02.05.11

Der Kuss

Flohmarkt in Glarus

03.02.11

Alors on danse

Ich war zehn Jahre nicht mehr in einer Disco. Meine Arbeitskollegin Leonie überredete mich, es wieder einmal zu tun. Tanzen. Wir verabredeten uns um neun am Bahnhof. Sie rief an: "Wo bist du, Minka, ich warte hier auf dich." "Ach", seufzte ich, "ich liege schon im Bett. Ich schaffe es nicht mehr raus heute." Eine halbe Stunde später stand sie vor meiner Haustür. Sie gibt nicht so schnell auf.
Sie schleppte mich auf eine Ü40 Tanznacht. Überwiegend Frauen waren da. Vereinzelte Männer. Leonie schob mich direkt auf die Tanzfläche. Mir fiel ein, dass ich gerne tanzte. Aber Discos nie ausstehen konnte.
Leonie stellte mir Paul vor. Paul hatte bereits sechs Frauen angetanzt, mit denen er nun gleichzeitig tanzte. Er wiegte sich mit der einen, schwang seine Hüfte an der anderen, schmiegte sich an die dritte. Die Frauen fühlten sich begehrt und schön. Und sie tanzten auch so. Paul war jedes Wochenende hier. "Ich tanze für mein Leben gern", erzählte er mir. "Beim Tanzen wird jeder einzelne Muskel, jede Faser im Körper gleichzeitig angeregt. Tanzen ist gesund. Tanzen ist Leben", sagte er und es klang wie eine einfache Lösung. Tanzen ist Leben. Ich überlegte, was Leben für mich war und kam nicht gleich drauf. Ich fühlte mich schon wieder so kompliziert. Denken ist Leben. Tanzen und Nachdenken ging nicht.
Ich tanzte mit Leonie. Wir tanzten und lächelten uns an. Es ist wie früher, dachte ich, nur dass alle um uns herum zwanzig Jahre älter geworden sind. Die Frauen wurden inzwischen von ihren Männern verlassen, hatten sich wieder hübsch gemacht und ertanzten sich ein neues Leben. Ein Mann fand mich interessant, oder vielleicht auch sexy, jedenfalls guckte er immer wieder. Man spürt Blicke beim Tanzen so gut. Unerhörtes schwingt mit den Blicken. Die Schwingung spürt man. Alles ist Schwingung. Leben ist Schwingung, könnte ich jetzt auch so locker sagen. Er sah nett aus. Vermutlich hatte er eine geschiedene Frau, zwei Jungs, die er an Samstagen zum Fussball Turnier fuhr, war selber ein Marathonläufer, Lehrer an der Berufsschule oder Elektriker. Die Musik wechselte. "Sssslow", sagte der DJ. Sofort leerte sich die Tanzfläche und einige Paare fanden sich zusammen, drückten sich aneinander, wiegten sich. Ich zog Leonie an die Bar. Der Marathonmann verlor mich nicht aus den Augen. Sein Herzklopfen schwang bis zu mir. Der Gedanke, dass er jetzt gerne mit mir tanzen, genau genommen meinen Körper an sich drücken, meine Hüften spüren, meinen Duft riechen würde, gefiel mir nicht.
"Und", fragte Leonie, "gefällt dir einer?"
"Nein. Keiner. Und dir?"
"Es gibt schon ein paar nette Männer hier", sagte sie.
"Aber welche gefallen dir?" fragte ich nach.
"Naja, ein paar sind wirklich nett", wiederholte sie.
"Ich wüsste gern, auf was für Männer du stehst. Nicht ob sie nett sind."
"Mit einigen hatte ich was, die waren nett", sagte sie etwas leise.
"Was...? Ach so. Oh. Mit welchen?"
"Das sage ich jetzt nicht."
"Ach komm! Bitte."
"Nein, das ist mir peinlich."
"Mit Paul?"
Der Marathonmann kam direkt auf uns zu. Er sprach mich an: "Darf ich dich um einen Tanz bitten?" Der Mut, mich zu fragen, verlieh ihm ein ekstatisches Strahlen. In dem Moment wechselte die Musik. Hektische Beats spickten wie Pingpong Bälle durch den Tanzsaal: Alors on danse. Er sackte zusammen. Winkte ab. Es war zu spät.

