Meine Mutter steht vor der Tür. "Ich habe etwas für dich", sagt sie, "machst du mir einen Tee?"
Ich kann sie unmöglich in die Wohnung lassen, denke ich, und überlege panisch, wie ich sie vor dem bevorstehenden Unheil bewahren kann. Gestern hatte ich Gäste und wie immer viel zu viel gekocht, es hätten zwanzig Leute mitessen können. Es war nach Mitternacht, als sie gingen und ich war zu erschöpft, um den Tisch abzuräumen. Ich liess das ganze Gelage auf dem Tisch stehen, und auch alles andere liegen, und ging unabgeschminkt ins Bett. Heute Morgen musste ich in aller Herrgottsfrühe an eine Sitzung nach Zürich fahren und fand das passende Kleid nicht, habe den ganzen Kleiderschrank auf den Kopf gestellt, schliesslich fand ich es in der Wäsche. Es roch noch ganz in Ordnung, ich musste es nur bügeln.
"Warum meldest du dich nicht an, wenn du mich besuchen willst", frage ich.
"Ich besuche dich gar nicht", sagt sie, "ich komme nur spontan und schnell vorbei und bringe dir was Gutes. Wie wärs, wenn du mich reinbittest?"
"Sekunde", sage ich und drehe mich um, bahne einen Weg zur Küche, hebe in Windeseile herumliegende Jacken und Taschen auf und schmeisse alles ins Schlafzimmer, zack, Tür zu, kicke beim Weitergehen unauffällig eine schmutzige Unterhose in die Ecke zu den leeren Weinflaschen.
"Komm rein", rufe ich, aber sie steht schon neben mir. Sie starrt in die Küche.
"Ich hatte Gäste", sage ich entschuldigend, "und keine Zeit...", sie unterbricht mich nicht, was kein gutes Zeichen ist. Erst jetzt, während sie den Tatsachen in die Augen sieht, nehme ich das Ausmass der Verwüstung wahr. Hastig stelle ich ein paar Teller zusammen, lächle sie an, doch sie lächelt nicht zurück. Kein gutes Zeichen, denke ich.
Sie zeigt auf den Tisch. "Was um Himmels Willen ist das?" Sie ist geschockt, als blicke sie auf ein Blutbad. "Das sind nur Randensalat Flecken", sage ich. "Nein, das!" Zwischen dem Geschirr und den Essensresten liegt ein Flaschenöffner aus Holz, es ist, wie soll ich sagen, ... ein geschnitzter Phallus, ein kleiner Prachtsschwanz sozusagen, ein Reisemitbringsel aus Indonesien glaube ich, jedenfalls habe ich immer meine kleine heimliche Freude, wenn ich damit eine Bierflasche öffne, so ein passend schönes Stück in der Hand, aber das kann ich ihr natürlich nicht sagen. "Es ist Geschenk", sage ich. Aber das beunruhigt sie nur noch mehr. Es irritiert mich, wenn meine Mutter wegen mir irritiert ist, diese tiefgehende, unausgesprochene Enttäuschung, die sich dann in ihr verschliesst und nur durch einen Seufzer ihren Ausdruck findet. Sie seufzt.
"Ich habe dir einen Honig mitgebracht", sagt sie, und stellt das Glas auf den Tisch. "Selbstgemacht", fügt sie an. "Das ist lieb von dir", sage ich und küsse sie auf die Wange. Sie setzt sich, schneidet ein Stück von meinem Schokoladenkuchen ab und isst es aus der Hand. "Schmeckt lecker", sagt sie mit vollem Mund, "hast du den gebacken?" Ich setze Teewasser auf und räume den Tisch ab, beginne mit dem Abwasch. "Wie hast du den Rote Bete Salat gemacht?" fragt sie, während sie abtrocknet. "Mit Orange und Meerrettich", sage ich. Sie sieht mich an, lächelt und nickt wissend. Ein gutes Zeichen.
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