30.11.09

Liebesblick

Zwanzig Jahre habe ich gewartet um Ghedalia Tazartes live sehen zu können.

Ich stand im Foyer zwischen zwei Konzerten, als eine ältere Dame sich zu mir gesellte. Sie trug nur Schwarz, Weiss und Knallrot, sehr adrett. Sie sah inmitten all dieser Experimentalmusikliebhaber eigenartig gutbürgerlich aus. Ich fragte sie, für welches Konzert sie gekommen sei. Ihr Mann habe sie mitgeschleppt, antwortete sie, er höre nur solche schräge Musik. Ich suchte in der Menge einen Mann, der den Ihren hätte sein können. Sie merkte es, und deutete auf einen ziemlich jüngeren Mann, der genau so skurril aussah, wie die Musik, die er gerne hörte. Seine Haltung war etwas schief, die Strickjacke sah aus wie falsch zugeknöpft. Auch sein Hut sass schief. (Ich muss bei Menschen mit Hüten immer an diese Geschichte denken, die mein frommer Grossvater mir einst vorlas, in der Kinder 'behütet' waren, und ich mir stattdessen Kinder mit Hüten vorstellte.) Er stand inmitten der Wartenden ohne sich mit etwas beschäftigen zu müssen, ohne Drink, Gesprächspartner oder Hosentaschen für die Hände. Seine Frau betrachtete ihn liebevoll und ich spürte, dass sie sich spätestens nach dem zweiten Campari Orange zusammenreissen musste, dass sie ihn nicht für einen Helden hielt, wenn sie vom anderen Ende des Foyers zuschaute, wie seine Augen unter dem Hut hervorleuchteten und die ganze vor sich hin brabbelnde Menge zwischen ihnen in ein erträgliches Licht stellten.
Sie erzählte mir, wie er ihr zu Beginn ihrer Bekanntschaft diese Musik vorspielte, und sie skeptisch wurde, einen Moment lang abwog, ob sie ihn wirklich lieben könnte, mit all seinen Absonderlichkeiten. Aber sie mochte all das an ihm und verliebte sich.
Seit fünfzehn Jahren sind sie ein Paar.

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