21.02.10

Blut: Arztroman letzte Folge

Lassen wir es dabei bewenden, schreibe ich dem Arzt. Nur dies, und mit freundlichen Grüssen. Auf kurz und bündige Art, weil Bedenken und Begründungen auch nicht weiterhelfen.
Am nächsten Morgen wache ich in einer Blutlache auf. Und ich bin froh, dass ich keine langen Erklärungen geschrieben hatte. Es gibt nämlich nur eine Plausible: PMS. Aber das konnte ich ja nicht ahnen. Meine Tage kommen diesmal unerwartet früh. Und immer ausgerechnet dann auch viel zu stark. Eine Regel meiner Regel. Der Überraschungseffekt und die Sauerei sind alte Blutsgeschwister. Ich ziehe das Leintuch ab und weiche es in kaltes Wasser ein. Wasche mich. Ziehe das Bett frisch an und lege mich wieder hin. Denke an den Arzt und insgesamt an Blut. Ein Lied fällt mir ein, ich war damals 14 und durfte mit meinem grossen Bruder in den Übungskeller gehen, seine Band spielte Punkrock, er war 18 und ich bewunderte ihn wie einen Halbgott. Er spielte Gitarre und sang, ich erinnere mich nur noch an den Refrain: Blut fliesst - bei der Geburt, Blut fliesst - beim ersten  Beischlaf, Blut fliesst - beim Verrecken. Es musste verrecken heissen, weil es 1980 war, Zürich, autonomes Jugendzentrum, Opernhauskrawalle, und junge Wut spuckt grosse Wörter aus. Mein Bruder hatte ein schweres Schicksal mit vier kleinen Schwestern. Wir liessen ihn nie mitspielen aber machten ihm jeden Unfug nach. Er war unser grosses Vorbild. Ich wusste nicht, was Beischlaf genau bedeutete. Es hatte sicher etwas mit Sex zu tun. Alle Wörter, die ich verdächtig fand, hatten mit Sex zu tun. Er sang von Blut und ich traute mich noch nicht einmal an schlimme Wörter zu denken. Blut war schlimm. Blut, Blut, Blut, dachte ich mutig. Seit ein paar Monaten bekam ich meine Blutungen und schämte mich dafür. Ich war verwirrt und bemüht, es mir nicht anmerken zu lassen. Warum fällt mir das alles ein? Ach ja, mein grosser Bruder vergass das Menstruationsblut in seinem Lied, welches bei unbegründet bewendeten Beziehungen fliesst.
Ich habe Durst. Gehe in die Küche und setze Teewasser auf. Presse eine Zitronen aus und lege zwei Teebeutel Hagebutten in den Teekrug. Nehme die Flasche Holundersirup aus dem Kühlschrank zum Süssen, da rutscht sie mir aus der Hand. Fällt auf den Küchenboden, der, passend zu diesem Komplott, ein Steinboden ist.  Die Flasche zersplittert und der rote Saft breitet sich aus, rinnt in die alten Steinfugen und läuft unter den Kühlschrank. Eine weitere Blutlache, aus Sirup. Alles ist voller Scherben. Ich wische vorsichtig auf und lege mich wieder ins Bett. Heute wollte er mit mir einen Spaziergang unternehmen. Zum Glück habe ich es dabei bewenden lassen.

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