine neue Brille.

19.10.09

Schwesterliche Beratung

Es war so kalt, dass ich beinahe vom Fahrrad fiel. Ich mag Kälte. Aber noch vor genau einer Woche war ich in der Aare baden. Im Bikini. Das muss man sich mal vorstellen. Ich meine mehr so grundsätzlich vorstellen, nicht bildlich. Ich mag Kälteeinbrüche wirklich. Aber sie brach diesmal sehr an den Ohren und Händen ein. Am Bahnhof stellte ich das Rad ab, entschlossen, von nun an die Strassenbahn zur Arbeit nehmen und mir ein Abonnement zu kaufen. Am Schalter standen aber so viele Leute an, dass ich mich kurzerhand umentschied das Geld in eine Wollmütze und Handschuhe zu investieren.
Im Moment gibt es recht hübsche Mützen, mit Pompons oben drauf oder seitlich geflochtenen Bändern, die wie Haarzöpfe aussehen. Ich probierte alle Mützen im Laden an und fragte eine junge Frau, die gerade einen Mantel probierte, welche die schönste sei. Sie beobachtete meine Verwandlungen mit schwesterlicher Geduld und sagte: "Die Helle ist die beste." Ohne Pompon. Und ohne Zöpfe. Das fand ich auch. Dann wollte sie meine Meinung zu zwei Mänteln wissen. Ich sagte mit schwesterlicher Ehrlichkeit, dass leider keiner der beiden ihr stehe.

17.10.09

Angelez

Auch Angelez hat eine Narbe am Hals. Sie ist als Kind von einem Hund gebissen worden. Der Hund sprang ihr direkt an den Nacken. Sie ist eine kleine, dünnbeinige, 45 jährige Mexikanerin. Sie trägt jeden Tag Cowboystiefel und einen Jeans-Minirock und viel Schmuck an den Ohren. Ich denke bei ihr immer an Kirmes, Softeis, Zuckerwatte und Revolverschüsse. Sie spricht lauthals und spärlich Worte, als wären es Plüschtiere, die sie am Schiessbudenstand den Gewinnern aushändigt. Sie formt ihre Lippen zu einem Kussmund, wenn sie fotografiert wird. Die Frauen fotografieren ständig mit ihren Handys. Sie strömen für jedes Bild wie Quecksilberkügelchen zusammen, halten die Köpfe aneinander und verschmelzen zu einem gemeinsamen Fotolächeln.

15.10.09

Amalia

Amalia ist 18, hat schwarze, lange Haare, die sie mit dem Bügeleisen glättet. Sie legt die nassen Haare auf das Bügelbrett, ein Küchentuch drauf und ihre Schwester bügelt drüber. "Warum nimmst du kein Glätteisen," fragt Veronika. Veronika ist Ukrainerin und Fotomodell. Sie ist spindeldünn, hellhäutig und durchscheinend wie ein Phantom. "Meine Haare sind zu dick," antwortet Amalia, "das schafft ein Streckeisen nicht." Einmal hatte die Schwester keine Lust zu bügeln und Amalia versuchte es selber. Dabei geriet sie mit dem heissen Bügeleisen an den Hals. Sie zeigt uns die Brandnarbe.

Ali

Ali kämpft mit Wörtern. Er vergisst oder verwechselt sie, redet aber pausenlos, weil er gewissenhaft jedes meiner Worte ein paar Mal nachspricht. Er hat dunkelgrüne Augen und ist still und leise in Amalia, die Armenierin verliebt.

14.10.09

Teweldebaran

Teweldebaran ist Eritreer und lernt mit elf anderen Menschen in einem Sprachkurs Deutsch. Teweldebaran wird T’wld’brn ausgesprochen. Er spricht auch Deutsch gänzlich vokallos, dafür rollt er ausgiebig das r. Er ist am 1. Januar 1988 geboren, wie drei andere Eritreer in der Klasse auch, was keineswegs ein seltener Zufall ist, sondern auf einer geschätzten und ordnungsmässigen Festlegung eines Fremdenpolizeibeamten beruht. Err’st von B’rruf Soldat. Er ist desertiert und muss sich erst an sein neues, adrenalinarmes Leben gewöhnen. Er kann töten und überleben. Jetzt kämpft er mit der Langeweile und den Vokalen.

