06.09.06

Berlin

Lied der Kanalpenner

Der Kanal hat Dampfer und Ladekähne.
Der Kanal hat Fischkähne auf seinem Rücken.
Der Kanal hat eine Wasserleiche im Herzen.
Das Herz ist das Schauhaus.
Der Kanal hat seinen Schuster geschluckt.
Der Schuster macht Schuhe für einen großen Fisch.
von Günter Bruno Fuchs.

Ich wohne bei Freunden am Landwehrkanal in Berlin. Das ist schön, weil ich vor 20 Jahren zum erstenmal vom Landwehrkanal in den wundersamen Erzählungen von G.B.Fuchs las, und mir damals überlegte, warum der Kanal Landwehr heisst. Vermutlich wegen der Feuerwehr, dachte ich.

Ich gehe am Landwehrkanal entlang, durch den Görlitzerpark, trinke im Hannibal einen Kaffee und weiter in die Oranienstrasse. Bei der Hausnummer 28 bleibe ich stehen. Hier muss doch diese Hinterhofgalerie "zinke" sein, die G.B.Fuchs mit seinem Verleger V.O. Stomps 1959 gegründet hatte. Ich hatte das diffus in Erinnerung. In der Galerie wurden Ausstellungen und Autorenlesungen veranstaltet. Aber die Tür zum Hinterhof ist abgeschlossen.
Ich gehe in das Antiquariat nebenan, aber der Buchhändler weiss auch nichts von einer Galerie im Hinterhof.
"Ich hatte einmal das Buch "zinke". Wenn Sie möchten, suche ich es." Er ist sehr freundlich. Ich bin entzückt.
"Oh ja, gerne."
Er findet das Buch in einer grossen Bücherkiste ganz unten. "Glück gehabt" sagt er, "die sind fertig für den Versand". Wir blättern gemeinsam in dem alten Ausstellungskatalog.
Ich stelle mir das Treiben zu der Zeit bohemenhaft vor. Lesungen und Diskussionen mit viel Zigarettenqualm und Kartoffelschnaps. Künstler und Autoren, die mit Taschenmachern und Textil-Praktikanten etwas für die Arbeiterbewegung tun.
Wir entdecken auf einem beigelegten und gefalteten Zeitungsartikel von 1959, dass das "zinke" tatsächlich im Hinterhof an der Oranienstrasse war, es war jedoch die Hausnummer 27.
Der Buchhändler strahlt. "Es ist immer so, dass die, welche mitten drin stehen gar nicht wissen, dass sie mitten drin sind." sagt er.
Er schliesst mir die Tür zum Hinterhof auf und ich kann das ganze in Ruhe inspizieren.
Da! An der Wand hängt eine kleine Gedenktafel.

Diese für Sie möglicherweise völlig unspektakuläre und unbedeutende Entdeckung ist für mich wie ein kleines aber bedeutsames Geschenk, das über Jahre in diffuses Wissen eingepackt war. Ich habe es nun mit Stolz ausgepackt.

Ich gehe weiter zum Hermannplatz und staune sehr. Das schöne an fremden Städten ist zuweilen das Gefühl wie auf einem fremden Planeten zu gehen, als sei die Stadt auf einer anderen Welt. Das unheimliche an fremden Städten ist aber das Wissen, dass ich in genau diesem Moment ein Teil der Stadt bin, also Teil unserer Welt.

Ich esse Süssigkeiten an jeder Ecke und fühle mich wie im Zuckerhimmel.

Am Abend gehe ich zu den Surfpoeten. Im Mudd Club wird nicht mehr geraucht. Alles wird gut.

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