Mein Nachbar ist Surfer und er ist jung und natürlich blond. Was in diesem Fall in keiner Weise irgendwie abträglich ist, sondern eher so etwas wie “de luxe” meint. Soviel muss man mindestens wissen, um die folgende Passage einigermassen zu verstehen, denn nun öffnet mir mein Nachbar, nach mehrmaligem Klingeln, nackt und triefend die Tür. Nur ein Tuch war eng um die lang geschwungenen Muskeln seiner Hüften geknotet. Als ob mein Klingeln Spuren hinterlassen hätte, perlten die Tropfen über die samtene Surferhaut seines muskulösen Bauches hinab unter das Tuch.
Jetzt bloss nichts falsch machen, dachte ich. Es ist ganz normal, dass ein junger Mann ab und zu mal duscht. Er kann unmöglich die ganze Zeit gewartet haben, bis dir der Zucker ausging. Also schaute ich, um nichts verkehrt zu machen, schön geradeaus direkt in sein Gesicht.
Wieder einmal bemerkte ich, dass sich in seinem Antlitz mit den rosig glühenden Wangen und dem furchtlosen Mund, die strahlend blauen Berghimmel der Alpen mit den kühn geschwungenen Wellen vor Maui aufs harmonischste vereinten. Selbst sein Beachboy-Blick wirkte nicht einstudiert.
Kurzum: Ein Prachtbursche, in dessen Wesen sich die zähe und ungeheuer freundliche Natur seiner Berner Oberländer Vorfahren unter dem Einfluss der Hawaiianischen Brandung aufs Beste entfaltet hatte.
Obwohl ich in Gedanken an der Frage hängen blieb, ob seine Haut wohl immer noch nach Salz schmeckt, hielt ich ihm tapfer meine Zuckerdose entgegen und fragte ganz unbeirrt: “Mir ist der Zucker ausgegangen, hättest du mir vielleicht...?”
“Ja natürlich, klar, ich hole Dir welchen,” unterbrach er mich hilfsbereit und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich seufzte still. Aber wie sollte er das spüren, er, der nur die eine Welle kannte und nichts von ihren Spielarten wusste. Wie höflich man doch an den gut gemeinten Abenteuern des Lebens vorbei schlittert, sinnierte ich. Andererseits - es ist Winter und bestimmt nicht mal für einen Surfergott ein Zuckerschlecken in ein Handtuch gewickelt mit seiner Nachbarin auf dem eisigen Flur zu schäkern.
Und während der Liebe in seiner Küche das Beste gab, um sozusagen meine Zuckerdose zu füllen, liefen in meinem Kopf sekundenschnelle Szenarien aus der Cinemathek der Möglichkeiten ab.
Szenario Nr. 1:
Er: “Ich wollte gerade duschen, komm ruhig rein!”
Das Tuch um die Hüfte löst sich wie von selbst und der Rest ergibt sich.
Szenario Nr. 2:
Sie: “Ach du bist gerade am duschen! Ich habe eben den ganzen Zucker über mich verschüttet. Vielleicht könnte ich ja bei dir schnell unter die Dusche schlüpfen? Bei mir kommt nur kaltes Wasser.“
Auch hier ergibt sich der Rest wie von selbst, mit dem kleinen Unterschied, dass sich diesmal nicht sein Tuch, sondern der Gürtel ihres mit Drachen bestickten kurzen Seidenkimonos löst.
Die Kamera zoomt auf den Drachen, der langsam von der Schulter rutscht, während sie in ihren hohen Schlärpchen über die Schwelle stöckelt. Die letzte Einstellung zeigt die Absatzspitze, mit der sie kokett die Tür antippt, welche mit einem viel versprechenden Klicken ins Schloss fällt.
Doch bedenken Sie liebe Zuschauer, wir leben in Bern und es ist Winter. Vielleicht deshalb oder weil die besten Filme im Kopf gedreht werden, kam der fixe Nachbar mit einem sachlichen Lachen zurück an die Tür und streckte mir ein viereckiges, klobiges Paket entgegen. “Hier bitte! Behalte ruhig das ganze Paket” meinte er grosszügig und ergreifend unschuldig.
Das von den starken Händen straff verknotete Tuch blieb wie verhext unverrückbar auf seinen sonnengebräunten Hüften liegen, selbst als er mir die Zuckertüte schwungvoll überreichte. Und ich gestehe auch, dass ich natürlich keinen Drachen auf der Schulter trug und alles was rutschte waren meine eiskalten Füsse auf dem feuchten Fliesenboden unseres Altbau Flures.
So kehrte ich in meine Wohnung zurück und widmete mich meiner sehnsüchtigen Zuckerdose, in Gedanken noch eine Weile verweilend bei dem unglaublichen Rest, der sich wie von selbst ergibt.
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