13.10.09

Seine Pantoffeln

sein Teeglas, seine Bücher, seine Weltkarte, seine russischen, filterlosen Zigaretten, sein Sliwowitz. Es ist eine Zeremonie der Sentimentalität, die Gebrauchsgegenstände eines Verstorbenen wegzuräumen.
Mein Mitbewohner hat ein paar Flaschen vorzüglichen Wein im Zimmer hinterlassen, die ich allmählich trinke. Heute einen süssen Johanniberger aus dem Wallis. Ich teile seine Vorliebe für süsse, schwere Weissweine. Daneben koche ich Basmati Reis mit Korinthen und Gänsebrüstchen mit Beifuss. Beifuss ist so ein Kraut, das im Kräutergarten wächst, aber nie geerntet wird. Es passt zu fettigen Gerichten, klärt mich meine Mutter am Telefon auf, zum Beispiel Gänsebraten. Als ich meine Sauce probiere, schmeckt sie bitter und nach Brechmittel. Ich rette meine Gänsebrust mit viel Pfeffer, Koriander und einer libanesischen Gewürzmischung, die mein Mitbewohner hinterlassen hat.

12.10.09

Der Sommer ist vorbei

Inzwischen ist mein Mitbewohner gestorben. Er hatte einen Aortariss. Er legte sich früh hin, weil er sich nicht so gut fühlte. Dann schlief er ein. So starb er.
Natürlich ist er zu jung gestorben und ich bin traurig, dass er gegangen ist. Aber so einen Tod kann man sich eigentlich nur wünschen. Ich hätte nichts dagegen zu sterben, bevor ich alt bin. Bis dahin lebe ich mein Leben dreifach, als hätte ich nur dieses eine.
Mein Mitbewohner hatte viele Verehrerinnen. Dutzende von Frauen weinten an seinem Grab. Die Beerdigung fand in einem kleinen Bergdorf im Wallis statt, das man nur mit einer Luftseilbahn erreicht. Er war ein Einzelgänger und das wirkt ziemlich anziehend auf Frauen, die sich immer nur in Männer verlieben, die man nicht kriegen kann. Aber ich kann die Frauen schon verstehen. Er war begabt, sprach acht Sprachen fliessend. Zudem konnte er nächtelang Geschichten erzählen und war ein guter Tierstimmenimitator.

05.07.09

14.06.09

... zwei Wochen Ferien

03.06.09

Wegweiser der Liebe

Wenn man überall in der Stadt die Stellen, an denen man Sex hatte, mit einem kleinen Zeichen versähe. Auf Steinbänken, Treppenabsätzen oder Terrassengeländern ein Kreuz ritzte. Oder dieses schöne Zeichen:

Dann würden die Gedanken bei einem heiteren, vorsommerlichen Abendspaziergang unter den Altstadtlauben von einem kleinen Zeichen auf einer Steinmauer in eine Erinnerung oder ein heimliches voyeuristisches Imaginationsvergnügen gelenkt.

27.05.09

Das Geheimnis weiblicher Lust

Frauen wollen begehrt werden. Sie finden auch Geschenke, Rücksicht, schmeichelnde Worte und Kerzenschein sehr schön. Und Vertrauen ist auch ein wichtiger Faktor der Lust. Aber das alles erregt sie nicht. Was Frauen erregt ist pure, unverblümte, unverzeihliche Begierde. Sie wollen alle Spielarten, Facetten und Windungen der Begierde zu spüren bekommen. Das ist eins der einfachen Geheimnisse weiblicher Lust.

26.05.09

Blütenstaub

Fredi, der pensionierte Nachbar von gegenüber, fegt nach wie vor jeden Morgen vor seinem Garagentor. Im Moment fegt er Blütenstaub. Raucht dabei seinen Krummen. Hat eine halbe Stunde seine Ruhe. Ab und zu schaut er zu meinem Küchenfenster hoch. Das ist neu. Ich dachte immer, dass man von der Strasse nicht in meine Küche sehen kann. Ich sollte das bald einmal überprüfen. Oder ab sofort etwas anziehen, wenn ich das Frühstück zubereite. Oder Vorhänge kaufen. Obwohl.