26.01.11

Geschichten ohne Ende

Ich setzte mich im Speisewagen zu einem Mann, der ein Buch vor sich aufgeschlagen hatte. Ich fragte ihn, was für ein Buch er lese, wenn ich fragen dürfe. Er zeigte mir den Titel. Ein religionswissenschaftliches Buch. Aufgeschlagene Bücher eignen sich immer gut, um eine Speisewagenkonversation zu eröffnen. Wir unterhielten uns also über Religionen. Er hatte Philosophie und Informatik studiert, war in meinem Alter. Ein Amerikaner mit libanesischen Wurzeln. Ein attraktiver Mann. Und voller Witz, wie ich im Laufe des Gesprächs feststellte. Er war auf einer Geschäftsreise, befand sich eben noch in Kairo und fuhr nach Thun zu einer Besprechung. Unsere Unterhaltung sprudelte nur so aus sich heraus, dass ich nicht dazu kam ihn zu fragen, was er geschäftlich denn machte. Er fragte, ob er mich zum Abendessen einladen dürfe, in Thun, er kenne die Stadt nicht und möge nicht alleine essen. Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als die gediegene Unterhaltung in einem schicken Restaurant fortzusetzen. Kurz vor dem Aussteigen fragte ich ihn was er beruflich mache.
Er arbeite für eine Firma, die Waffen produziere, sagte er. Waffen, Kanonen, Panzergranaten.
Das Ende der Geschichte ist traurig.

22.01.11

Der Ring der Konfusion

Ich habe von meinem Masseur einen Finger Massagering bekommen. Er sieht aus wie ein zusammen gebastelter Ring aus Kugelschreiber Drahtfedern. Man rollt ihn am Finger auf und ab. Er stimuliere die energetischen Punkte und damit verbundenen Organe. Und die Einheit aus Körper, Seele und Geist werde ins Gleichgewicht gebracht, meinte er. Er empfahl mir den Massegering beim Fernsehen zu benützen, oder, da ich keinen Fernseher habe, meinetwegen während ich in der Küche warte, bis der Kuchen gebacken ist. Weniger geeignet sei es aber, aus eigener Erfahrung, fügte er hinzu, im Bus, entspannt die Hände im Schoss haltend, gedankenverloren den Finger zu massieren.

18.01.11

Die Ulme

Mein Grossvater starb jung. Er hatte vier Kinder gezeugt, dann wurde er in einem Gewitter von einem Baum erschlagen. Das ist alles, was meine Grossmutter dazu erzählte. Aber ich wollte Einzelheiten. Sie hatte nur ein einziges Foto von ihrem Mann. Es war eine Gruppenaufnahme seiner Militär Kompanie. Er sass in der vierten Reihe in der Mitte, genau da, wo das Foto gefaltet war. Ich konnte nur seine abstehenden Ohren erkennen. Viele Jahre später erzählte sie ein einziges, aber nicht unwesentliches Detail: Es war eine Ulme.

16.01.11

Die Aussicht auf das nächtliche Istanbul

Da war dieser Ladenhüter, der auf die Strasse gesprungen kam und mich fragte, ob ich einen Tee wollte. Drinnen sei es warm und er würde sich gerne mit mir unterhalten. Ich zögerte. Es war schon spät. Der Laden war in einer dunklen Seitengasse. Einfach nur so. Seine Augen leuchteten dezent, wie diese bunten Glaslämpchen im Bazar, die nur schön sind, wenn sie leuchten. Dieses romantische, warme Licht aus tausend und einer Nacht möchten die Touristen mit nach Hause nehmen. Sie kaufen es und sehen erst beim Auspacken, wie nichts sagend die Lämpchen sind.
Ich nahm die Einladung an. Mir war kalt und ich war traurig.
Der Laden war vollständig mit Kelims ausgekleidet und verkaufte Teppiche und Keramik. Ich fühlte mich wohl. Wir unterhielten uns und tranken Tee. Ein anderer Ladenhüter gesellte sich zu uns, dann noch einer. Sie fragten, warum ich traurig sei. Wir tranken Tee und sie scherzten, um mich aufzumuntern. Dann tauchte noch einer auf und noch einer. Ich realisierte langsam, dass ich von fünf Männern umgarnt war, die mich mit dezent leuchtenden Augen ansahen.
"Wir könnten auf der Dachterrasse noch etwas trinken", schlugen sie vor, "eine kleine Party feiern". "Have some fun", sagten sie. Die Aussicht auf die nächtliche Stadt sei wundervoll.
Ich verstand.
In Fantasien glücklicher Tage hätte es die Aussicht auf die Nacht meines Lebens sein können. Fun mit fünf Ladenhütern. Aber ich war traurig.
"Warum nicht", wollten sie wissen.
Es war immer das gleiche. Ich war für die Männer eine europäische Touristin. Die Frage war nicht, ob ich will, sondern - warum nicht?
"Du bist verspannt", sagten sie. "Entspann dich. Wir sind genau, was du brauchst".
Ich bedankte mich für den Tee und ging.
Auf der Strasse fiel mir ein, dass ich zu traurig war um der Lust eine Chance zu geben. Und zu traurig um Angst zu haben. Vermutlich war es Glück, dass sie mich gehen liessen.

