27.11.07

Roman und Myrrzha

Roman und Myrrzha sind das hübscheste, junge Pärchen das ich kenne. Sie sehen aus und kleiden sich wie Elfen, die einen Mad Max Krieg überlebt haben. Es ist schön, sie zu besuchen und ihnen zuzuschauen, wie sie langgliedrig und fein mit den Lichtstrahlen des Tages spielen. Sie verstehen sich wie niemand sonst darauf, mit mir in vollständig sorgloser Offenheit über all unsere Intimitäten und Wünsche zu sprechen. Ihre Tochter Helena ist eine hüpfende Sonnenblume, die sich abends vor dem Einschlafen überlegt, ob alle Nachbarskinder im Verlauf des Tages auch sicher einen Kuchen geschenkt bekommen haben. Helena ist dieses rotbäckige Goldlöckchen, von dem Eltern mit Verstand träumen.
Doch wenn Roman und Myrrzha unter sich sind, streiten sie ständig. Das bedeutet nicht nur keifendes Geschrei, sondern auch Mobiliar, das aus dem Fenster ihres Häuschens fliegt. Dieses Häuschen, das in einem Apfelgarten auf dem Land steht und total verdreckt ist. Es lässt sich nur über eine Düne aus Sand, Kinderspielzeug und einzelnen, herumliegenden Schuhen betreten. Der Vermieter droht immer wieder mit fristloser Kündigung. Besonders letztens als Roman den Lindenbaum im Garten umsägte, um daraus ein Geisterkanu für Helena zu schnitzen. Lindenholz eignet sich hervorragend zum Schnitzen, erwiderte Roman verständnislos. Im Flur haust Ruka, ein abgeschlagener Hund, der ihnen auf einer der frühen Traumreisen in den Süden zugelaufen ist. Ruka fletscht bei jedem Besucher die Zähne wie ein Höllenhund. Es ist eigentlich nur Zufall, dass noch niemand gebissen wurde. Auch wenn sie mich sieht, stellt sie sich mit gesträubten Nackenhaaren in den Eingang, obwohl sie mich seit Jahren kennt. Zum Glück ist sie aber meistens am streunen. Gekocht werden in diesem Haus prinzipiell nur Nudeln oder Reis mit Fertigsauce. Denn entweder ist Myrrhza zu müde und verzagt oder Roman kommt zu spät vor der Arbeit nach Hause, um einkaufen zu gehen. Sie hätten gern mehr Sex miteinander, aber weil das mit dem Berühren für Elfen immer etwas schwierig ist, lassen sie es bleiben. Meistens sind sie unsterblich in jemanden aus der Nachbarschaft verliebt. Ganz selten küssen sie. Mehr auf keinen Fall. Beide wissen von diesen Küssen und sie wären das Letzte, worüber sie sich ereifern würden.
Vor einem Jahr sind sie zu ihrem grossen Erstaunen von ihrem eigenen hechelnden Stöhnen erwacht und Roman ist auch gekommen. Letztens geschah das wieder. Nun ist Myrrzha schwanger. Ja so sind sie, die ungeborenen Seelen, sie suchen sich den Ort wo die Gischt der Wellen hoch schäumt. Weil manchen gelingt es nur dort, die Erde zu betreten.

24.11.07

Übrigens:

Zum Glück noch ein kleiner Nachtrag.
Es kann sein, dass Sie überhaupt nicht verstehen, wovon hier überhaupt die Rede ist. Dann gehen Sie am besten wie viele andere vor Ihnen auch an die Börse. Das hat zwar nichts mit Glück zu tun, ist aber immer noch besser als gar nichts zu haben. Selbstverständlich können Sie Ihre allgemeinen und persönlichen Verbesserungsvorschläge auch direkt dem Dow-Jones-Index schreiben. Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie einwenden, dass man den Dow Jones ja mit anderen teilen muss und dass das mit dem geteilten Glück so eine Sache ist. Aber glauben Sie mir, Sie werden seine Anteilnahme an Ihrem persönlichen Schicksal in jedem Fall spüren.

Ihre Glücksfee Dr. Jonka

21.11.07

Die 4 Formen von Glück

Es gibt exakt 4 Formen von Glück:

1. Das Glück,
das ist wie wenn man an einem Tag Ende Oktober über die schneefreie, aber eiskalte Alp Astras in Richtung Ofenpass geht und auf der ganzen, endgültigen Weite keine Menschenseele antrifft.

2. Das Glück,
das ist wie das Finden des letzten Heftes der dreiteiligen italienischen Rex-Ausgabe von Daniel Zezelj in einem Berg von abgegriffenen Comics auf der Flohmarktwiese des Plainpalais im fünften Jahr der Suche.