19.05.09

Wohin Terminschwächen führen

Aus Versehen in eine Weiterbildung zum Thema ‚Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz’ geraten. Meine Terminschwäche hat mich schon oft in missliche Lagen gebracht. Aber inmitten belästigter, verletzter und hennaroter Frauen zu landen, die mit rauchigen Stimmen schlecht über Männer reden, und gleichzeitig übergross an die Wand scharfe Bilder von sexy Sekretärinnen in engen Kostümen und Männerhänden in Arschnähe projiziert zu bekommen, das war nicht, was ich an diesem Morgen erwartet hatte.

17.05.09

Aussichtspunkte




Eine Wanderung zu zweit ist etwas Neues für mich. Es hat aber viele Vorteile. Ich kann sagen: Guck mal hier oder schau mal da, und nicht immer alleine alles sehen und schön finden. Ich kann mich über Lehrtöchter unterhalten, die ein Teilstück des Weges befestigt hatten. Das stand auf einer Tafel. Ein Umweltprojekt mit der Schule. Wie motiviert die wohl waren. Man kann sich auch zu zweit prima Lehrtöchter vorstellen, die den Weg ausbessern, über den man leichtfertig schlendert.
Der andere kann mich testen, wie belastbar ich bin, und Stress produzieren. Ich kann etwas Witziges sagen und muss nicht still für mich lachen. Man kann zu zweit auf der ganzen Wanderung keiner Menschenseele begegnen und auf allen Aussichtspunkten ein bisschen vögeln.
Ich kann meinen Gedanken nachgehen und gemeinsam nichts sagen. Ich kann fragen. Ich kann mich irren. Mich entschuldigen. Ich kann das Gefühl für einen Mann bekommen. Ein Gefühl, das ich fast vergessen hatte.
Man kann auch gut Fotos vom anderen vor dem überwältigenden Panorama machen. Gesichter im Bergglück.

07.05.09

Jubiläum

Heute zum circa 500sten Mal meine Periode bekommen. Ich habe es heute Morgen beim Frühstücken ausgerechnet.

... !

Nein, es ist nichts.


Es ist nur, dass ich wie ein Rentnerfräulein beim Butterbrotstreichen eigene Jubiläen ausrechne und mich über unbedeutende, hundertfach geleistete Dinge freue, einen guten Grund zum Jubeln habe und mir darauf einen Likör einschenken könnte.

04.05.09

Kleine Freuden

Noch nie im Leben Fellatio gesagt oder geschrieben.
Bis heute Morgen wusste ich noch nicht einmal, was es bedeutet. Ich war immer zu faul um es im Wörterbuch nachzuschlagen.
„Wie geht das, einem Mann eins blasen?“ las ich auf der obersten Zeitung eines Altpapierstapels am Strassenrand. So erfuhr ich von Doktor Sex, dass eins blasen auch Fellatio genannt wird.
Fand es gut, dass die Person, die das Zeitungsbündel zusammengeschnürt hatte, diese Seite zuoberst plaziert hatte. Auch wenn sie das sicher nicht absichtlich gemacht hatte.
Ich jedenfalls mache das immer: Ich lege immer ein Bild aus einer Zeitschrift, meistens eine hübsche Frau oder etwas Aufregendes zuoberst auf den Zeitungsstapel. Um den Passanten, die zufällig einen Blick auf das Altpapier werfen oder den Männern von der Müllabfuhr eine kleine Freude zu bereiten.

