13.11.07

Corvatsch, Herbst 2007


„Du schmeckst gut!“ sagte der Schmetterling zu mir, nachdem er sich nun schon zum zigten Mal auf meinem verschwitzten Unterarm niedergelassen hatte, um von mir zu trinken. Dieser kleine Charmeur, dachte ich bei mir, eine solche Schönheit und dann steckt er seinen Rüssel in die stinkenden Pfützen auf der Haut von ausgepumpten, den Berg hoch stolpernden Touristinnen wie mir. „Nicht nur das, meine Liebe, im Sommer hätten wir uns auch unten im Tal hinter den Schweinemästereien in der Abluft der Klimaanlage treffen können oder in dieser Felsenrinne dort oben in der lange Zeit ein Kadaver vor sich hin gammelte.“ Dabei zeigte er mit einem seiner unglaublich zarten Flügel hoch in Richtung des von der goldenen Engadiner Herbstsonne beschienen Berghanges.

„Ich verstehe das nicht mein Bester,“ antwortete ich ihm. „Die Pracht deiner Erscheinung, die Farben, die Zartheit. Weshalb kannst du dich nicht um all die wunderschönen, wohlriechenden Blüten kümmern, die dir ihre duftenden Hälse entgegenstrecken? Was begeistert dich so an diesem vergifteten Gebräu, das mir aus den Poren schiesst?“ „Nun weshalb bist du so kleinlich Madame Jonka. Schau ich behalte meine Zartheit auch wenn ich im Duft der Kadaver geschlafen habe. Die Farben meiner Flügel verlieren ihre Leuchtkraft nicht, wenn ich an dieser Mischung aus Sonnenschutzcreme, Schweiss und Bier auf deiner Haut lecke. Gift ist etwas anderes.“

„Ja aber ein bisschen versaut bist du schon mein Guter.“ wandte ich ein.
„Kennst Du denn so viele versaute Männer, Werteste, dass dir deshalb unsere Begegnung gleichgültig sein könnte?“
„Nein eigentlich nicht,“ antwortete ich zögerlich. „Die meisten wären es wohl gern oder ersparen sich die ganze Mühe und begeben sich auf die Suche nach versauten Frauen. Doch wenn sie auf eine treffen verlieren sie ihre Zartheit und die Farben gehen meist in der Suche nach einem Alltag unter. Zu selten ist das, du hast schon Recht.“
Der Schmetterling zwinkerte mir wie einer Gleichgesinnten zu und flog hüpfend und unvorhersehbar neben mir auf und ab.

Einige hundert Meter weiter oben am Hang hatte ich genügend nachgedacht, um ihn mit einem weiteren meiner Zweifel zu konfrontieren.
„Vielleicht hast du ja Recht und die Zartheit ist eine ganz eigene, verwirrende Schweinerei. Aber masslos bist du allemal, so wie du dich an mir labst.“
Der Schmetterling lehnte sich entspannt zurück und fragte:
„Wie viele Vorspeisen bestellst du, wenn du essen gehst, Minka?“
„Bitte? Wieso fragst du mich das jetzt? Und überhaupt, die Frage ist doch welche und nicht wie viele?“
„No Madame Jonka. Ich würde immer mindestens so viele Vorspeisen für mich bestellen, bis die Bedienung nervös zu lächeln beginnt. Das ist der Unterschied zwischen dir und mir.“

Ich schmunzelte und ging langsam weiter über den noch warmen Hang, während ich die Lerchenwälder weit unter mir betrachtete. Endlos. Der Schmetterling liess sich auf einen Stein vor mir nieder und wandte sich mir noch einmal zu. Doch es lag schon etwas wie Abschied in seiner letzten Frage:
„Nun könntest du mich natürlich noch was Bedeutsames zu deinem Leben fragen, weil schliesslich die Begegnung mit einem sprechenden Schmetterling ja so was wie ein Wunder ist, nicht wahr. Oder möchtest du dir etwas wünschen, für die Zukunft?“
„Ach, mein teurer Freund, was soll ich dich fragen, was soll ich mir von dir wünschen. Du wirst hier oben in deiner Mächtigkeit bleiben und ich werde mit der Seilbahn runterfahren ins Tal. Dorthin wo niemand masslos ist und versaut schon gar nicht, oder dann gleich so fertig, dass es keine Freude mehr bereitet. Das Eldorado der Mittelmässigkeit wird mich von neuem umfangen und wird versuchen an mir zu lecken. Was bleibt ist die Erinnerung an die paar Stunden hier oben mit dir.“

Da flog der Schmetterling davon und als ich ihn schon kaum mehr sehen konnte, drehte er sich ein letztes Mal zu mir um und rief: „Du wirst dich an mich erinnern und auch an die letzten Zeilen, die mein alter Freund Hunter S. Thompson mir schrieb, als er die Farben dieser Welt für immer verliess:

„Ganz oben auf der Spitze des Berges sind wir alle Schneeleoparden.“

1 Kommentar:

  1. Kann man im Engadin auch nur irgendwie schlecht schreiben? - Nein, kann man nicht.

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