13.01.11

Mein Kochbuch

Die Kunst ist im Alter einen lustigen Grund zu finden, für den es sich lohnt weiter zu leben. Die Möglichkeiten nehmen ab. Es geht nicht mehr darum alles haben zu wollen, alles auszuprobieren. Oder sich fortzupflanzen. Dafür lohnt es sich nicht mehr zu leben. Aber es gibt Beschäftigungen, die das Alter bei Laune halten können. Also ich meine nicht Bierdeckel zu sammeln und in ein Album zu kleben. Oder alle Dreitausender zu besteigen.
Schreiben kann so eine Beschäftigung sein. Aber lustig ist es nicht. Ich feile an meinen Texten herum bis zur Verzweiflung. Ich brauche ewig für mein Kochbuch. Isaak Babel überarbeitete seine Bücher auch über Jahre hinweg. Er hatte stapelweise Versionen seiner Manuskripte herumliegen. Fallada andererseits schrieb in drei Wochen tausend Seiten. Dann lachte er, weil man ihm dafür auch noch Geld zahlte, dass er drei Wochen solchen Spass hatte. Aber er konnte nur so schreiben, wenn er zugedröhnt oder alkoholisiert war. Jeffrey Lee Pierce konnte nur so gut Gitarre spielen und singen, weil er Heroin nahm. Und nicht nur er. Seine Musik war berauschend, tief berührend. Das ist Heroinmusik immer. Aber das Leben mit Drogen ist fürchterlich. Dramatisch und fürchterlich. Die Kunst ist wohl, ohne Drogen in meinem kleinen Laboratorium etwas zu produzieren. Und glücklich zu sein.
Das ist anstrengend. Schwer. Fast schwermütig. Aber wenigstens ist es nicht fürchterlich.

11.01.11

Ich frühstückte in einem Café in der Stadt.  Als ich hinaustrat, war es Abend.

02.01.11

Auf der Suche nach Schönheit. Geschichten. Vielfalt.
Vorbei an trostlosen Dörfern und endlosen Treibhausebenen.
Vorbei an Geisterstädten massentouristischer Illusionen.
"Hier ist alles abgefuckt", sagte sie. Es war das erste Mal, dass sie dieses Wort brauchte.

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Wanderung entlang menschenleerer Strände. Weite und Trost.
Schöne Momente.

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Ein Land, verstockt in der Dichte des Althergebrachten ohne Möglichkeit sich auf feinfühlige Art zu erneuern, ohne den schwärmerischen Überschwang des Vergangenen. 

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Unwetter, Stürme, Erdrutsche, Überschwemmungen und Regen, Regen, Regen. 
Warten, Tee trinken und Backgammon spielen.
Streiten.
Nüsschen knabbern, Bier trinken und Backgammon spielen.


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Mit mir kann man nicht diskutieren.

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Das Schiff unserer Freundschaft zerschellte an den Klippen unserer unerfüllten Bedürfnisse.

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Überall mangelte es an Sorgfalt. Raffinesse. Zartheit.

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Flucht in zärtliche Erinnerungen: Die Hand des Rucksackverkäufers an der Stelle meiner Hüfte, wo der Rucksack sitzen sollte. 

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Die vielen kleinen Entscheidungen auf Reisen. Mit der Sicherheit der Gefühle.

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Das unfassbare Istanbul.

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