30.04.09

Erfüllung

Schafe grasten um mich herum, der Hund lief in der Ferne seine Runden, der Sonnentau fing kleine Mücken und die Kreuzottern wärmten sich in der Sonne. Meinen Füssen war es zu heiss in den Gummistiefeln. Das Moor war feucht und dampfte. Ich hütete Schafe und dachte nach. Oder ich träumte vor mich hin. Träumte von Sumpfmonstern, die plötzlich aus Moorlöchern auftauchten und sich aus traumtechnischen Gründen in Schönlinge verwandelten. Träumte von Lofts in Grossstädten mit allem Drum und Dran, einer Badewanne auf dem Loftdach, Designersofas, koksenden Gästen in schwarzen Kleidern. Träumte von Männern, die sich in Sexmaniacs verwandelten, Stuntmännern, die sich in Haiku dichtende Schöngeister verwandelten, Zirkusakrobaten, einem Flipperkasten und von Sushi. Was hätte ich nicht alles gegeben, nur für ein einziges Sushi.
Nun, ich habe alles gegeben. Dafür esse ich jetzt Sushi so viel ich will.

29.04.09

Kunstübermittag 2

Heute: 20JahreTracyEnim.
Ihr Leben, ihre Männer, ihren Körper, ihre Erinnerungen, oder selten in der Kunst dargestellte Themen wie Abtreibung oder Kinderlosigkeit und Alleinsein im Alter: Alles hat sie eingerahmt oder installiert und in Kunst umgesetzt.
Ihr durchgehendes Thema ist sie selber. Ihr Leben erzeugt Kunst. Eine Ausstellung, die Lust weckt auf das Leben, Sex, Kunst, Männer, Körper.
Die junge Blonde ohne Stimme macht die Führung. Aber Tracy Enims Werk ist viel spannender. Ich werde ein anderes Mal über die junge Blonde berichten.
Ein etwas hölzerner - ich vermute mal - Lehrer hat etwas auszusetzen an der Kunst und wuschelt dabei mit den Fingern in seinem lichten Bart. Er lächelt verlegen. Die Schweizer sind gut im sich Zurücknehmen. Sie lächeln, wenn sie kritisieren. Der immer etwas zersauste Aufseher allerdings, der mich jedes Mal nickend grüsst und mir lange nachsieht, kann sich heute nicht mehr zurückhalten und sagt salu, als ich an ihm vorbeigehe. Er ist aber für meinen Geschmack zu dünn.

27.04.09

Frühlingssalat mit Veilchenblüten




„Blüten sind ja die Geschlechtsorgane der Blumen,“ sage ich, während sie mit der Gabel die Veilchen vom Salat auf den Tellerrand schiebt.
„Wie meinst du das?“
„Nun, es ist wohl nicht jedermanns Sache, Geschlechtsorgane in den Mund zu nehmen,“ witzle ich, während ich eine Blüte zum Mund führe.

26.04.09

Sonntagmorgen

Ich klopfe bei Fiona an die Wohnungstür: „Kommst du mit ins Diemtigtal?“
Es ist Sonntagmorgen früh. Fiona liegt noch im Bett, ich setze die Espressomaschine auf die Gasflamme. Als wir zwanzig Minuten später mit Sonnenbrille, Rucksack und Wanderschuhen vor dem Haus stehen, beginnt es zu regnen.
Wir kehren um in unsere Betten, schlafen aus.
Später spazieren wir zum Rosengarten und trinken einen Pastis. Es ist bewölkt und die Menschen sind ganz erträglich ohne ihre zwanghaft gute Sonnensonntagslaune.

25.04.09

Neuer iPod

Das Sekundenglück des Postboten, wenn die Empfängerin des Paketes schon vor der Haustür auf ihn wartet und bei der Übergabe vor Freude in die Luft springt und in die Hände klatscht.

