14.03.06

Der Zahn der Zeit oder ein nicht folgenloses Wochenende

Ich habe mich am Wochenende erkältet.
Ich war eine nicht enden wollende Nacht lang unterwegs, in meinem Alter ist das nicht mehr folgenlos.
Zuerst war ich mit Tanja ein Bier trinken, dann trafen wir ihren lieben Kurt und zwei seiner Trinkkumpane. Wir zogen weiter und weiter, von einer Bar zur nächsten.
Ich war an Orten, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Die 'Bronco Loge’ zum Beispiel. Dort sind alle über 40, lauter Rocker und Rockerbräute. Auffallend viele lachten mit schiefen Mündern. Ich muss noch dahinter kommen warum. Hatten sie sich tatsächlich angewöhnt, nur noch schräg zu grinsen, wie man das in Gangsterfilmen so oft sieht? Oder mussten sie alle eine Zahnlücke beim Lachen verbergen?
Es wurde insgesamt recht familiär auf die Schultern geklopft und ungeniert derb gesprochen. Trotzdem überfiel mich eine leise Wehmut: Die Tatoos der Rockerbräute waren verblasst und zerschmelzten unaufhaltsam auf der faltig gebräunten Haut. Die Zeit grinst nicht schief, sie zeigt alle Zähne, wenn sie lacht. Oder wie heisst diese Redewendung?
Eine Band spielte grossartigen Blues oder Rock. Ich stieg die Holztreppe nach oben, dort standen Billard- und Fussballtische. Ich spielte Billard mit einem alten Rockabilly, der mir knapp bis zur Brust reichte. Ich mochte ihn auf Anhieb, mit seinem runden Bauch und seinen buschigen Koteletten. Er sah aus wie ein Horn und Perlmutter Händler, dessen Intelligenz unterschätzt wird. Ich habe manchmal eine Schwäche für intelligente Männer, die wie Barbaren aussehen. Er schien überglücklich und flirtete ganz eifrig mit mir. Alle 10 Minuten mussten wir 2 Franken einwerfen, damit das Licht wieder brannte. Das ist fies, im Dunkeln trifft man die Kugeln tatsächlich kaum noch. Mein Billiardbilly flirtete immer dreister. Ich schaute ihn ruhig an und fragte, worauf er eigentlich hinaus wollte. "Ich weiss es selber nicht so genau“ sagte er, „ich bin einfach hin und weg von dir und will dich rumkriegen. Dabei hoffe ich insgeheim, dass mein Unterfangen chancenlos bleibt. Die Folgen würden ansonsten den Weltfrieden gefährden.“ Ich lachte.
Ich konnte ihn so gut verstehen. Das Licht ging aus. Ich hatte keine Lust mehr, das angefangene Spiel zu beenden. Viel lieber wollte ich darauf noch einen heben. Wir gingen runter an die Bar. Dort traf ich Tanja. Sie war den Tränen nahe. Kurt hatte sich festgesoffen und war nicht mehr zu bewegen. Ich verabschiedete mich von meinem Billywilli mit einem Kuss auf die Stirn und begleitete Tanja mit dem Taxi nach Hause.
Dann ging ich ins Dead End. Dort spielte auch eine Band. Metal Jungs, es klang ziemlich lokal. Es war: Laut.
Ich nahm einen Drink und stieg die Kellertreppe hinab. Unten waren Sofas, ein Fussballtisch und welch Überraschung: Mein junger Liebhaber. Wir hatten seit zwei Wochen Funkstille, weil ich ihn "Idiot" genannt hatte, worauf er sich auf der Stelle umdrehte und weglief. Ich hatte auch nicht mehr zurückgeschaut.
Jetzt kam er strahlend auf mich zu und sagte: So schön bist du da. Ich habe dich so vermisst.
Um sechs Uhr wollte er mir unbedingt und auf der Stelle im Übungsraum ein Stück auf der Gitarre vorspielen. Was er nur für mich komponiert hatte.
Um acht Uhr mussten wir unbedingt bei ihm ein Bad nehmen.
Um zehn brauchten wir dringend weich gekochte Eier und Zopf zum Frühstück. So ging das weiter bis drei Uhr nachmittags. Dazwischen wollten wir die neuen Stellungen unbedingt auch mal so rum ausprobieren.
Heute bin ich erkältet. Das ist wegen den nassen Haaren nach dem Bad. Er hatte natürlich keinen Fön.

2 Kommentare:

  1. klingt ganz so, als hätte es sich gelohnt. :)
    cheers
    mel

    AntwortenLöschen
  2. das klingt nur so, weil ich nicht drei tage lang von meiner erkältung jammere mel.
    aber im vertrauen: wenn ich nicht auf der stelle gesund werde fange ich noch an diese nacht zu verfluchen. ;-)

    AntwortenLöschen