3. Das Glück,
das ist wie ................................................ (hier bietet sich Raum für Ihre höchstpersönliche Form von Glück).

4. Das Glück,
das ist wie eine Glühbirne, deren Fassung sich so hoch oben befindet, dass einem jemand behilflich sein muss um sie einzuschrauben. Meist dauert es Jahre bis man wieder mal jemandem begegnet, der sich dafür eignet. Zudem halten diese Glühbirnen meist nur sehr kurze Zeit. Dies bedeutet, dass man die meiste Zeit seines Lebens im Dunkeln verbringt. Auch wenn man sich da was ganz anders vorgenommen hat. Um sich davon abzulenken kann man natürlich wandern gehen oder etwas sammeln. Dies ändert jedoch nichts daran, dass man nach all den Jahren zusammengefasst nur einige wenige Tage glücklich war.

19.11.07

Spuren und Endlosschlaufen

Zum ersten Mal Langlaufski gefahren. Auch so ein Tabu meiner Jugend, das ich mir damals geschworen habe nie zu brechen. Auch dann nicht, wenn ich definitiv alt bin. (Weil ich nie das tun wollte, was gelangweilte, körperbewusste alte Leute tun, nur weil sie alles andere nicht mehr packen.) (Es hat etwas Beängstigendes, wenn man sich beginnt mit dem zufrieden zu geben, was möglich ist.)
Gut, ich entdecke nun den Reiz der Reduktion.
Denn Langlaufen ist eher wie Fliegen. Tranceartig. Zeitlupen-Loipen-Laufen. Dahin gleiten mit extrem langen Schritten. Wie Davonrennen im Traum. Ein ständiges Anlaufnehmen zum Abheben. Man schwebt in dieser schmalen Schneespur durch eine Traumwelt dahin.
(Es hat etwas genau so hypnotisch Beruhigendes wie damals, als ich noch ein Kind war und mit meinen Geschwistern stundenlang dem steten Kreisen der flitzenden Rennautos auf der Modellautorennbahn zuschauen konnte.)

16.11.07

Die klare Linie

Franziska und Max sind eines der süssesten Pärchen, das ich kenne.
In letzter Zeit findet Franziska, dass Max zuviel Fussball am Fernsehen guckt und zuviel Bier trinkt. Da sie sich zudem in ihren sexuellen Bedürfnissen nicht wahrgenommen fühlt, drängt sie auf Veränderung. Sie fragen gute Freunde um Rat, denen es vor kurzem ganz ähnlich ging und finden den Weg zur Paartherapie. Die Paartherapeutin fühlt etliche Sitzungen später genau wo das Problem liegt und macht folgenden Vorschlag: Franziska soll Max jeden dritten Sonntag zum Fussball ins Stadion begleiten. Max soll mit Franziska einmal im halben Jahr zu einem Tantra-Seminar in den Bergen fahren. Das mengenmässig ungleiche Verhältnis spielt hier nicht so eine grosse Rolle wie die aktive Toleranz, welche beide dadurch entwickeln werden. Punkt. Max findet die kosmische Welle, die beim Tantra durch seine Chakren wütet tödlich. Franziska findet die Ole-Welle im Stadion, die ihr die Arme hochreisst tödlich.
Da entdeckt Franziska etwas. Nun ist schon der dritte Abend in dieser Woche, an dem Franziska nicht zuhause ist. Max legt die Fernbedienung beiseite. Er geht auf den Balkon. Draussen regnet es. Da er keinen Hund hat, zieht er den Regenmantel an und geht mit sich selber raus. Mit etwas Glück wird er Franziska wieder begegnen. Sie lachen.
Die Paartherapeutin treffen sie glücklicherweise erst sehr viel später bei einem Besuch in der Hölle wieder an.

13.11.07

Corvatsch, Herbst 2007


„Du schmeckst gut!“ sagte der Schmetterling zu mir, nachdem er sich nun schon zum zigten Mal auf meinem verschwitzten Unterarm niedergelassen hatte, um von mir zu trinken. Dieser kleine Charmeur, dachte ich bei mir, eine solche Schönheit und dann steckt er seinen Rüssel in die stinkenden Pfützen auf der Haut von ausgepumpten, den Berg hoch stolpernden Touristinnen wie mir. „Nicht nur das, meine Liebe, im Sommer hätten wir uns auch unten im Tal hinter den Schweinemästereien in der Abluft der Klimaanlage treffen können oder in dieser Felsenrinne dort oben in der lange Zeit ein Kadaver vor sich hin gammelte.“ Dabei zeigte er mit einem seiner unglaublich zarten Flügel hoch in Richtung des von der goldenen Engadiner Herbstsonne beschienen Berghanges.