23.04.09

Kunstübermittag 1

Heute: Wilfried Moser.
Die Windfrisur macht die Führung. Die Windfrisur heisst so, weil sie ihre Haare immer waagrecht nach hinten sprayt. Es sieht aus, als würde sie permanent im Wind stehen. Sie trägt immer Herrenschuhe und ein aus der Mode geratenes Hosenkostüm.
Sie erwähnt in Zusammenhang mit Moser die Begriffe Taschismus und informelle Kunst, die ich mal fürs Protokoll notiere. Ich schreibe jetzt jede Woche ein Protokoll für meine lesbische Kollegin Nique, die vier Wochen in den Ferien ist und mich gebeten hat, ihr haargenau zu berichten, was sie bei Kunst über Mittag verpasst.
Die Windfrisur erklärt aber nicht, was Taschismus ist, sondern zählt die Namen von Künstlern aus der Entourage des Künstlers auf. Sie ist allgemein gut im Künstlernamen kennen. Es ist ihre Spezialität. Heute waren es 12 Namen, allesamt mir unbekannt. Ich habe Striche gemacht.
Nun interessiert sich Nique nicht nur für Kunst. Hauptsächlich interessiert sie sich für Frauen. Darum muss ich diese lange Blonde mit nur einem langen T-Shirt über den Strumpfhosen noch erwähnen. Die würde Nique so sehr ablenken, dass sie gar nicht mehr mitkriegen würde, was denn nun Taschismus sei, sofern die Windfrisur es doch noch erklärte. Weil die Lange mit dem knappen T-Shirt die ganze Zeit herumspaziert und die tief hängenden Schilder neben den Bildern liest.

22.04.09

Meine Gutenachtgeschichte

Obwohl ich ja eine alte, runzlige Dame bin, mit dickem Krötenbauch und knorrigen Händen, gibt es immer noch Männer, die sich wie Eidechsen entzückt zu meinen Füssen kringeln. Heute zum Beispiel der Steuerberater, der praktisch nichts für seine Arbeit wollte und sagte: "Ich mache das doch gern."
Wenn ich die Eidechsen frage, was sie sich wünschen, dann züngeln sie ganz aufgeregt, schliessen ihre Augen zu einem schmalen Schlitz. Sie züngeln nachdenklich, weil Eidechsen mit der Zunge denken, tapsen mit ihren Echsenfüssen auf der Stelle und überlegen so, was sie denn wollen.
"Wollt ihr Ameiseneier?", sage ich dann, und die Eidechsen züngeln und rufen:
"Ja! Ameiseneier, woher weisst du eigentlich so genau, was wir uns wünschen?"
Dann nehme ich meine geheime Schachtel mit den Ameiseneiern hervor und werfe ein paar Handvoll Ameiseneier auf den Boden. Dann flitzen die Echsen von Ei zu Ei, wuseln durcheinander, fressen alles auf und kräuseln sich vor Glück.

20.04.09

...

Frauen mit Kinderwagen, die kurz stehen bleiben, weil sie die Hände zum Reden brauchen.

19.04.09

gier

ein drum träumt von einem dran
ein wo träumt von einem wann
ich träume von dir

18.04.09

Das Blatt in der Liebe

Ab 18. April, wenn die Venus wieder vorwärts läuft und vorübergehend ins Sternzeichen Fische zurückkehrt, was bedeutet, dass wir von Gefühlen regelrecht überschwemmt werden könnten, wendet sich das Blatt in der Liebe.

21.02.09

...


KRAFT - LIEBE - MUT - MINKA

18.02.09

Meine neuen Arbeitskolleginnen

Meine neuen Arbeitskolleginnen haben immer noch einen Höllenrespekt vor mir. Ich kann machen, was ich will. Ich unterhalte mich mit ihnen sogar über Horoskope, Veganerei und Tantra-lala. Heute habe ich ihnen meine bewährte Massai-Kur ans Herz gelegt:
Blutkuchen zum Frühstück essen, und sich dann mit Rinderurin die Haare waschen.
Sie lieben mich insgeheim.

16.02.09

Meine neuen Nachbarn unten

Meine neuen Nachbarn unten teilen mir und der gesamten Schlaf suchenden Nachbarschaft nachts mit, dass Sex mit zunehmender Lautstärke besser wird. Ungefähr dann, wenn es ziemlich gut ist, wache ich für gewöhnlich auf. Sie tun es beharrlich und leider hochgradig variationslos. Oder zum Glück, denn es wäre undenkbar an Schlaf zu denken, würden sie sich laut keuchend die Schweinereien zuraunen, die ich mir zum Zeitvertreib für sie ausdenke. Aber so ziehe ich das Kissen über den Kopf und schlafe wieder ein.

