23.12.12

Andacht

Meine Familie trifft sich einmal im Jahr, auf Wunsch meiner Mutter, in der Adventszeit. Als mein Vater noch lebte, waren wir zwanzig Personen. Also nur die Geschwister mit Anhang. Seit meine Mutter einen Wittwer geheiratet hat, hat sich die Grösse der Familie auf einen Schlag verdoppelt. Die zwei Sippen beäugen sich stets misstrauisch, wenn sie zusammen kommen. Alle geben sich höflich, weil man mit Eindringlingen, welche die Frechheit besitzen, so mir nichts dir nichts der eigenen Familie anzugehören, obwohl sie fremder nicht sein könnten, eben höflich bleiben muss. Nur die ganz Missgünstigen können sich die Namen der Geschwister der anderen Sippe nicht merken oder verwechseln die Kinder.
Meine Mutter, die ja sozusagen aus einer Organisten Dynastie entstammt, will mit der ganzen Familie Adventslieder singen. Vierstimmig, versteht sich. Die zusammengewürfelte Familie beäugt sich skeptisch und singt dabei: Oh Heiland reiss die Himmel auf. Aber es klingt nicht, wie es soll. Es klingt kläglich, genau genommen. Also seufzt meine Mutter und geht zur Weihnachtsgeschichte über. Eine Weihnachtsgeschichte ist traditionell eine Geschichte, die rührend ist, und worin gute Menschen anderen Menschen, die Pech haben, helfen oder etwas Gutes tun. Dieses Jahr handelt es sich um eine Aussenseiterin, eine einsame und verwahrloste alte Frau, die am Ende, Gott sei Dank, ein wenig Glück erfährt. Meine Mutter liest vor, die Familie nutzt auch diese Gelegenheit, sich ungläubig zu beäugen, während sie zuhört. Alle machen andächtige Gesichter, weil Weihnachtsgeschichten mit Andacht gehört werden sollen. Die Geschichte zieht sich dieses Jahr sehr in die Länge. Wer schreibt solche Geschichten, denke ich, und verliere endgültig den Faden. Und dann: „... die Fenster waren geputzt, der Boden gebohnert und gewichst, ...“ Das Wort schwebt im Raume, wie ein Ufo, das im nächsten Moment all jene in den aufgerissenen Himmel entführen wird, die es wagen jetzt ans Wichsen zu denken. Zu spät. Das unterdrückte pubertäre Kichern des ersten Sprösslings ist nicht mehr zu überhören. Gleich darauf kichern alle Pubertierenden. Dann lachen auch einige Erwachsene. Nun können sich die Halbwüchsigen kaum mehr einkriegen vor Lachen. „Warum lacht ihr?“ fragt meine Mutter, die unbeirrt weiterliest.

Ich mag diese seltenen und verbindenden Momente, wenn die eigentlichen, verborgenen Interessen jedes Einzelnen lachend ans Licht kommen.

12.12.12

Noch ein kleiner Espresso am Abend

und ich konnte das Einschlafen nach drei Stunden getrost aufgeben. Ich las die ganze Nacht und wurde nicht schläfrig. Gegen fünf Uhr morgens schlief ich dann ein.
Im Tiefschlaf stand ich wieder auf und ging arbeiten. Alle sahen mich besorgt an und fragten: "Gehts?"
Manchmal muss ich einfach ausprobieren, ob sich die folgeschweren, ausreichend erprobten Gesetzmässigkeiten (Kaffe am Abend - kein Schlaf, rohe Zwiebeln - Blähung, Cocktails - Kater am Morgen) nicht einfach austricksen lassen.
Dummerweise verlieren sie der Lust und Laune wegen nicht ihre Gültigkeit.

10.12.12

Tage im Adventskalender

Ich arbeite nun bis Weihnachten fast das doppelte Pensum. Weil viele Kolleginnen vor Erschöpfung krankgeschrieben sind, mache ich Vertretungen. Auch sonst ist gerade viel los, Einladungen da und dort, Termine, Gäste, Fondue essen... und ich komme dadurch nicht so recht zu mir. Das gibt mir dieses Gefühl, dass ich neben mir stehe. Und das ist kein super Gefühl.  Mit den vielen Ablenkungen und dem geschäftigen Tun verschliesse ich mir auch den Gedanken, dass es bald Weihnachten ist, und ich noch überhaupt keinen Plan habe, und alleine bin und vergeblich hoffe, dass sich in letzter Minute noch etwas Grossartiges auftun wird....

09.12.12

Schlaflos mit einer kleinen Prinzessin

Meine Patentochter ist drei. Sie war noch nie bei mir und darf, wenn sie will, bei mir übernachten. Vorgesehen ist, dass sie will. Also gehen wir am Nachmittag schlitteln, dann zu mir. Ich verkleide sie in eine Prinzessin mit meinen handbestickten Seidensaris. Sie tanzt vor dem Spiegel und ich koche das Abendessen. Reis und Gemüse. Wir essen, aber sie mag keinen Reis und kein Gemüse. Wir spielen Verstecken, dann gibts Nachtisch, Pyjama, Zähneputzen, das übliche Programm. Dann gibt es noch eine Gutenachtgeschichte im Bett. Sie bekommt eine Matratze neben meinem Bett. Sie schliesst die Augen und ich singe: "Heyo spann den Wagen an" und gebe ihr einen Gutenachtkuss auf die Stirn. Sie setzt sich auf: "Ich habe Hunger". Wir gehen in die Küche und sie isst einen Löffel vom Reis, den sie beim Abendessen nicht angerührt hat. "Jetzt gehe ich schlafen", verkündet sie und legt sich wieder in ihr Bett. Ich singe: "Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder" und hoffe, dass sie von Blumen und Trauben träumt. "Ich muss kacken", fällt ihr ein. Was kein Trick war. Dann hat sie noch Durst und später kann sie nicht einschlafen. "Soll ich mich zu dir legen?", frage ich sie. "Ja".
Ich singe: "Müde bin ich geh zur Ruh, schliesse meine Augen zu" und schlafe dabei fast ein. "Kannst du mir die Hand geben?" fragt sie. Ich nehme ihre Hand und sie schläft sofort ein. Ich stehe auf und mache den Abwasch. Räume auf. Dann lege ich mich ins Bett und lese bis ich einschlafe.
Um zwei Uhr wacht sie auf und weint: "Mama!". Sie schluchzt und ist ganz verzweifelt: "Mama, Mama, Mama!" Ich nehme sie in die Arme und wiege sie. "Es ist mitten in der Nacht", sage ich , "jetzt schlafen wir noch ein bisschen und dann kommt Mama". Ich nehme sie zu mir ins Bett und halte ihre Hand. Sofort schläft sie wieder ein. Ich halte die ganze Nacht ihre Hand und mache kein Auge mehr zu.

08.12.12

Woche für Woche vergeht

Ich habe lange nichts mehr geschrieben. Ich könnte ganze Wände mit Sexabenteuern, Romanzen und Eskapaden tapezieren, die ich mir ersehne. Aber da ist nicht einmal ein Mann in Sicht. Ausser einem. Der mich entzückt und verwirrt. Aber der nicht für mich bestimmt ist. Ich weiss es. Und doch sehe ich in allen Silhouetten, die durch meine Phantasien flattern, nur ihn.
Ich ersehne immer nur ihn.