„Ich verstehe das nicht mein Bester,“ antwortete ich ihm. „Die Pracht deiner Erscheinung, die Farben, die Zartheit. Weshalb kannst du dich nicht um all die wunderschönen, wohlriechenden Blüten kümmern, die dir ihre duftenden Hälse entgegenstrecken? Was begeistert dich so an diesem vergifteten Gebräu, das mir aus den Poren schiesst?“ „Nun weshalb bist du so kleinlich Madame Jonka. Schau ich behalte meine Zartheit auch wenn ich im Duft der Kadaver geschlafen habe. Die Farben meiner Flügel verlieren ihre Leuchtkraft nicht, wenn ich an dieser Mischung aus Sonnenschutzcreme, Schweiss und Bier auf deiner Haut lecke. Gift ist etwas anderes.“

„Ja aber ein bisschen versaut bist du schon mein Guter.“ wandte ich ein.
„Kennst Du denn so viele versaute Männer, Werteste, dass dir deshalb unsere Begegnung gleichgültig sein könnte?“
„Nein eigentlich nicht,“ antwortete ich zögerlich. „Die meisten wären es wohl gern oder ersparen sich die ganze Mühe und begeben sich auf die Suche nach versauten Frauen. Doch wenn sie auf eine treffen verlieren sie ihre Zartheit und die Farben gehen meist in der Suche nach einem Alltag unter. Zu selten ist das, du hast schon Recht.“
Der Schmetterling zwinkerte mir wie einer Gleichgesinnten zu und flog hüpfend und unvorhersehbar neben mir auf und ab.

Einige hundert Meter weiter oben am Hang hatte ich genügend nachgedacht, um ihn mit einem weiteren meiner Zweifel zu konfrontieren.
„Vielleicht hast du ja Recht und die Zartheit ist eine ganz eigene, verwirrende Schweinerei. Aber masslos bist du allemal, so wie du dich an mir labst.“
Der Schmetterling lehnte sich entspannt zurück und fragte:
„Wie viele Vorspeisen bestellst du, wenn du essen gehst, Minka?“
„Bitte? Wieso fragst du mich das jetzt? Und überhaupt, die Frage ist doch welche und nicht wie viele?“
„No Madame Jonka. Ich würde immer mindestens so viele Vorspeisen für mich bestellen, bis die Bedienung nervös zu lächeln beginnt. Das ist der Unterschied zwischen dir und mir.“

Ich schmunzelte und ging langsam weiter über den noch warmen Hang, während ich die Lerchenwälder weit unter mir betrachtete. Endlos. Der Schmetterling liess sich auf einen Stein vor mir nieder und wandte sich mir noch einmal zu. Doch es lag schon etwas wie Abschied in seiner letzten Frage:
„Nun könntest du mich natürlich noch was Bedeutsames zu deinem Leben fragen, weil schliesslich die Begegnung mit einem sprechenden Schmetterling ja so was wie ein Wunder ist, nicht wahr. Oder möchtest du dir etwas wünschen, für die Zukunft?“
„Ach, mein teurer Freund, was soll ich dich fragen, was soll ich mir von dir wünschen. Du wirst hier oben in deiner Mächtigkeit bleiben und ich werde mit der Seilbahn runterfahren ins Tal. Dorthin wo niemand masslos ist und versaut schon gar nicht, oder dann gleich so fertig, dass es keine Freude mehr bereitet. Das Eldorado der Mittelmässigkeit wird mich von neuem umfangen und wird versuchen an mir zu lecken. Was bleibt ist die Erinnerung an die paar Stunden hier oben mit dir.“

Da flog der Schmetterling davon und als ich ihn schon kaum mehr sehen konnte, drehte er sich ein letztes Mal zu mir um und rief: „Du wirst dich an mich erinnern und auch an die letzten Zeilen, die mein alter Freund Hunter S. Thompson mir schrieb, als er die Farben dieser Welt für immer verliess:

„Ganz oben auf der Spitze des Berges sind wir alle Schneeleoparden.“

05.11.07

Ich beginne mich an die Schulter der Geschichten zu lehnen.

Der Eigensinn der Zeiten lässt unsere Erinnerungen wie eine Traubenbeere im Munde zergehen. Runde, reife Beere mit bitteren Kernen. Die Kerne spuckt er zuweilen aus.