15.02.09

Mein neuer Mitbewohner

Mein neuer Mitbewohner isst immer zuerst das alte Brot auf, bevor er das Neue anschneidet.
Ich mache das nie. Ich esse das frische Brot zuerst.
Er rührt es auch dann, wenn ich ihm auf einen Frühstückstischzettel schreibe: ‚Iss ruhig das frische Brot zuerst', nicht an, solange noch Altes da ist. Er hat seine Prinzipien.

17.01.09

Wie die Bilder von uns gehn

... Ein Kuss auf der Strasse, auf den Mund. Es machte mir nichts aus, dass die Leute schwatzend vorbeigingen und schauten, und ein stiller Passant schmunzelte. Es ging ein leichter Wind und ich wollte all dies. Ich wollte dieses schöne Bild.
Er hielt mich, locker, bequem in seinen Armen, und da war diese elektrische Spannung, dieses Knistern, kurz bevor unsere Münder sich berührten. Ich tastete mit den Lippen seinen Mund ab, seine Lippen fügten sich, warm und weich und duftend. Die Zungenspitzen suchten einander, meine Finger an seiner Wange. Unsere Zungen, die sich fanden, umeinander drehten, miteinander spielten, rauften und balgten und einander stupsten. Wie weich und warm sein Mund war. Herzklopfen. Unsere Körper näher, warm werdend, sehr warm, erregt und vergnügt und glücklich. Innerlich jubelnd. Genuss, Genuss überall. Ein Kuss ins Gefühl. Fühlen und gleichzeitig alles und nichts mehr wahrnehmen. Nur noch seine warmen Lippen auf meinem Mund, ganz drauf, und seine neugierige verwöhnsüchtige Zunge.
Raum und Zeit lösten sich auf in diesem Kuss, in dem soviel Leidenschaft, soviel Lust, soviel Gieren nach Köstlichkeit und Befriedigung lag...

12.01.09

Unterwegs 4

Und ich erinnere mich. Erinnere mich an die Zeit, als ich mit einer Schafherde unterwegs war, Winter für Winter. Es war eine Winterwanderung wie jetzt. Aber ich ging im Rhythmus der Tiere. Sie wollten bleiben und fressen. Und wenn die Weiden abgegrast waren, zogen wir weiter.
Seit ich sesshaft bin, reise ich. Ich reise, weil ich die Menschen und Gegenden sehen will, über die ich gelesen habe, von denen ich gehört habe, von denen ich geträumt habe. Ich war als Schäferin all die Jahre unbeweglich und träumte die Welt. Ich war immer bei der Herde. Der Rhythmus der Tiere war die eigentliche Bewegung.
Nomaden reisen nicht, sagt Gilles Deleuse (L'Abécédaire V comme voyage). Nomaden wollen auf ihrem Boden bleiben. Sie klammern sich an ihren Boden. Nichts ist unbeweglicher als ein Nomade, sagt er. Nichts reist weniger als ein Nomade. Sie sind Nomaden, weil sie nicht verlassen wollen. Ihr Boden verwüstet, weil sie sich daran festbeissen.
Deleuse fügt an, dass Leute reisen um ihren Vater zu finden.
(Das ist vermutlich der Beweggrund der meisten Globetrotter, die ich kenne. Sie reisen immer wieder.)
Die Frage ist, ob ein Leben ausreicht um das zu finden, wonach man sein ganzes Leben sucht.

10.01.09

Unterwegs 3



Ich gehe und frage mich. Frage mich, wie die Menschen leben. Wie man das Leben unter diesen und jenen Umständen ertragen kann. Frage mich beispielsweise auch, wie die Milchkontingentierung funktioniert. Oder wie man foie gras kocht, mit gedörrten Feigen und Rosinen.
Ich schaue, was mir begegnet und träume vor mich hin.


