Die Blonde und der Latino sitzen neben mir in der Bar. Sie sieht vom Typ her ein wenig aus wie die Sprechstundenhilfe, die man sich als Mädchen mit 12 Jahren zu werden wünscht. In dieser kurzen Phase, nachdem man begriffen hat, dass Pferdezureiterin und Tierärztin auch nicht so ganz das Wahre zu sein scheinen. Sie spricht in einem fort und er hört geduldig zu. Indianer sind geduldig, sagen seine Augen. Tja so ist das, Gringa. Verständnis, Verständnis überall. Er versucht ganz offensichtlich, sie zu verführen. Weshalb sollte er sonst immer noch Lächeln, bei all dem was er zu hören bekommt.
Verführungen sind immer ein spannendes Theater, denke ich. Zumindest solange die Akteure noch nüchtern sind. Ich warte auf meine Freundin und das unerwartete abendliche Unterhaltungsprogramm kommt mir gerade sehr gelegen.
Er schlägt ihr also eine Massage vor.
- Warum willst du mich denn massieren? fragt sie.
Blöde Frage, denkt er. Aber was er sagt ist:
- Ich bin Masseur. Ich mache die besten Massagen der Welt. Du wirst schon sehen.
Ich bemerke ihre Verlegenheit, weil sie nicht einschätzen kann, worauf er hinaus will. Warum sagt er Massage, denkt sie, oder meint er das wirklich. Aber eigentlich will sie es auch gar nicht so genau wissen. Wegen der Romantik und so....
Der Indio lächelt sie weiter gelassen an, während er daran denkt, wie er ihren bleichen Blondinenkörper unter seinen Händen um den Verstand bringen wird. All die Sonne in seinen Händen.
Weil ihr nichts besseres einfällt schüttelt sie nun erstmal verneinend ihren kopflosen Bernerburgerinnen-Blondschopf. Sieht immer gut aus, besonders jetzt mit der neuen Frisur. Hunde gähnen in so einem Moment, habe ich mal gelesen, als Übersprungbewegung. Aber gähnen kann sie jetzt ja schlecht. Doch man sieht schon jetzt, dass sie fühlt, dass sie sowohl ein ja wie auch ein nein später gleichermassen bereuen wird.
- Nur eine Massage, höre ich ihn sagen, und seine Stimme klingt so aufmunternd wie die eines Frisörs, der sagt: Nur die Spitzen.
- Na ja, eigentlich hast du recht, sagt sie, eine Massage könnte ich jetzt ganz gut brauchen, und verzieht dabei die Schultern um so etwas wie eine Verspannung vorzutäuschen.
Sogar ich spüre, dass sie es jetzt darauf ankommen lassen will. Aber sie will ohne wollen zu müssen. Sie stellt auf Autopilot. Sie fliegt gerne mit dem Autopiloten über einen ihr fremden Strand. Durch die Sonnenbrille sehen die Strände eh alle gleich aus und das Meer erscheint von oben so dunkel und schwer, dass man sowieso nie darin baden möchte. Nur das mit der Landung in Bern-Bümpliz ist manchmal etwas schwierig, weil automatisch geht das nicht. Aber wenn die Pilotin ihre Maschine kennt spürt man die Landung kaum. Ha ha guter Spruch oder?
Sie möchte, dass der Lauf der Dinge für sie entscheidet. Dabei nähert sie sich innerlich einem Zustand, den sie als „spontan“ bezeichnen würde.
Allerdings endet das mit der Spontaneität wie sie aus Erfahrung weiss, meist tragisch. Das funktioniert eigentlich nur theoretisch, das mit der Spontaneität. Wenn man z. B. an all die Menschen denkt, die letztes Jahr ganz spontan nach Thailand in die Ferien gefahren sind und dann kam diese Flutwelle. Sie kam ja auch total spontan verrückt, so ganz spontan unkonventionell. Obwohl die sich wahrscheinlich schon frei fühlten damals, so ohne Koffern und Retourticket und alles. Aber so eine spontane Freiheit, die kann einem ganz schön Angst machen.
Doch jetzt hat dieser braungebrannte, exotische Latin-Lover sie zu massieren begonnen und sie glaubt für einen kurzen Moment, dass sie alles spontan richtig gemacht hat. Jedenfalls fühlt sich alles so an, wie damals als sie die Story darüber in dieser Zeitschrift für weltgewandte Frauen las. Dort stand auch, dass jede Frau ein Recht darauf hat sich verwöhnen zu lassen, und schliesslich war es ja seine Idee gewesen, das mit der Massage. Sie wusste zwar, dass er etwas anderes wollte, aber sie wusste auch, dass sie in einer Stunde zum Yoga verabredet war. Punkt.
Ja so ist das Indio, sagte Montezuma später zu dem mythischen Masseur als sie zusammen wieder draussen auf der Strasse standen, sie lassen dich das Zuckerrohr zwar jäten und ernten, Amigo, aber der Saft der durch deine Finger rinnt, schmeckt meistens bitter.