Frage mich, wie es wäre, wenn mein Traum plötzlich leibhaftig vor mir stünde. Die Wahrscheinlichkeit einer Enttäuschung im Falle eines wahrgewordenen Traumes ist proportional zu der Zeit, die man damit verbracht hat sich in den Traum hineinzusteigern. Das habe ich irgendwo mal gelesen. Also ist Enttäuschung gleich Zeit mal Traum im Quadrat.
Ich erzähle mir Geschichten auf französisch.
Frage mich, wie man mit Tauben jagt.
Oder wie man Brieftauben dazu bringt, ein bestimmtes Ziel anzufliegen.
Frage mich, wie vin noir schmeckt.
Ganz oft begleitet mich eine Musik. Ein Lied.
Die ganze Zeit bin ich guten Mutes und geniesse das Alleinsein. Ich schaue hier und gucke dort. Und habe keine Sorgen. Die schöne Art zu leben. Das Alleinsein geniessen heisst, dass ich schöne Dinge sehe und schöne Gedanken habe und mir niemand wünsche, der das alles mit schön findet.

Unterwegs 2

Ich habe Glück. Es ist Winter und die Pilgerer sind nicht unterwegs. Die Herbergen sind leer. Seit drei Wochen habe ich unterwegs keine einzige Menschenseele angetroffen. Das ist enormes Glück. Und Gehen ist insgesamt gut für das Leben. Es bringt neue Ideen. Fokussiert. Ich kann es allen empfehlen mindestens 600 km am Stück zu gehen.
Es ist wichtig, dass Menschen Dinge erfahren.
"Erfahrung ist wertvoller als Einsicht" lese ich zufällig gerade hier in einer französischen Zeitschrift. Habe keine Bücher dabei und lese alles, was mir in die Hände kommt. Ein Essay von Gaétan Picon über Balthus. Gaétan, dieser Name... Erfahrungen sind wertvoll. Oder wie Coelho wahrscheinlich sagen würde: Man muss selber im Regen stehen um zu erfahren wie es ist, nass zu sein.
Der Vorteil des Pilgerweges ist, dass man alle zwanzig oder dreissig Kilometer auf eine Herberge trifft, die in dieser Jahreszeit zwar geschlossen ist, aber dann doch ein Bett bereithält. Der Nachteil ist, dass man die alten, einsamen und liebesbedürftigen Herbergsmütter, oder noch schlimmer, unglückliche Paare, die sich auf dem Pilgerweg getroffen und zusammen Pilgerherbergen eröffnet haben, und noch immer im Regen stehen und nur so triefen vor Lösungen, mit müden Ausreden abwimmeln muss.
Aber man kann auch der einzige Gast in Hotels wie diesem hier sein und mit der Besitzerin, einer kleinen, distinguierten alten Dame einen Armagnac trinken.

09.01.09

Unterwegs1

Unterwegs



Ich bin auf einen Pilgerweg geraten. Leider gibt es keine Spazierwege in Südfrankreich auf dem Land. Nur asphaltierte Strassen oder Schlammspuren. Franzosen fahren halsbrecherisch und nehmen keine Rücksicht auf Fussgänger. Also bleiben nur die Schlammwege, welche von Berlin, Paris, Wien und Rom in Südfrankreich gebündelt nach Spanien führen.

Nun sind Pilgerwege für viele Menschen bedenkenlos, aber für mich sind sie ein Gräuel. Ich mag keine Wege gehen, welche tausende von Sinn und sich selbst Suchenden gegangen sind. Horden von genussfeindlichen, angespannten, grauhaarigen, Tagebuch schreibenden, leidenden, religiösen oder kontaktgeilen, in eine Richtung strömenden Egoisten, die Zeichen suchen, und ihre Leere mit Lebensweisheiten, Sprüchen und Antworten füllen. Glauben Sie mir, was ich in Gästebüchern von Pilgerherbergen gelesen habe ist grauenhaft. Und alle bekommen von allen Antworten, auch wenn sie die Fragen nie kannten. Es ist, als würde man einen Paulo Coelho Roman lesen.
Ich habe es nie geschafft, einen Coelho zu lesen. Obwohl mir der Alchemist bestimmt zehn Mal geschenkt wurde. So sind die Leute: Sie lieben Lösungen. Es ist ein Buch voller Lösungen. Nach den drei ersten Abschnitten wurde mir so übel, dass ich es wegwerfen musste.